"Man könnte es für Satire halten"

Literaturwissenschafterin Daniela Strigl: "Heutzutage hängen ja auch die öffentlich-rechtlichen Sender stark an der Quote, was nicht Sinn der Sache ist, dafür wurden sie nicht gegründet".
Germanistin Daniela Strigl erklärt, warum sie sich aus der Jury des Bachmannpreises verabschiedet hat und was sie zur Zentralmatura sagt.

Voriges Jahr wollte man ihn ganz abschaffen, heuer zeichnet sich der ORF durch fragwürdigen Umgang mit den Jury-Mitgliedern aus: Der Sender scheint derzeit kein gutes Händchen für den Bachmannpreis zu haben. Der Rückzug der Literaturkritikerin Daniela Strigl aus der Jury war das Gesprächsthema auf der Frankfurter Buchmesse und veranlasste Autoren wie Kathrin Passig und Clemens J. Setz, einen Protestbrief an den ORF zu schreiben, den fast 300 Journalisten und Schriftsteller, darunter Elfriede Jelinek, unterzeichnet haben.

KURIER: Sind Sie überrascht über das Echo Ihres Rücktritts?

Daniela Strigl: Ja, sehr. Ich habe nie damit gerechnet, dass das so viele Leute interessiert. Dass sich da so eine Fangemeinde artikuliert.

Was ist denn aus Ihrer Sicht genau passiert?

Ich wurde vom zuständigen Redakteur des ORF gefragt, ob ich mir vorstellen könne, nach dem Rückzug von Burkhard Spinnen den Vorsitz der Jury zu übernehmen. Ich habe, auch aus privaten Gründen, Bedenkzeit erbeten. Es hängt ja auch von der Zukunft des Preises ab. Wenn man daraus eine Casting-Show machen wollte, würde ich nicht zur Verfügung stehen. Im Juli beim Wettbewerb hat man mir das erneut angeboten. Auch Burkhard Spinnen hat sich gewünscht, dass ich das mache, und Hubert Winkels hat mir ebenfalls zugeredet. Ende September fand eine weitere Sitzung statt, und besagter Redakteur teilte mir danach mit, dass sich die Gremien nun für Hubert Winkels entschieden haben. Es wäre kein Problem gewesen, wenn man das von Anfang an gesagt hätte, aber unter diesen Voraussetzungen hatte ich dann keine Lust mehr.

Der ORF schien voriges Jahr überrascht, dass sich so viele Leute überhaupt für den Bachmannpreis interessieren.

ORF-Chef Alexander Wrabetz hat sich das dann vor Ort angeschaut. Er hatte keinen leichten Stand. Er hat sich hingetraut und war ganz erstaunt. Dann hat er sogar die Petition gegen sich selbst unterschrieben.

Sie haben Veränderungen angesprochen, das Wort "Casting-Show" ist gefallen. Was meinen Sie konkret?

Heutzutage hängen ja auch die öffentlich-rechtlichen Sender stark an der Quote, was nicht Sinn der Sache ist, dafür wurden sie nicht gegründet. Es gab immer wieder Versuche, den Bewerb unterhaltsamer und TV-tauglicher zu machen. Aber die Literatur kriegt man eben nicht raus. Ein Problem für das Fernsehen. Ich setze mich dafür ein, dass die Literatur weiter im Zentrum steht. Es muss seriös bleiben, das ist man Leuten, die antreten, schuldig.

Werden Sie sich den Wettbewerb künftig im Fernsehen anschauen?

Ich hab mir das früher angeschaut, schon in der Schule, und ich werde das auch weiterhin tun. Bei Reich-Ranicki hab ich mir oft gedacht: Dafür muss man schon eine gute Haut haben!

Bei ihm wurden Bücher noch regelrecht vernichtet.

Ich glaube, dass man als Literaturkritiker auch Verrisse schreiben muss. Das bin ich den herausragenden Büchern schuldig. Wenn ich alles lau und mittelgut bewerte, ist alles eins. Kritik heißt Farbe bekennen.

Ein Wort zur Zentralmatura. Künftig kann man ohne Literaturkenntnisse maturieren.

Katastrophal! Die Germanistik hat das leider verschlafen. Ich halte es für gefährlich, wenn man solche Pläne den sogenannten Bildungsexperten überlässt. Man merkt es ja schon jetzt: Literaturgeschichte wurde aus den Lehrplänen verdrängt. Es kommen jetzt Maturanten an die Uni und beschäftigen sich erst hier mit Dingen, die man früher in der Schule gelernt hat. Goethe wird man künftig vielleicht noch kennen, aber Büchner oder Kleist nicht mehr. Die Literatur verschwindet aus dem Unterricht. Eine Bankrotterklärung! Das ganze Gerede von Persönlichkeitsbildung und Kritikfähigkeit wird damit Lügen gestraft, denn dazu ist ja die Kunst da! Diese Pläne zur Zentralmatura sind so verrückt, dass man sie für eine Satire halten könnte.

Zur Person Die Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl (*1964 in Wien) lehrt an der Universität Wien Neuere deutsche Literatur. Sie wurde u. a. mit dem Österreichischen Staatspreis für Literaturkritik ausgezeichnet. Von 2003 bis 2008 sowie seit 2011 war sie Jurorin beim Bachmann-Preis und trat nun zurück. Der Grund: Sie sei vom ORF als Vorsitzende zunächst eingeladen und dann wieder ausgeladen worden. Der ORF bestreitet, ihr jemals eine fixe Zusage gegeben zu haben.

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