Abgesandelt oder weltmeisterlich? Österreichs Industrie unter der Lupe

Abgesandelt oder weltmeisterlich? Österreichs Industrie unter der Lupe
Experten-Streit: Steht die heimische Industrie nun besser oder schlechter da als die deutsche?

Österreichs Industrie startet schwungvoll in den Frühling: "Sie ist seit Jahresbeginn im Aufwärtstrend und konnte ihr Wachstumstempo sogar noch etwas steigern", sagt Bank-Austria-Ökonom Stefan Bruckbauer. Das würden jüngste Umfragen belegen – der daraus berechnete Einkaufsmanager-Index kletterte im März auf 52,8 Punkte (Werte über 50 signalisieren Wachstum). Und das trotz schwächelnder Weltwirtschaft: Höhere Nachfrage aus dem Inland macht rückläufige Exportaufträge wett.

Ist mit Österreichs Industrie alles in Ordnung? Nicht nur Umfragen, sogar harte Fakten belegen das, sagt Arbeiterkammer-Ökonom Markus Marterbauer. Tatsächlich liegt laut Eurostat-Zahlen der Index der heimischen Industrieproduktion (Grafik, dicke rote Linie) überraschend höher als im viel gelobten Nachbarland.

Abgesandelt oder weltmeisterlich? Österreichs Industrie unter der Lupe

Das Basisjahr zählt

Das laut Standortvergleichen "abgesandelte" Österreich lasse Industrie-Weltmeister Deutschland hinter sich, kommentiert Marterbauer. Aber durch Fakten ließen sich die Industriellenvereinigung, Wirtschaftskammer oder neoliberale Denkfabriken nicht stören. Sie verharrten lieber in ihrer "ideologischen Scheinwelt", kritisiert der AK-Experte spitzzüngig.

Was sagt die Industriellenvereinigung (IV) zu dem Vorwurf? "Diese Zahlen kenne ich gut, ich verwende diesen Chart selber gerne", sagt IV-Ökonom Christian Helmenstein. Anders als Marterbauer setzt er dabei aber nicht 2010 als Vergleichsbasis an, sondern April 2009, den Tiefstand der Produktion. Schließlich wolle man wissen, wie sich die Industrie seit der Krise entwickelt hat. Dadurch verschiebt sich Österreichs Kurve nach unten (dünne Linie). Und siehe da: Die heimische Industrieproduktion liegt jetzt sieben Prozentpunkte hinter Deutschland.

Helmensteins Interpretation: "Die Regierung hat gut durch die Krise gesteuert, beim Krisenmanagement lag Österreich unter den Top 5 in Europa." Damals sei viel passiert: Kurzarbeit, Abwrackprämie, Investitionen der Bundesländer. Danach sei es nicht gelungen, den Vorsprung zu halten und in eine solide Standortpolitik zu übersetzen: "Deutschland ist vom Tiefstand weg viel besser aus der Krise gekommen."

Auf den Verlauf kommt's an

Das lässt wiederum Marterbauer nicht gelten. "Eines stimmt: Österreich ist 2009 – zum Glück – in der Krise nicht so tief eingebrochen wie Deutschland, das stärker vom Weltmarkt abhängig ist." Was zähle, seien indes nicht einzelne Jahreswerte, sondern der Kurvenverlauf. "Und der zeigt klar, wie ähnlich sich die österreichische und deutsche Industrie seither entwickeln", sagt Marterbauer.

Fazit: Zahlen lügen nicht? Nein, das nicht. Aber über ihre Interpretation lässt sich trefflich streiten.

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