Aufregung um TTIP: Warum ausgerechnet jetzt?

"Aus den TTIP-Verhandlungen nichts Neues" hieß es in den letzten Monaten. Wieso kocht das Thema ausgerechnet jetzt wieder so hoch?

Es ist ganz offensichtlich eine zähe Angelegenheit. Seit Monaten beklagen sich Europäer und US-Amerikaner über mangelndes Verhandlungs-Engagement ihres Gegenübers.

Seit Monaten sind - mal mahnende, mal frohlockende - Stimmen zu vernehmen, die TTIP kurz vor dem Scheitern sehen. Inhaltlich liegt seit Anfang Mai, seit Greenpeace geheime Dokumente aus den Verhandlungen enthüllte, ohnehin nichts Neues am Tisch.

Und eigentlich ist auch die Aussage von SPD-Chef Sigmar Gabriel, die nunmehr für fast empörte Reaktionen und Dementi in den USA und auf EU-Ebene sorgt, so neu nicht. "Es kann sein, dass das am Ende scheitert", diesen Satz konnte man von Gabriel schon im Juni 2015 sagen hören.

Aber natürlich: Dass die Verhandlungen "de facto" gescheitert sind, das sind doch überraschend klare Worte dafür, dass sie aus dem Mund des deutschen Wirtschaftsministers kommen.

SPD-Eiertanz

Wieso hat er sie also ausgerechnet jetzt gesagt? Die Gründe dafür sind wohl weniger in der Sache selbst, als in seiner Partei zu finden.

Am 19. September will die SPD auf einem eigenen Konvent in Wolfsburg ihre Position zum CETA-Abkommen zwischen der EU und Kanada festlegen. An der SPD-Basis ist das Abkommen, das TTIP-Kritikern als Blaupause für das Freihandelsabkommen mit den USA gilt, umstritten.

"Aus meiner Sicht kann kein sozialdemokratisches Mitglied eines Parlaments diesem Abkommen in der vorliegenden Fassung zustimmen", ließ Bundestagsabgeordneter Matthias Miersch im Vorfeld wissen.

Auf die Frage, was es für den SPD-Vorsitzenden Gabriel bedeuten würde, wenn seine Partei das CETA-Abkommen ablehnt, das er als Wirtschaftsminister ausgehandelt hat, wollte sich Gabriel im ZDF-Sommergespräch gar nicht erst einlassen: "Ja, das wird ja nicht passieren. Wir werden das ganz sicher klug beraten und dann am Ende entscheiden."

Hintergrund: "Reizwort TTIP" - Worum geht's genau?

CETA ist für Gabriel ein Problemfall, seit er für die SPD das Wirtschaftsministerium in der großen Koalition übernommen hat. Im September 2014 wollte er die fertig verhandelten Investitionsschutz-Regeln in letzter Minute ablehnen, woraufhin ihm just Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter einen Eiertanz zwischen SPD- und Wirtschaftsinteressen vorwarf.

TTIP und CETA - zwei komplett voneinander getrennt zu beurteilende Abkommen?

Inzwischen will Gabriel eine Linie gefunden haben, mit der sich SPD-Vorsitz und Wirtschaftsministerium vereinen lassen sollen: CETA ja, TTIP (eher) nein.

Für Gabriel ist CETA keine Blaupause für TTIP, im Gegenteil. "Bei Kanada ist es so: Das ist eine sozialliberale Regierung dort", sagte der SPD-Vorsitzende am Sonntag. "Bei den ganzen Abkommen, die wir als Deutsche selber geschlossen haben, ist das ein Riesenschritt nach vorne und ich setze sehr darauf, dass die ausgehandelten Inhalte am Ende überzeugen."

Aufregung um TTIP: Warum ausgerechnet jetzt?
Und zu TTIP? Das klang imZDF-Sommergespräch so: "Da bewegt sich nichts. Wir dürfen uns als Europäer den Amerikanern nicht unterwerfen." Die Debatte sei nur leider sehr schwierig, weil das Abkommen mit Kanada und das mit der USA in einen Topf geworfen wurden. "Und das ist falsch."

Gabriel will in seiner Partei wieder an Profil gewinnen, und das geht mit Kritik an TTIP nunmal besonders leicht. Das Freihandelsabkommen ist unpopulär wie nie. Im ARD-Deutschlandtrend gaben 70 Prozent der Befragten an, TTIP kritisch zu sehen. Dass er damit auch Kritik seines Koalitionspartners auf sich ziehen würde, scheint da nicht weiter zu stören. Im Gegenteil.

Kanzlerin Merkel steht nach sinkenden Umfragewerten wegen der "K-Frage", wie deutsche Medien die Diskussion um eine mögliche Wiederkandidatur Merkels für eine vierte Amtszeit getauft haben, unter Druck.

Gabriel hat solche Situationen in der Vergangenheit schon für einen guten Zeitpunkt gehalten, sich auch innerhalb der großen Koalition zu profilieren. Ein glückliches Händchen hat der SPD-Chef dabei allerdings noch nicht bewiesen. Seine Kritik an Merkels "Wir schaffen das"-Credo sorgte ausgerechnet innerhalb der eigenen Partei für die größten Verwirrungen. Am SPD-Parteitag im Dezember vergangenen Jahres stimmten trotzige 74,3 Prozent der Genossen für den Wirtschaftsminister.

Die K-Frage hat übrigens auch Gabriel noch nicht beantwortet.

Kommentare