Atomic-Chef Mayrhofer: „Skifahren ist in China etwas Exotisches“
Mit dem Schnellzug ist man binnen 50 Minuten von Peking bei den Austragungsorten der Winterspiele. Wolfgang Mayrhofer, langjähriger Atomic-Chef und Sprecher der österreichischen Ski-Industrie, über den Hoffnungsmarkt China und Neo-Skifahrer, die sich die Skischuhe verkehrt herum anziehen.
KURIER: Seit einer gefühlten Ewigkeit fiebert die Ski-Industrie den Olympischen Winterspielen entgegen und dann das: Corona und Boykott-Aufrufe. Es könnte besser laufen, oder?
Wolfgang Mayrhofer: Wir sind Ausstatter für rund Hundert Athleten. Für viele sind diese Spiele die letzte Chance auf eine Olympische Medaille. Unsere Aufgabe ist es, im entscheidenden Moment das beste Produkt zur Verfügung zu stellen und ihnen als Ausstatter den Chance auf den maximalen Erfolg zu geben.
Wünscht man sich als Ski-Hersteller einen chinesischen Ski-Helden, der sein Volk nachhaltig für den Sport begeistert?
Es geht immer um Persönlichkeiten, egal ob aus Österreich, Norwegen oder Italien. Die chinesischen Athleten sind im Park-&-Pipe/Freestyle-Bereich sehr gut unterwegs, da haben sie auch Medaillenchancen. Sie haben auch einige Langläufer und Biathleten, die in vordere Ränge hineinlaufen können. Im Alpinbereich sind sie noch nicht so weit, aber mit unserer Unterstützung – Trainer, Know-how, Produkte – sollten sie dann bei den nächsten Olympischen Spielen in Italien erfolgversprechende Teilnehmer am Start haben.
China gilt seit seinem Zuschlag zu den Olympischen Winterspielen als Hoffnungsmarkt für die Wintersportindustrie. Von welchen Dimensionen reden wir da?
China ist mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnern groß, aber mittelfristig sehe ich ein Potenzial von 350.000 bis 370.000 verkauften Paar Ski im Jahr. Das ist in etwa die Größenordnung von Österreich oder Frankreich.
Immerhin. Österreich ist der zweitgrößte Skimarkt nach den USA. Wäre es mit dem Wachstum in China sinnvoll, gleich dort zu produzieren – statt in Österreich?
Derzeit werden in China 50.000 Paar Ski im Jahr verkauft, das ist quasi nichts. Auch in Zukunft wird es nicht um Riesendimensionen gehen. Für eine Verlagerung der Produktion nach China fehlt jede Perspektive.
Warum genau?
Weil alle Zulieferbetriebe rund um Österreich angesiedelt sind und die Branche sehr kleinteilig strukturiert ist. Von unserem chinesischen Mit-Eigentümer kommt auch ein klares Bekenntnis zur Produktion in Altenmarkt. Die Eigentümer denken langfristig, wir haben gerade in unser Logistik-Zentrum investiert und weitere Investitionen beschlossen.
Apropos Investitionen: China hat in Skigebiete investiert. Rund 50 ernst zu nehmende soll es schon geben. Wie kann man sich so ein neues Skigebiet vorstellen?
Sie funktionieren ganz anders als in Österreich, viel mehr nach dem amerikanischen Modell. Das heißt, es gibt einen Konzern, dem von den Hotels und Restaurants über den Skilift bis zum Verleih alles gehört. Da ist nichts so kleinstrukturiert wie bei uns in Österreich.
Ist das gut oder schlecht für die Erschließung des chinesischen Marktes?
Gut, weil ein Ski-Urlaub für Neo-Wintersportler so einfach im Paket buchbar ist. Das ist wichtig, weil die Eintrittsbarrieren so gering wie möglich sein müssen. Die Züge, die einen in 50 Minuten von Peking ins Gebiet bringen, sind auch ein Gewinn.
Ski fahren lernt man nicht an einem Wochenende. Eine Erfahrung, die viele Chinesen gerade machen, die mit ihrer Leihausrüstung bis zur Bergstation fahren, dort drei Mal Umkippen und nie wieder auf die Piste zurückkehren ...
Skifahren ist in China etwas Exotisches, elitäres. Wir hatten schon Leute, die sich in der Verleihstation die Skischuhe verkehrt herum angezogen haben. Tatsächlich leiht sich die Social-Media-Gesellschaft gern die Ausrüstung, posiert, teilt die Bilder. Wir versuchen aber, die Leute langfristig für den Sport zu gewinnen.
Wie soll das gehen?
Mit den richtigen Leuten in den Verleihstationen und Skischulen. Wir haben vor vier Jahren mit der Ausbildung von Skilehrern begonnen. Das Potenzial ist da, Outdoor-Sport boomt. Die Bewohner aus Peking wollen raus aus dem Smog in die frische Luft. Und Skifahren gilt bei den Reichen als chic. Gucci und Prada haben in den Pekinger Auslagen Ski stehen. Der Lifestyle von St. Moritz oder dem Arlberg imponiert der Oberschicht. Es gibt schon übrigens jetzt fantastische Skifahrer in China, die fliegen übers Wochenende nach Japan in den Skiurlaub – der Flug von Peking dauert ja nur zwei Stunden.
Marcel Hirscher, über ein Jahrzehnt Aushängeschild von Atomic, hat den Konzern zuletzt verlassen, um seine eigenen Skier zu produzieren. Kann das funktionieren?
Das ist keine einfache Übung, ich wünsche ihm viel Glück. Er wird viel investieren müssen, bei entsprechend kleinen Produktionsmengen.
Bei Atomic kann man sich auch seinen eigenen Ski designen und produzieren lassen. Ist das ein Geschäft?
Das ist mehr ein Marketingtool. Wir verkaufen ein paar Hundert dieser Ski, nicht mehr.
Sind die Lager derzeit eigentlich voll oder leer?
Leer. Die Nachfrage hat wieder angezogen, vor allem am US-amerikanischen Markt und in Kanada. Touren- und Langlaufski boomen. Wir sind derzeit damit beschäftigt, die Ski zu produzieren, die schon an die Händler verkauft sind.
Eigentümer
Anfang 2019 ist der chinesische Sportartikelriese Anta Sports beim finnischen Konzern Amer Sports eingestiegen, zu dem auch Atomic gehört
Geschäftsführer
Wolfgang Mayrhofer ist ein Urgestein der Ski-Industrie. Seit 1986 ist er für Atomic tätig
Markt
Österreich war vor Ausbruch der Pandemie mit einem Absatz von 444.900 Paar Ski (Alpin- und Tourenski) weltweit der zweitgrößte Absatzmarkt nach den USA. Angekurblet werden die Umsätze auch von Touristen und Verleihstationen. Bereits mehr als jeder zweite neu produzierte Ski landet in einer Verleihstation
Kommentare