APG-Vorstand: "Unser Stromnetz ist am Limit"
Die Austrian Power Grid (APG) ist für das heimische überregionale Übertragungsnetz und damit für die Versorgungssicherheit in Österreich verantwortlich. Der KURIER sprach mit Vorstand Gerhatd Christiner über die aktuelle Causa Wien Energie, die Strompreis-Entwicklung und die Robustheit des Strommnetzes.
KURIER: Können Sie uns die massiven Turbulenzen bei der Wien Energie erklären?
Gerhard Christiner: Die Details kenne ich natürlich nicht. Aber Faktum ist, dass wir auf dem Strommarkt extremste Preisaufschläge sehen und sich die Stromhändler gegen diese Preisaufschläge absichern müssen. Um so eine Absicherung zu tätigen, muss man auf dem Terminmarkt Sicherheiten hinterlegen. Da sind derzeit gewaltige Geldmittel erforderlich.
Erwarten Sie, dass andere Stromanbieter ebenso Hilfe brauchen werden?
Ich glaube, wir haben in Österreich nicht so viele Unternehmen, die diese Volumina am Strommarkt bewegen. Ich sehe das Risiko nicht.
Der Kanzler spricht von einem „Irrsinn“ auf dem Energiesektor. Wie ist Ihre Einschätzung?
Man muss differenzieren zwischen dem Strommarkt mit der berühmten Merit Order Kurve (Anm.: das teuerste Kraftwerk bestimmt den Preis) und dem physikalischen Stromsystem. Durch den Ukraine-Krieg hat es extreme Ausschläge auf dem Gasmarkt gegeben. Wir haben zudem eine große Trockenheit. In Frankreich gibt es große Probleme mit den Atomkraftwerken. Das alles ist schon eine toxische Mischung.
Das Merit-Order-System hat lange Zeit funktioniert. Ist es jetzt überholt?
Würde ich nicht sagen. Es wurde 2001 mit der Liberalisierung eingeführt und stetig weiterentwickelt. Das ist ein sehr komplexer Prozess. Natürlich, wenn man jetzt diese extremen Preise sieht, dann ist die Politik gefordert zu handeln. Man muss aber aufpassen und sich gut überlegen, wie man hier eingreift. Sonst richtet man noch größeren Schaden an.
Die Menschen leiden unter den hohen Energiepreisen. Wie geht das weiter?
Wenn es wirklich zu einer extremen Verknappung im Winter kommt, dann kann der Energiepreis noch einmal signifikant steigen. Das Merit-Order-Modell kennt nach oben keine Grenzen.
Ukraine-Krieg und Gasverknappung, Atomkraftwerke, die man abschalten will, Trockenheit durch den Klimawandel und damit weniger Wasser in den Kraftwerken. Droht die Strommangellage?
Wir analysieren und simulieren die europäische Lage in Modellen. Aber es sind zu viele Fragen offen: Wird es im Herbst wieder richtig regnen? Wie kalt wird es? Was passiert mit den Gaslieferungen aus Russland?
Manche sprechen gar von einer Strom-Systemkrise?
In Summe hat man es nicht verstanden, dass der Weg von einem thermisch dominierten Energiesystem hin zu einem von Erneuerbaren dominierten Energiesystem mehr ist, als nur Kraftwerke abzuschalten und neue Anlagen zu bauen. Wind und Sonne sind selten konstant. Idealerweise geht das nur, wenn man Speicher hat und diese müssen erst einmal gebaut werden. All das muss man in unserem Energiesystem von Grund auf neu planen, gut überlegen und relativ zügig implementieren. Hier läuft aktuell einiges nicht synchron.
Haben wir zwar gute Absichten aber zu wenig Plan?
Wir brauchen eine bessere Zusammenschau und einen Plan. Wo stehen die großen Windräder morgen? Wie wollen wir unser Netz darauf aufbauen? Es muss alles in sich zusammenpassen. Wenn es diesen Plan nicht gibt, dann ist alles sehr unkoordiniert. Dann wartet die eine Stelle auf die andere und es verzögert sich alles und ist nicht stimmig.
Generell gefragt: Wie belastet ist unser Stromsystem?
Sehr belastet. Auch, weil Österreich aufgrund seiner zentralen Lage in Europa die Entwicklungen in den Nachbarländern mitträgt. Wir sind nicht nur selbst Importeur, sondern auch unsere südosteuropäischen Nachbarn importieren. Da fließt sehr viel Strom über Österreich.
Die APG
Das Kerngeschäft der Austrian Power Grid (APG) ist für das überregionale Übetragungsnetz verantwortlich. Die APG ist sozusagen der Verbinder zwischen Kraftwerken und Kunden. Als Teil des europäischen Stromnetzes wird auch der gesamte Stromhandel über die APG abgewickelt
Gerhard Christiner
Der Energieexperte ist seit 2012 Technik-Vorstand der APG. Zuvor war er im Verbund, bei der E-Control und als Consultant in der E-Wirtschaft tätig, wo er auch in Kirgistan und Usbekistan Aufträge hatte
Interview in voller Länge mit Gerhard Christiner
Wir reden regelmäßig über Blackouts, wie groß ist die Gefahr wirklich?
Wir sehen das Risiko eines Blackouts nicht akut. Störungen und Gebrechen und eine Mangellage sind aber denkbar. Was das Stromnetz angeht: Man drängt uns immer mehr dazu, alle Reserven rauszuholen. Wir gehen ans Limit des Systems. Stellt sich die Frage: Wie viel Resilienz gönnen wir uns? Das ist sicher auch mit dem Regulator zu diskutieren. Wir müssen davon ausgehen, dass wir in Zukunft mehr vom Strom abhängig sein werden.
Wir brauchen also Reserven?
Ja, und die müssen uns etwas wert sein. Wenn diese Investitionen nicht getätigt werden, dann bringen wir auch den grünen Strom nicht zu den Kunden. Die Kraftwerke sind das Herz, die Stromnetze sind die Venen. Und wenn die Venen nicht durchlässig sind, dann wird es problematisch.
Wann könnte sich die Lage wieder entspannen?
Im Stromsystem geht nichts schnell. Wir haben beschlossen, wir schalten Kohlekraftwerke ab, schalten Atomkraftwerke ab, setzen auf Erneuerbare. Aber die sind leider noch nicht ausreichend da. Und als Brückentechnologie nehmen wir die Gaskraftwerke. Damit haben wir uns natürlich sehr stark vom Gas abhängig gemacht. Eine schnelle Erholung? Sehe ich nicht.
Ein Tipp vom Experten zum Energiesparen?
Anzuerkennen, dass Energie einen Wert hat. Und mit Bedacht damit umgehen.
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