Andritz-Chef: "In Europa ist die Regulierungswut stark ausgeprägt"
Der börsennotierte steirische Anlagenbauer Andritz hat das Geschäftsjahr 2023 mit Rekorden bei Umsatz und Gewinn abgeschlossen. Im KURIER-Exklusivinterview erläutert Konzernchef Joachim Schönbeck die Gründe und wie die grüne Transformation ohne große bürokratische Hürden gelingen könnte.
KURIER: Es gibt viele Industrieunternehmen, die ein nicht so erfolgreiches Jahr hinter sich haben. Worauf ist zurückzuführen, dass Andritz gegen den Trend unterwegs ist?
Joachim Schönbeck: Wir haben uns in einem schwierigen Umfeld mit Materialpreissteigerungen, Exportverboten und Lieferkettenschwierigkeiten gut geschlagen. Wir hatten einen hohen Auftragsbestand, den wir abgearbeitet haben und er ist trotzdem mit 10 Milliarden Euro noch immer so hoch wie vor 12 Monaten. Daher schauen wir auch recht zuversichtlich in das laufende Jahr.
Gibt es Bereiche, in denen es in den nächsten Monaten Probleme geben könnte?
Ich sehe keine, wir haben einen konstanten Markt. Gut läuft es bei grünen Technologien und in Nordamerika. Möglicherweise werden wir intern Kapazitätsverschiebungen dorthin haben. Etwa auch zu Hydro. Wir haben den Eindruck, dass erkannt wurde, wie wichtig Wasserkraft ist, gerade mit den Pumpspeicherkraftwerken, um die Fluktuation bei Solar und Wind im Netz auszugleichen. Da haben wir wichtige Aufträge etwa aus Griechenland und Österreich bekommen.
Wo in Österreich?
Wir liefern die elektromechanische Ausrüstung für das neue Pumpspeicherkraftwerk Ebensee der Energie AG. Wir sehen in Österreich noch Potenzial für Wasserkraft, obwohl wir schon einen sehr hohen Anteil im Land haben.
Apropos Strom: wie sehr belasten die Energiepreise Ihr Unternehmen?
Wir sind als Maschinenbauer von hohen Energiepreisen wenig betroffen. Wir kaufen Stahl und Kupfer ein, die sind natürlich mit den Energiepreisen gestiegen, aber wir selbst sind kein großer Energieverbraucher. Wir sehen aber die Problematik, dass die energieintensiven Industrien in Europa eine sehr schlechte Perspektive haben. Vor allem in Deutschland und Österreich tun sich die Kunden schwer, im Wettbewerb zu stehen. Es tut uns aber weh zu sehen, wie schwer wir uns als Gesellschaft tun, die Industrie im Land zu halten.
Was müsste geschehen?
Wir müssten zu einer Idee kommen, wie wir die grüne Transformation zu wirtschaftlich leistbaren Bedingungen umsetzen können. Wir versuchen unseren Beitrag zu leisten, indem wir Technologien bereitstellen, die wirtschaftlich attraktiv sind.
Welche wären das zum Beispiel?
Wir arbeiten etwa an Elektrolyse für grünen Wasserstoff, Kohlendioxid-Abscheideanlagen oder wie man aus dem Zellstoffprozess heraus Biomethanol gewinnen kann. Bei den Großinvestitionen, die notwendig sind, das alles zu implementieren, wird die grüne Transformation eine lange Zeit brauchen. Aber jedes Jahr, das wir weiter zuwarten, ist ein vergeudetes Jahr.
Gibt es ein Zuwarten?
Wenn man sich zum Beispiel die Historie vom Speichern von Co2 ansieht, dann gab es bereits 2008 ein Konzept für ein Kohlekraftwerk bei Köln, eine Co2-Abscheideanlage zu bauen. Das war alles in trockenen Tüchern, bis es eine politische Entscheidung gab, dass man das nicht möchte. Jetzt will man es wieder zulassen. Da haben wir 15 Jahre verloren. Die fehlende Technologieoffenheit schadet uns. Bei den Technologien, wo es heute Denkverbote gibt, werden wir das in 20 Jahren bedauern. Wenn wir weniger dirigistisch vorgehen und dafür mehr Ideenwettbewerb zulassen, werden wir unser Ziel schneller erreichen.
Der 59-jährige Joachim Schönbeck ist seit knapp zwei Jahren Konzernchef. Er ist schon seit 2014 im Vorstand von Andritz. Davor war der gebürtige Deutsche in diversen Führungspositionen, etwa bei Mannesmann oder Siemens.
