Air-Berlin-Pleite: Böse Spiele mit NIKI

Air-Berlin-Pleite: Böse Spiele mit NIKI
Wie die Airline hinuntergefahren wurde und warum sie trotzdem nicht pleite gehen darf.

Die heimische Billig-Airline NIKI ist das Filetstück in der insolventen Air-Berlin-Gruppe. Keine Frage, alle Bieter, allen voran die Lufthansa, die derzeit um Air Berlin pokern, sind auf die vom dreifachen Formel-1-Weltmeister Niki Lauda gegründete Airline scharf.

Was die Muttergesellschaft Air Berlin allerdings hinter den Kulissen mit ihrer österreichischen Tochter treibt, grenzt an einen Skandal. Und spielt der Lufthansa direkt in die Hände. Europas größter Luftfahrtkonzern hat sich schon seit heurigem März mit 65 Mitarbeitern auf die – absehbare – Insolvenz des Konkurrenten Air Berlin vorbereitet. Geht die Kalkulation der AUA-Mutter auf, dürfen die Rechnung am Ende die Passagiere bezahlen – über teurere Tickets. Reisebüros rechnen mit Preiserhöhungen bis zu 30 Prozent und mehr.

Warum ist NIKI so attraktiv? Die Low-Cost-Airline flog im Gegensatz zur Mutter Air Berlin immer Gewinne ein. Ein Grund sind die Kosten, die immer noch deutlich niedriger sind als in Berlin oder bei der Lufthansa-Billig-Konkurrenz Eurowings. Obwohl NIKI auch mit einem Kollektivvertrag fliegt. Während Air-Berlin-Piloten nur 540 Flugstunden im Jahr absolvieren, sind NIKI-Kapitäne 640 Stunden in der Luft, 900 Stunden sind das gesetzliche Limit.

Das wirklich Wertvolle an einer Airline sind nicht die Flugzeuge. Maschinen kann man auf dem internationalen Flugzeugmarkt jederzeit kaufen oder leasen. Auch die Akquisition von Bord-Crews ist nicht das große Problem.

Das begehrte Asset sind die Slots. So nennt man die Start- und Landerechte einer Fluggesellschaft. Da Europas Flughäfen längst an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen, die Passagierzahlen aber weiter steigen, sind Slots stark nachgefragt. NIKI hat zahlreiche attraktive Slots in Berlin und Düsseldorf sowie in Spanien (Palma). Zwar sind nur noch fünf der 22 Flugzeuge in Wien stationiert, aber auch die Start- und Landefenster am Flughafen Wien-Schwechat sind einiges wert.

Als Air Berlin immer tiefer in die roten Zahlen trudelte, begann die Mutter, ihre Tochter, die in besten Zeiten fast fünf Millionen Passagiere im Jahr beförderte, rücksichtslos auszunehmen wie eine Weihnachtsgans. Die Bilanzdaten beweisen das.

Ende 2016 hatte NIKI Forderungen von rund 44 Millionen Euro an die Mutter. Dabei handelt es sich um Erlöse aus Ticket-Verkäufen, die von AirBerlin einfach einbehalten wurden. Der Vertrieb von NIKI wird nämlich von Air Berlin abgewickelt. Dieser Forderung stand ein Eigenkapital von rund 7,7 Millionen Euro gegenüber.

Laut einem Zwischenabschluss per 31. Juli 2017 sind die Forderungen auf 69,317 Millionen Euro angewachsen. Das Eigenkapital ist mit 9,005 Millionen Euro ausgewiesen.

Das bedeutet, dass NIKI bereits im Vorjahr de facto überschuldet war. Spätestens jedenfalls zum aktuellen Zeitpunkt. "Selbst beim größten Optimismus kann doch niemand glauben, dass die insolvente Air Berlin jemals 69 Millionen Euro an NIKI bezahlt", meint dazu ein Insolvenzexperte.

NIKI-Geschäftsführer Oliver Lackmann hätte die Insolvenz anmelden müssen, glauben Insider. Der Ex-Pilot war für den KURIER nicht erreichbar. Er soll sich, so hört man aus der Airline, bereits mit einem prominenten Grazer Insolvenzverwalter beraten haben. Bei einer möglichen Konkursverschleppung kommt zu allererst der Geschäftsführer eines Unternehmens in die Haftung.

Ende 2015 wies NIKI einen Bilanzgewinn von 32,835 Millionen Euro aus. Das waren die kumulierten Gewinne der Jahre zuvor. Ende 2016 steht plötzlich nur noch der aktuelle Gewinn von 6,578 Millionen Euro in der Bilanz. Air Berlin hatte NIKI im Vorjahr den gesamten Gewinn etlicher Jahre abgeräumt.

Warum mit Ende Juli 2017 sonstige Rückstellungen von 100 Millionen Euro eingebucht sind, harrt ebenfalls einer Erklärung.

Wäre noch der desaströse, weil viel zu teure Leasingvertrag zwischen tuifly, der Luftfahrt-Tochter des Reiseriesen TUI, und Air Berlin für 14 Flugzeuge. Dieser Vertrag dürfte einer der finanziellen Sargnägel von Air Berlin gewesen sein und hat pro Jahr angeblich 50 Millionen Euro Verlust beschert.

Im März 2017 übertrug Air Berlin diesen Vertrag an NIKI. Was NIKI pro Monat die Kleinigkeit von elf Millionen Euro kostet.

