Raimund Löw: Der Journalist, der sich das Mikro nahm

Live vor hunderten Millionen verfolgt: Raimund Löw stellt eine nicht abgesprochen Frage an Chinas Nummer zwei.
ORF-Mann Raimund Löw ist seit Sonntag in China weltberühmt. Warum? Er stellte dem Premierminister eine nicht abgesprochene Frage.

Am Sonntag ruhten in China alle Augen auf Premierminister Li Keqiang: Der zweite Mann im Staat gab seine jährliche Pressekonferenz zum Ende des zehntägigen Volkskongresses. Im Publikum: Rund 900 Journalisten, Diplomaten und politische Würdenträger. Den Berichterstattern kam dabei die Rolle zu, vorher abgesegnete Fragen an Li zu richten, die dieser dann – ebenso vorbereitet – beantwortete. Aus der Reihe tanzte unabsichtlich ORF-Korrespondent Raimund Löw, der für seinen Sitznachbarn das Mikro nahm und eine Frage zur Krim-Krise stellte – die vorab nicht genehmigt worden war. Der Premier staunte und ein Millionenpublikum mit ihm.

Der KURIER erreichte Löw in Peking, der sich angesichts seines neuen Ruhmes amüsiert zeigte, aber mit keinen Schwierigkeiten für seine Arbeit rechnet.

Raimund Löw: Der Journalist, der sich das Mikro nahm
Raimund Löw bei der PK des chinesischen Premiers
KURIER: Herr Löw, Sie sind als Korrespondent binnen dreier Monate in China zum Objekt der Berichterstattung geworden. Wie kam es zu dem Mikro-Missverständnis?

Raimund Löw: Die Pressekonferenz des Premierministers ist ein Staatsakt, und wir sind als Auslandskorrespondenten eingeladen, zur Pressekonferenz zu kommen. Dabei ist es Usus, dass man die Frage eine Woche vorher beim chinesischen Außenministerium bekannt gibt.

Sie planten eine Frage zur russischen Annexion der Krim, die nicht genehmigt wurde. Und ich bin deswegen nicht davon ausgegangen, dass ich eine Frage stellen werde dürfen. Bei der Pressekonferenz saß ich im hinteren Bereich der Halle neben dem Kollegen von der spanischen Agentur Efe. Aufgrund der Akustik war da hinten nicht immer so klar, wer gerade aufgerufen wird. Auch für die Saaldiener, die die Mikrofone bringen. Dann wurde jemand mit "f" aufgerufen, und ich war der Meinung, das war "ORF". Auch der Kollege von der Efe, der gemeint war, hat nicht reagiert. Der Saaldiener kam auf mich zu und hat mir das Mikrofon entgegengehalten. Ich habe also meine Frage gestellt. Dass dann in den Zeitungen gestanden ist, ich hätte das Mikrofon geschnappt, ist völliger Unsinn. Es war allerdings für die Hunderten Millionen Zuseher im TV klar, weil die guten Ton hatten. Die chinesischen Medien haben eine große Geschichte daraus gemacht, was ich interessant fand, weil es das Bedürfnis zeigt, dass einmal etwas nicht planmäßig abläuft.

Wie war der Tenor der Berichte? Wurden Sie kritisiert oder gelobt?

In etwa so: "Da sieht man, wie interessant die Pressekonferenz des Premiers ist, wenn sich die europäischen Korrespondenten das Mikrofon aus der Hand reißen."

Sie haben Li gefragt, ob die Krim Russland oder der Ukraine gehört. Was war die Antwort?Es sei ein kompliziertes Problem, und er sei dafür, dass das im Dialog gelöst wird. Da weicht er meiner Meinung nach von der russischen Position doch ab. Putin will sicher keinen Dialog – der möchte die Krim.

Erwarten Sie sich Nachteile durch die ungeplante Frage?Es kommt natürlich immer wieder vor, dass Korrespondenten in China Probleme haben, aber nicht wegen so etwas, das glaube ich nicht. Es ist ja nichts passiert.

Sie sind seit Jänner für den ORF in Peking stationiert. Was hat Sie in dieser Zeit am stärksten beeindruckt?

Die prägendste Erfahrung für mich ist immer, wenn ich im Büro sitze und auf die Weltkarte schaue, auf der China in der Mitte ist und Europa ganz am Rand. Das verändert die Perspektiven und die Dimensionen: Wir streiten in Europa, ob wir mit Griechenland zurechtkommen oder nicht. Das sind zwei Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung. Gleichzeitig hat Griechenland nicht einmal so viele Einwohner wie Peking.

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