Die Bilanz 2023
Der Umsatz stieg gegenüber dem Vorjahr um 15 Prozent auf 8,7 Mrd. Euro, das operative Ergebnis um 14 Prozent auf 742 Mio. Euro und unterm Strich blieb ein Konzerngewinn von 504,3 Mio. Euro. Den Aktionären soll bei der Hauptversammlung eine Erhöhung der Dividende von zuletzt 2,10 Euro auf 2,50 Euro je Aktie vorgeschlagen werden.
Bezüglich Wasserstoff gibt es derzeit hohe Erwartungen. Teilen Sie diese?
Es gibt viel Euphorie, aber wir Ingenieure sind daran gewohnt, mit Realismus an die Sache heranzugehen. Wasserstoff ist eine Co2-neutrale Energiequelle, aber sie ist sehr viel teuer als Öl und Gas. Der Nutzen, das kein Co2 emittiert wird, kostet also etwas. Das zu negieren, bringt uns nicht weiter. In Europa können wir es uns leisten, aber unser Anspruch ist es, Lösungen zu entwickeln, die auch in anderen, ärmeren Regionen nutzbar sind.
Ein weiteres Problem stellt generell die Überregulierung in Europa dar. Ist das für Andritz als globaler Konzern ein europäisches Alleinstellungsmerkmal?
In Europa ist die Regulierungswut sicher besonders stark ausgeprägt. Und es ist ja noch mehr geplant. Etwa das Lieferkettengesetz oder die Taxonomie. Das bringt alles Berichtspflichten, die einen guten Kern haben. In der bürokratischen Ausschöpfung aber sicher ein Überschwingen darstellt. Wenn man sich das Lieferkettengesetz ansieht, beinhaltet es auch alle Lieferanten aus der EU nachzuweisen. Dabei haben sich ja alle Mitgliedsländer zu Mindeststandards bekannt. Das zeigt: Aus einer guten Absicht ist etwas geworden, was am Ende sehr viel Arbeit verursacht, ohne Nutzen zu bringen. Wir werden alles machen, was verlangt wird, aber es wird die Wettbewerbsfähigkeit Europas einschränken. Wir vermissen diesbezüglich die Briten in der EU, die immer ein mahnendes Wort für Marktoffenheit und gegen Dirigismus gesprochen haben.
Ein anderes Problem in Europa sind die hohen Lohnkosten.
Das ist für alle Unternehmen im Export sehr schwer zu verdauen. Wir verlieren Wettbewerbsfähigkeit. Das wird der Exportwirtschaft Österreichs Arbeitsplätze kosten. Das ist ein „gefährlicher Weg“, auch für Andritz. Auch wir müssen uns ansehen, was wir wo produzieren. Perspektivisch werden wir weniger in Österreich und Europa produzieren, aber das hängt auch mit dem Wachstum in anderen Märkten zusammen. Der Lohndruck beschleunigt diese Entwicklung.
Wo sind die Wachstumsmärkte von Andritz?
Ganz klar in Asien, allen voran China und Indien, Südamerika mit Brasilien und jetzt verstärkt Nordamerika. Dort gibt es eine starke Rückbesinnung auf die Industrie, die für uns viel Potenzial bietet. Und der Nahe Osten ist eine attraktive Region für erneuerbare Energien. Die Entwicklung ist da noch nicht weit vorangeschritten, aber die Geschwindigkeit der Projektentwicklung ist im Vergleich zu Europa relativ hoch. Die Umsetzung wird daher nicht lange dauern.
China ist aber beim Wachstum zurückgefallen.
Wir erwarten für China nicht mehr die Wachstumsraten wie vor 10 Jahren. Aber selbst bei drei Prozent werden gewaltige Investitionen getätigt. China nimmt auch das Thema Co2-Neutralität und Umweltschutz sehr ernst und daher besteht hoher Bedarf.
Wie stark spürt Andritz den Fachkräftemangel im Land?
Wir sind grundsätzlich gut aufgestellt, aber wir haben große Anstrengungen unternommen, um sowohl Ingenieure als auch IT- und KI-Experten zu gewinnen. Die Situation am Arbeitsmarkt hat sich zwar mit der wirtschaftlichen Eintrübung ein wenig geändert, aber es ist noch immer schwierig, Fachkräfte zu finden.
Könnten die so genannten „IT-Inder“ Österreich helfen?
Ich glaube nicht, dass wir Österreich mit indischen Arbeitskräften „retten können“, und das müssen wir auch nicht. Aber wir machen uns keinen Gefallen, wenn wir den Zugang von ausländischen Arbeitskräften unnötig erschweren; mehr Offenheit und Pragmatismus würden der Sache guttun. Wir haben jedenfalls schon Schwierigkeiten, wenn wir unsere eigenen Mitarbeiter für halbjährliche Schulungen nach Österreich holen wollen.
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