NIKI wurde von der Mutter aber nicht nur finanziell abgeräumt, sondern auch operationell. "Alleine bekommt NIKI kein einziges Flugzeug in die Luft", ätzt man in der Branche. So wichtige Funktionen wie die Einteilung der Piloten und Flugbegleiter (Crew Control) oder das Dispatch (Anmeldung eines Fluges bei den Behörden) werden alle in Berlin erledigt. Weshalb ein Kauf von NIKI ohne eine Airline im Hintergrund niemals funktionieren kann.

In der Branche wissen alle längst Bescheid über die finanzielle Situation. NIKI muss inzwischen beinahe überall im Voraus bezahlen. Etwa am Flughafen Wien, wo sich bis Juli Schulden von 1,5 Millionen Euro angesammelt hatten. Die Airline bekommt von ihrer Mutter aus dem 150-Millionen-Notkredit des deutschen Staates gerade so viel Liquidität, dass der Flugbetrieb aufrecht erhalten werden kann.

Die entscheidende Frage lautet: Warum darf NIKI nicht in die Insolvenz fliegen?

Weil dann ein Insolvenzfahren in Österreich gestartet würde. Der heimische Insolvenzverwalter muss das Verfahren streng unabhängig von den Interessen in Deutschland führen. Die Ambitionen von Air Berlin, der deutschen Insolvenzverwalter, der Lufthansa und der deutschen Regierung dürfen keine Rolle spielen. NIKI wäre nicht mehr Teil des Gesamtpaketes.

Sollte die Lufthansa zum Zug kommen und danach sieht es derzeit stark aus, kann man den Wettbewerb gleich verabschieden. Der Lufthansa-Konzern hatte im ersten Halbjahr 2017 am Wiener Flughafen einen Marktanteil von mehr als 70 Prozent. Wesentlich wichtiger: Bei den Slots in den ersten beiden Morgenspitzen, den begehrtesten Flugzeiten überhaupt, kommen Lufthansa-Gruppe und Air Berlin samt NIKI auf ein Quasi-Monopol von 86 Prozent. Österreichs oberster Wettbewerbshüter Theodor Thanner ist alarmiert.

Der Zeitdruck ist enorm. Bis 15. September müssen alle Bieter ihre Offerte abgeben. In Berlin spitzt sich die Situation immer stärker zu. Im Spiel ist auch noch der Air-Berlin-Miteigentümer Etihad Airways. Was die Sache ziemlich verkompliziert. Die Luftfahrtgesellschaft aus Abu Dhabi hatte ihrer erfolglosen deutschen Beteiligung 300 Millionen Euro zugeschossen und sich dafür über die Großmutter-Gesellschaft von NIKI mit dem Namen Gehuba ein Pfandrecht gesichert. Der geplante Deal zwischen Etihad und TUI über die Gründung einer gemeinsamen Ferienfluggesellschaft mit NIKI scheiterte jedoch und NIKI blieb im Air-Berlin-Konzern.

Wer auch immer NIKI übernehmen würde, der Kaufpreis würde unweigerlich bei Etihad landen.

Die Insolvenzverwalter in Berlin haben jetzt einen Schritt gesetzt, der sich noch zu einem gröberen Problem auswachsen könnte. Die Anteile an NIKI wurden von der Konzernmutter ein zweites Mal verpfändet, und zwar an die KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau). Das Institut gewährt Air Berlin den Überbrückungskredit von 150 Millionen. Die Miteigentümer vom Golf, die hohe Summen bei Air Berlin verbrannt haben, werden de facto ausgebootet.

Davon abgesehen meinen Rechtsexperten, es handle sich um eine verbotene Einlagen-Rückgewähr. Die Insolvenzverwalter dürften sich selbst nicht ganz sicher sein. Am Schluss des Vertrages ist der Passus hinzugefügt, sollte es sich um eine Einlagen-Rückgewähr handeln, seien die Pfandrechte hinfällig ... Illustration: Christine Karner

Die Lufthansa hatte das Rennen eröffnet. Laut Insidern will die AUA-Mutter 90 der 144 Flugzeuge sowie die auf eine reine Ferienfluggesellschaft reduzierte NIKI übernehmen.

Interessiert soll auch die britische Billig-Airline Easyjet sein. Auch die deutsche Condor, eine Tochter des Reisekonzerns Thomas Cook, prüft ein Offert. Insider vermuten, dass auch der Lufthansa-Konkurrent British Airways ein Angebot abgeben könnte.

Niki Lauda rechnet ein Angebot für NIKI durch. Er gründete die Airline 2004. Im selben Jahr stieg Air Berlin ein und übernahm schrittweise hundert Prozent. Lauda verabschiedete sich 2011 auch als Vorstand von NIKI.

Ins Rennen gingen zuletzt noch der deutsche Luftfahrt-Unternehmer Hans Rudolf Wöhrl sowie das Berliner Logistikunternehmen Zeitfracht.

Anfang kommender Woche sollen Verhandlungen mit Lufthansa und Easyjet beginnen. Am 15. September endet das Bieterverfahren. Am 21. September tagt der Gläubigerausschuss, der die von den Insolvenzanwälten und vom Air-Berlin-Vorstand ausgehandelten Kaufverträge absegnen muss. Für den 26. September hat die Lufthansa eine ao. Aufsichtsratssitzung angesetzt.

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