60 Jahre Fernsehen – ist bald genug?

Hochamt Smartphone: Der Videokonsum nimmt auf den Telefonen rasant zu
Die Jungen verabschieden sich vom klassischen TV. Dafür schauen wir alle mehr als je zuvor.

Österreich feiert 60 Jahre Fernsehen. Der ORF bittet seine Seher daher zu Spezialführungen auf den Küniglberg, wo etwa die "ZiB"-Tour, der "Wetter"-Rundgang oder die "heute leben"-Besuche warten. "Die jungen und jüngsten Besucher können im ORF auch ihren Geburtstag feiern", verspricht eine Pressemitteilung.

Auch die RTL-Werbevermarktungsfirma IP freut sich über den bisher höchsten Fernsehkonsum in Europa. Demnach ist die tägliche Nutzung pro Kopf von 234 auf 237 Minuten gestiegen. Alles roger am TV-Kontinent?

Eher nein. Denn die Geburtstagsfeiern der Jungen am Küniglberg könnten in den nächsten Jahren rarer werden. Das legt zumindest ein Blick in den Trendmarkt USA nahe. Dort verabschiedet sich die junge Zielgruppe immer häufiger von der klassischen Flimmerkiste, wie die Statistiken zeigen: Laut dem US-Teletest "PUT" ("Persons Using Television") ist der TV-Konsum bei den 18- bis 24-Jährigen in der heurigen Fernsehsaison um 20 Prozent gefallen. Bei den jungen Männern saß fast ein Viertel weniger vor dem Fernseher. Während das lineare Fernsehen über alle Altersschichten auch in Amerika wichtig bleibt, wird es in Zukunft eng für die TV-Stationen, es sei denn, die Jungen von heute werden auf wundersame Weise Zuseher von morgen.

Kleiner, besser

60 Jahre Fernsehen – ist bald genug?
epa03850597 A person stands in front of a screen with flatscreen televisions during the press day at the consumer electronics fair IFA in Berlin, Germany, 04 September 2013. The IFA takes place from 06 to 11 September, and claims to be the largest consumer electronics fair. EPA/RAINER JENSEN
Derzeit treiben sich die 16- bis 34-Jährigen statt vor dem Statussymbol Flatscreen lieber am Telefon herum. Die immer besseren Smartphones sind der wichtigste Schirm für die jungen Konsumenten – auch im Videobereich. Lineares Fernsehen ist laut einer Studie des Technologiekonzerns Ericsson hingegen ans Alter geknüpft: 82 Prozent der 60- bis 69-Jährigen schauen täglich fern. Bei den 16- bis 34-Jährigen sind es nur 60 Prozent.

Kleiner ist offenbar für alle besser: Seit 2012 hat die quer durch die Altersgruppen die Zahl der Videoabrufe am Smartphone um 71 Prozent zugenommen. Gleichzeitig steigt der Konsum von Streaming über Internet; Laut Ericsson schauten die Befragten 2011 rund 2,9 Stunden pro Woche Streaming. Vier Jahre später sind es bereits sechs Stunden.

Diskrepanz

In Österreich ist der Fernsehmarkt durch neue Player wie Netflix, Amazon Prime und andere Internetkonzerne aus den USA noch nicht über den Haufen geworfen worden, wie Umfragen der Mediaagentur Mindshare zeigen. Insgesamt gaben zu dem Thema 85 Prozent der Befragten an, zwar eine Streaming-Plattform zu kennen, nur 37 Prozent nutzen sie jedoch auch. Auch hierzulande ist Streaming vor allem eine Domäne der Jungen. Ernüchternd sind die Zahlen für Netflix: 56 Prozent der Befragten kennen den Dienst, aber nur elf Prozent sind Kunden.

Live is life

Was rettet das gute, alte Fernsehen? Ein Indiz steckt in den Zahlen von RTL: Ausschlaggebend für die hohe TV-Nutzung waren nämlich große Live-Ereignisse wie die Fußball-WM in Brasilien und die Olympischen Winterspiele in Russland. Nach 60 Jahren ist der Abgesang aufs klassische Fernsehen womöglich noch zu früh. Aber der eine oder andere Weltklasse-Kick dürfte auch nicht schaden.

Kommentare