Katzian: "Bin kein Escort-Service für die Regierung"
KURIER: Herr Präsident, in Deutschland prophezeien Wirtschaftsforscher ein ernüchterndes Wirtschaftsjahr 2021. Womit rechnen Sie? Droht eine Pleitewelle?
Wolfgang Katzian: Beim Begriff Pleitewelle bin ich vorsichtig. Aber es wird große Schwierigkeiten geben. Wir müssen in der Wirtschaft mit zwei Herausforderungen zurechtkommen: Das eine ist die Corona-Krise. Das andere ist der Transformationsprozess, der unabhängig davon läuft. Nehmen Sie die Autoindustrie: Da wären auch ohne Pandemie große Veränderungen passiert, die gesamte Zulieferindustrie und viele Dienstleister hängen an diesem Industriezweig. Meine Einschätzung lautet: Wir brauchen zwei Jahre, bis die Wirtschaft wieder voll läuft. In Branchen, die von der Transformation betroffen sind, wird’s vielleicht sogar drei Jahre dauern.
Das heißt, das Niveau von 520.000 Arbeitslosen bleibt uns noch länger?
Das hoffe ich nicht. Allerdings muss man immer sehen, dass dieser halben Million Menschen derzeit nur rund 50.000 offene Stellen gegenüberstehen. Wenn manche meinen, viele wären Tachinierer, die nicht arbeiten wollen, dann stimmt das jetzt noch weniger als vor der Corona-Rekordarbeitslosigkeit.
An welchen Schrauben ist zu drehen?
Ich bleibe dabei, dass ein Überbrückungsgeld sinnvoll wäre. Menschen, die arbeitslos und fünf Jahre vor der Pension sind, soll der entwürdigende Spießrutenlauf erspart bleiben, sich ständig für Jobs bewerben zu müssen, bei denen sie ohnehin nie genommen werden. Diese Menschen könnten 70 Prozent des Letztgehalts bekommen. Abgesehen davon würde ich die Altersteilzeit neu denken. Anstatt wie bisher fünf Jahre vor der Pension sollte es die Möglichkeit geben, zehn Jahre vor dem Pensionsalter in Altersteilzeit zu gehen. Wichtig wäre bei dieser neuen "Corona-Altersteilzeit", dass die Ersatzkraft wegfällt. Derzeit geht Altersteilzeit nur, wenn gleichzeitig eine Ersatzkraft gestellt wird. Das könnte man den Unternehmen ersparen, um sie zu entlasten. Und dann sollten wir dringend über den Pflegebereich nachdenken.
In welche Richtung?
Ich plädiere für eine österreichweite Pflegestiftung. Wir haben viel Erfahrung mit Stiftungen, und es gibt intakte Strukturen der Sozialpartner, die man nutzen könnte. Schön wäre, könnten wir eine Implacement-Stiftung entwickeln. Das bedeutet: Arbeitslose werden über eine Stiftung zu Pflegekräften umgeschult. Normalerweise zahlt der künftige Arbeitgeber einen Beitrag in die Stiftung, damit der Auszubildende nicht mehrere Jahre mit 55 Prozent Nettoersatzrate leben muss. Die Anbieter von Pflegediensten – Caritas, Diakonie, Volkshilfe etc. – können das aber nicht leisten. Deshalb sollte der Bund einspringen und sich mit den Ländern abstimmen. Macht man das nicht, hat man eine große Chance vertan, Menschen in wichtige Jobs umzuqualifizieren. Vor allem aber bleibt das Pflegethema ungelöst. Die Epidemie hat es ein wenig aus dem Bewusstsein verdrängt, aber wir brauchen in den nächsten zehn Jahren die unglaubliche Zahl von 40.000 Pflegekräften – nicht insgesamt, sondern zusätzlich zu den vorhandenen.
Bisweilen heißt es, die zweite Corona-Welle wird uns ökonomisch massiver treffen als die erste. Stimmen Sie zu?
