Geht China jetzt die Luft aus?

Chinas Wirtschaft bleibt aber hinter den Zielen zurück.
Abwertung, Tag drei: Erst der Börsenabsturz, jetzt die Konjunkturschwäche – die Finanzwelt hält den Atem an.

Chinas überraschende Währungsabwertung hat alle auf dem falschen Fuß erwischt. Am Donnerstag wurde bekannt, dass Peking den Yuan den dritten Tag in Folge abwertet.

Die Märkte reagierten geschockt: Ist es so schlimm um die Wirtschaft bestellt, dass Peking doch wieder die Exporte ankurbeln muss? Das wäre ein Rückschritt. Früher hatte China die Welt mit Billigprodukten überschwemmt und Betonburgen in Geisterstädten errichtet, die wohl nie jemand bewohnen wird. Die staatlich dominierten Banken häuften riesige Schuldenberge an. Dafür sitzt der Staat dank den Handelsüberschüssen auf 3700 Milliarden Dollar in Fremdwährungen und weiß nicht recht, wie er diese gegen Wertverlust absichern soll.

Diese Fehler wollte Peking künftig vermeiden. Der Plan: Das Wachstum soll besser ausbalanciert sein und verstärkt aus dem Reich der Mitte selbst kommen. Die Unternehmen sollen höherwertige Produkte erzeugen und die Chinesen den Binnenkonsum ankurbeln. Jetzt geht aber das große Zittern los: Geht der Konjunkturlokomotive China der Dampf aus?

Absatzmarkt Knapp 1,4 Milliarden Chinesen, die das Geldausgeben entdecken? Das erschien Konsumgüterproduzenten wie ein Fünffach-Jackpot. Schließlich werden geschätzte 45 Prozent der Luxusgüter weltweit von Chinesen gekauft.

Jetzt gibt es plötzlich eine verkehrte Welt: Im Juli wurden in China nur 34.600 BMW und Minis verkauft – minus 6 Prozent, der dritte monatliche Rückgang in Folge. Dafür hat BMW plötzlich in Europa Rekordzahlen.

Auch Schweizer Uhren ticken jetzt anders – und werden an der Börse abgestraft. Weltmarktführer Swatch verkauft ein Fünftel seiner Produkte (vom Plastikmodell bis zum Edelstück Marke Blancpain oder Glashütte) in China. Bei Rivalen Richemont sind es 15 Prozent.

Touristen 100 Millionen Chinesen schwärmen jedes Jahr zum Sightseeing und Einkaufen aus. Jetzt haben viele Geld verloren: durch den Börsenabsturz im Juni/Juli und die Währungsabwertung, mit der der Yuan im Ausland weniger wert ist. Bleiben die Chinesen fern, würde das auch Wiens Tourismus schmerzlich spüren.

Investitionen Laut OECD ist China 2013 mit 108 Milliarden Dollar zum drittgrößten Auslandsinvestor hinter den USA und Japan aufgestiegen. Büßt der Yuan an Wert ein, werden diese Geldströme rasch schmäler. Die Euphorie ist schon jetzt gebremst. Die Aktien des chinesischen Amazon-Rivalen Alibaba, der im September 2014 an die Börse ging, haben heuer 26 Prozent an Wert verloren.

Geht China jetzt die Luft aus?
Sozialer FriedeSieben Prozent Wachstum und 10 Millionen neue Jobs in den Städten: Das war das Ziel, das Ministerpräsident Li Keqiang ausgegeben hatte. Jetzt dürfte China "nur" 6,5 Prozent BIP-Plus schaffen. Klingt wie ein Luxusproblem, aber Peking fürchtet nichts mehr als soziale Unruhen. Fehlen Jobs, wäre der Unmut unter den Hunderten Millionen Wanderarbeitern, die in die Städte strömen, groß. Oder bei den 6,5 Millionen Uni-Abgängern, die jedes Jahr mit Posten versorgt sein wollen.

Schulden Die nächste Finanzkrise könnte losrollen, wenn Chinas Schulden- und Immobilienblase platzt, fürchten Beobachter. Mit 3,7 Billionen Dollar Vermögen lässt sich zwar vieles abfedern. Müssten größere Teile dieser Reserven in Bares verwandelt werden, etwa um Banken zu stützen, wären die Turbulenzen an den Finanzmärkten aber gewaltig.

