Wie das Almensterben in Österreich Bauern, Tieren und Touristen schadet

Auf rund 1.000 Höhenmetern rund 20 Minuten von der niederösterreichischen Ortschaft Kleinzell entfernt liegt die Zeisel-Hinteralm. Hier leben 210 Rinder in Gruppen aufgeteilt vom Frühling bis zum Ende des Sommers.
Die Tiere stammen von unterschiedlichen Betrieben. Es ist eine Mischung aus Mutterkühen, Kälbern und Ochsen.
Nur Stiere gibt es hier keine, weil die Alm inmitten eines beliebten Wandergebiets liegt und Stiere aufgrund ihres höheren Aggressionspotenzials für unbedarfte Besucher zur Gefahr werden können.
Almen wie diese gibt es in Österreich viele. Die Rinderherden auf grünen Wiesen prägen vielerorts das Landschaftsbild. Für die heimische Landwirtschaft und den Tourismus haben die Weideflächen große Bedeutung.
Und trotzdem werden sie immer weniger. Der KURIER hat die Zeisel-Hinteralm besucht, um einen Blick hinter die Almwirtschaft zu werfen.
Die Saison startet immer früher
Die Tiere hier sind bereits seit dem 24. Mai auf dem Berg. Wegen des Klimawandels starten die Saisonen immer früher, weil das Futter nach der Schneeschmelze bei höheren Temperaturen schneller wächst.
In ganz Österreich gibt es fast 8.000 Almen. Im Jahr 2000 waren es noch mehr als 9.100. Nur in Wien und im Burgenland gibt es gar keine Almen. In Niederösterreich ist die Zahl mit 72 relativ stabil.
2025 wurden rund 302.000 Rinder aufgetrieben. 2007 waren es noch um 22.000 mehr. Fast die Hälfte der 50.300 Rinderhalter in Österreich betreibt Almwirtschaft, trotzdem kommt nur etwa ein Sechstel aller Rinder auf die Alm.
Daneben werden auch mehr als 100.000 Schafe, 13.000 Ziegen und 10.500 Pferde aufgetrieben. Vor allem bei Schafen ist die Zahl wegen vermehrter Wolfsangriffe rückläufig.
Eigene Zertifizierung oder Gütesiegel gibt es für die Almhaltung keine. Das AMA-Gütesiegel „Tierhaltung Plus“ schreibt zwar für die Milchkuhhaltung 120 Tage Freigang vor, dieser kann aber auch auf einer Weide beim Bauernhof erfolgen.

Die Rinder reagieren neugierig auf vorbeigehende Menschen.
Noch in den 1990er-Jahren konnte erst Mitte Juni aufgetrieben werden, erzählt Josef Mayerhofer, Obmann des Niederösterreichischen Almwirtschaftsverbands, der zu dieser Zeit selbst für die Zeisel-Hinteralm zuständig war. Mittlerweile ist ein Auftrieb im Mai die Normalität geworden.
Um die Wiesenflächen als Futterquelle optimal zu nutzen, wird sie in Abschnitte unterteilt und diese eingezäunt. „Koppeln“ nennt sich diese Form des Flächenmanagements.
„Die Rinder grasen das Futter in ihrem Bereich völlig ab und die Wiese im abgesperrten Bereich kann ungestört wachsen und wird dann als Nächstes abgegrast“, erklärt Mayerhofer.
Landwirte können mehr Futter einlagern
Die Betriebe profitieren von langen Saisonen durch gezielte Fütterung, weil sie sich große Futtermengen ersparen und mehr Silage für den Winter einlagern können.

Josef Mayerhofer ist der Obmann des Niederösterreichischen Alm- und Weidewirtschaftsverein.
Und die Almwirtschaft bringt noch weitere Vorteile. So beeinflusse sie etwa das Sozialverhalten der Tiere.
Das Zusammenleben mit fremden Tieren auf der Weide würde das Gruppengefüge und die Harmonie im Stall fördern, erklärt Mayerhofer, der heuer selbst 24 Tiere seines Milchbetriebs auf die Zeisel-Hinteralm getrieben hat.
„Die Rinder sind ruhiger, weil sie gelernt haben, sich in einer Gruppe einzuordnen. Das merken wir auch bei uns im Laufstall.“
Hinzu kämen gesundheitliche Vorteile und geringere Tierarztkosten durch die natürliche Nahrung und das Leben im Freien, betont Mayerhofer.
Diese Faktoren führen auch zu höheren Preisen und größerer Beliebtheit beweideter Tiere auf dem Markt.
55 pro Tier für die gesamte Saison
Rund 55 Euro bezahlen Landwirte an die Almgemeinschaft für jedes Tier, das aufgetrieben wird.