Da muss man differenzieren. Die Probleme im Tourismus werden verstärkt und vertieft, im Handel gibt es die Zweiteilung in Verlierer und Gewinner, wobei der stationäre Handel im Vergleich zum Online-Geschäft eher zu den Verlierern gehört. Nicht zuletzt deshalb braucht’s aus meiner Sicht ein Instrument, um schnell aus der Krise herauszukommen. Ich bin mit WKO-Chef Harald Mahrer einer Meinung, dass es einen Corona-Tausender in Form eines Einkaufsgutscheins braucht, der online nicht gilt und mit dem man die Nachfrage ankurbelt. Das würde allen, die in Kurzarbeit waren oder keinen Job haben, genauso helfen wie den Unternehmen.
Haben die Werkzeuge zur Krisenbewältigung funktioniert?
Das können wir im Detail noch gar nicht sagen. Und zwar auch deshalb nicht, weil uns die Regierung nicht in alles einbindet. Ein Beispiel: Die EU hat sehr viel Geld in die Hand genommen, um einen Resilienz-Plan zu erstellen. Österreich stehen aus diesem Titel 3,3 Mrd. Euro zu, und wir würden uns als Sozialpartner gerne mit Ideen einbringen.
Sie wurden nicht gefragt?
Wir haben Vorschläge übermittelt, darauf hieß es: "Danke, das fließt sicher mit ein." Bei allem Respekt, aber: Ich bin kein Escort-Service für die Regierung, der bei einer Pressekonferenz kurz auf der Bühne steht und begleitend gute Miene vor den Kameras macht. In Deutschland und anderen Ländern sind die Sozialpartner beim Resilienz-Plan längst voll involviert.
Aber die Regierung, insbesondere die Grünen, betonen doch, dass die Sozialpartner viel näher dran sind als bei der Vorgänger-Regierung …
Es ist tatsächlich viel besser als unter Türkis-Blau. Die türkis-blaue Regierung hat nur mit uns geredet, wenn es absolut nicht anders ging. Das ist heute besser – aber nicht in allen Punkten. Beim Lösen von Problemen, etwa bei der Kurzarbeit, sind wir gefragt, da ist auch viel gelungen. Aber wenn es um das Thema geht "Wie verändern wir die Gesellschaft?", da heißt es mitunter "Wir informieren euch, wenn wir damit fertig sind".
In der Pandemie geht es auch um die Abwägung von wirtschafts- und gesundheitspolitischen Aspekten. Sind wir gut in der Balance?
Ich bin kein Virologe und will mich nicht an den medizinischen Debatten beteiligen, dafür gibt’s Berufenere. Dem ÖGB und mir ging es immer darum, dass die Arbeitnehmer geschützt sind. Und hier hat sich leider gezeigt: Die schlecht bezahlten Jobs haben sich dem höchsten Infektionsrisiko ausgesetzt. Und die, die das schlechteste Image haben – von der Putzfrau bis zur Verkäuferin – haben das Land am Laufen gehalten. Bekommen haben sie dafür nichts bis auf ein wenig Applaus. Deshalb hoffe ich weiter auf den erwähnten Konsumgutschein. Das wäre nur fair.
Bei der Frage, wie die Krisenkosten bewältigt werden können, antworten Gewerkschafter gerne mit Stichwörtern wie "Vermögens- oder Erbschaftssteuer". Gilt das auch für Sie?
Dass wir eine Ungleichheit in der Verteilung haben, ist keine Erfindung linkslinker Gewerkschaften, das sagt sogar das Weltwirtschaftsforum in Davos. Ich meine, dass große Vermögen und riesige Erbschaften einen gesellschaftlichen Beitrag leisten sollen. Niemand redet von einer Enteignung, aber wer sehr viel hat, kann mehr leisten, als jemand, der wenig oder nichts hat. Breite Schultern können mehr Gewicht tragen als ein Zniachtl. Im Übrigen glaube ich, dass wir einen Großteil der Kosten durch Wirtschaftswachstum schaffen können.
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