Währungskrieg Chinas Dreh an der Währungsschraube bestätigt US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump in den schlimmsten Befürchtungen: "Sie zerstören uns." Das ist maßlos übertrieben. Sollte es zu einem Abwertungswettlauf kommen, würde das aber tatsächlich allen schaden. Anzeichen für ein Mitziehen gibt es in Schwellenländern: Vietnam verdoppelte am Mittwoch die Spanne, in der die Landeswährung Dong schwankt. Womit diese schwächer werden darf.

Chinas Führung steckt in einer Zwickmühle. Was soll sie tun: Den Reformkurs fortsetzen oder die Wirtschaft stützen? Die Finanzwelt blickt gebannt in Richtung Peking.

Am Dienstag hatte die Zentralbank Chinas die Landeswährung Yuan um 1,9 Prozent abgewertet. Als „einmalige Maßnahme“, wie es hieß. Am Mittwoch war diese Einmaligkeit bereits wieder Geschichte. Erneut wurde der Yuan abgewertet, dieses Mal um 1,6 Prozent.

Geht China jetzt die Luft aus?
So viele Yuan für einen US-Dollar musste man schon seit drei Jahren nicht mehr hinlegen (siehe Chart). „Momentan gibt es keine Basis dafür, die Abwertung des Wechselkurses fortzusetzen“, so die Stellungnahme der Zentralbank am Mittwoch. Vielleicht ist sie heute, Donnerstag, aber wieder anderer Meinung.

Ab ins Währungskörbchen

Die Intervention der Notenbank kommt zwar überraschend, ist aber nicht von ungefähr. Seit Längerem bemüht sich China beim Internationalen Währungsfonds (IWF) darum, in einen Korb von internationalen Reservewährungen aufgenommen zu werden. Mit 50 bis 120 Milliarden Dollar soll Chinas Notenbank in den vergangenen zwölf Monaten interveniert haben, um den Yuan möglichst stabil zu halten. In der Vorwoche machte der IWF jedoch klar: Heuer dürfe das Reich der Mitte noch nicht mit einer Aufnahme in diesen Korb rechnen. Zuerst müsse das Land sein Finanzsystem weiter liberalisieren. Durch das vorläufige Nein des IWF scheint China die selbst gewählten Fesseln prompt gelöst zu haben. Ein winziges Stück Liberalisierung ist bei den Abwertungen aber doch dabei: Künftig will sich die Zentralbank bei der Festlegung ihrer Referenzkurse mehr an den Schlusskursen des Vortages orientieren, die im Devisenhandel entstehen.

Exportstütze

Mit den mittlerweile drei Abwertungen will China seine Währung, die davor stetig stärker geworden war, wieder etwas nach unten drücken. Damit soll den Exporteuren des Landes geholfen werden, da ihre Waren für Abnehmer im Ausland günstiger werden.

Marktturbulenzen

Geht China jetzt die Luft aus?
Aus Furcht davor, dass die Nachfrage aus China einbrechen könnte, zogen sich am Mittwoch erneut Investorenscharen aus Rohstoffen zurück. Kupfer etwa, das vor allem im Hausbau, im Maschinenbau und in der Elektrotechnik zum Einsatz kommt, fiel auf ein neues Sechs-Jahres-Tief (siehe Chart). Nickel, ein Metall, das bei der Stahlherstellung eingesetzt wird, wurde am Mittwoch beinahe panikartig verkauft. Der Preis stürzte um bis zu 15,4 Prozent ab.

An den Aktienbörsen standen die Titel von Unternehmen mit beträchtlichem China-Geschäft unter Druck. Ein krasses Beispiel dafür war der deutsche Konsumgüterhersteller Henkel (mit Marken wie Persil, Silan, Pril oder Pattex). Obwohl der Konzern für das zweite Quartal zweistellige Zuwachsraten bei Umsatz und Gewinn melden konnte, stürzte die Aktie um mehr als acht Prozent ab. „China bleibt Motor der Weltwirtschaft“, reagierte Henkel-Chef Kasper Rorsted gelassen. Er sagte aber auch: „Das Wachstum Chinas ist offenbar kein Selbstläufer mehr.“

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