Die Almhütte auf der Zeisel-Hinteralm
Damit werden die Kosten für die Versorgung der Tiere und für die Pacht abgegolten. Darüber hinaus finanzieren sich Gemeinschaften durch öffentliche Förderungen.
Trotz der Vorteile entscheiden sich immer mehr Bauern gegen den Almauftrieb. Die Zahlen sind seit mehreren Jahren rückläufig.
Nur in Niederösterreich und Vorarlberg bleiben sie in etwa stabil. Doch auch dort gibt es Regionen, in denen immer mehr Landwirte den Almauftrieb oder den gesamten Betrieb einstellen.
„In manchen Gegenden wird es in ein paar Jahren keine Almen mehr geben“, sagt Mayerhofer.
Bauern fehlt die Zeit für Arbeit auf der Alm
Auch die Bereitschaft zur Mitarbeit auf der Alm werde unter den Landwirten immer geringer.
Denn diese arbeiten im Normalfall gemeinsam am Erhalt der Infrastruktur, indem etwa Zäune installiert werden oder unerwünschte Pflanzen weggeschnitten werden.

Die betonierten Tränken auf der Alm sind besonders stabil.
Immer wieder kommt es auf Österreichs Almen zu Unfällen und verletzten Wanderern durch den Kontakt mit Weidevieh. Das Risiko für solche Vorfälle kann minimiert werden, wenn Wanderer ein paar grundlegende Verhaltensregeln beachten:
Abstand halten
Die wichtigste Regel ist, Abstand zu halten. Rinder auf der Weide sollen weder berührt noch gefüttert werden. Wanderern wird empfohlen, die vorgegebenen Wanderwege nicht zu verlassen. Wenn Weidevieh aber den Weg versperrt, dann soll es mit möglichst großem Abstand umgangen werden.
Nicht erschrecken
Vor allem, wenn mehrere Tiere beisammenstehen, oder bei Mutterkühen und ihren Kälbern ist Vorsicht geboten. An einzelnen Tieren können Wanderer vorbeigehen, solange sie darauf achten, die Rinder nicht zu erschrecken.
Ruhe bewahren
Nähert sich ein Tier, gilt es, Ruhe zu bewahren und dem Vieh nie den Rücken zuzukehren. Bei Anzeichen von Unruhe in der Herde sollte die Weidefläche zügig verlassen werden. Wenn es ein Tor gibt, soll dieses benutzt und danach wieder gut verschlossen werden.
Wandern mit Hund
Hunde sollten im Almgebiet an einer kurzen Leine geführt werden – und sofort abgeleint werden, wenn Anzeichen für einen Angriff bestehen.
Das ist Arbeitszeit, die den Landwirten am eigenen Hof fehlt, was sich viele Bauern in Zeiten von wachsendem Produktionsdruck nicht leisten können. Sie würden dann eher auf die Almwirtschaft und ihre Vorteile verzichten, so Mayerhofer.
Mit negativen Folgen: Denn ohne Bewirtschaftung wachsen auf den Almflächen innerhalb weniger Jahrzehnte Wälder. Ein Verlust für die Biodiversität, aber auch für das Landschaftsbild.
Heimische Almen als Touristenmagnet
Die klassischen Almen spielen nämlich vielerorts auch für den Tourismus eine wichtige Rolle, da sie durch weitläufige Flächen und Wanderwege eine Vielzahl von Urlaubern anlocken.
Auch auf der Zeisel-Hinteralm wird eine Selbstversorgerhütte an Feriengäste vermietet, die die gesamte Saison lang ausgebucht sei, erzählt Mayerhofer.
Obwohl hohe Besucherzahlen meist auch starke Tourismuseinnahmen bedeuten, könne ein Überhandnehmen von Urlaubern auf der Alm zum Problem werden, beklagt Mayerhofer. Vor allem, wenn der Respekt für Tiere und Natur fehlt.
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