Abgas-Skandal: US-Justiz leitet Ermittlungen ein

Abgas-Skandal: US-Justiz leitet Ermittlungen ein
Nach massiven Abgas-Test-Tricks drohen VW strafrechtliche Ermittlungen durch die US-Justiz.

Der Volkswagen-Konzern hat angesichts des Skandals um manipulierte Abgastests den Verkauf von Diesel-Autos mit Vierzylindermotoren in den USA vorerst gestoppt. Ein Sprecher des Konzerns bestätigte am Montag entsprechende Medienberichte. Betroffen seien aktuelle Modelle der Marken VW und Audi. VW werde bis auf weiteres auch keine gebrauchten Fahrzeuge dieses Typs verkaufen. Volkswagen hatte am Sonntag eingeräumt, die Abgaswerte von Diesel-Autos in den USA für Fahrzeugtests manipuliert zu haben. Die US-Umweltbehörde EPA führt eine Untersuchung gegen den Konzern unter anderem wegen des Verstoßes gegen das Klimaschutzgesetz „Clean Air Act“.

Dem Vernehmen soll am Mittwoch das Präsidium des VW-Aufsichtsrats zu einer Krisensitzung zusammengestrommelt werden. Das berichtet die Deutsche Presse-Agentur dpa. Diesem Gremium gehören u.a.VW-Aufsichtsratschef Berthold Huber, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh und VW-Aufsichtsrat Wolfgang Porsche an. Das Land Niedersachsen hält 20 Prozent der VW-Anteile. „Eine Manipulation von Emissionstests ist völlig inakzeptabel und durch nichts zu rechtfertigen“, sagte Ministerpräsident Weil am Montag. „Es muss selbstverständlicher Anspruch des VW-Konzerns sein, die gesetzlichen Vorschriften einzuhalten.“ Am Freitag wird dann der VW-Aufsichtsrat eine reguläre Sitzung abhalten.

Tricks bei den Stickoxiden

Laut der Untersuchung soll VW eine ausgetüfelte Software bei den Fahrzeuge implementiert haben, die Abgas-Tests von normalen Überprüfungen unterscheiden kann. Im Fall eines Abgas-Tests schaltet sich diese Software über die Motorsteuerung offenbar ein und reduziert die tatsächliche Emission von Stickoxiden (NOx) bis zu einem Vierzigstel der Standardwerte.

US-Justiz wird ermitteln

Dem Konzern, der an der Fankfurter Börse im Premium-Index DAX notiert, drohen deswegen schlimmstenfalls Strafzahlungen von mehr als 18 Milliarden Dollar und ein nicht abzuschätzender Imageschaden. In den USA drohen VW jetzt auch strafrechtliche Ermittlungen. Laut Wall Street Journal leitet die Umweltabteilung des US-Justizministeriums die Ermittlungen ein. Das Justizministerium und VW wollten sich auf Anfrage der Nachrichtenagentur AFP zunächst nicht zu den Berichten äußern. Im US-Repräsentantenhaus soll es in den nächsten Wochen eine Anhörung zu dem Fall geben.

Milliarden-Werte vernichtet

Die Volkswagen-Aktien sind gegen 09.30 Uhr wegen der drohenden Strafe um 16,1 Prozent gefallen. Am Freitag betrug der Schluss-Kurs noch 162,58 Euro je Aktie, heute Vormittag fiel der Kurs auf 136,55 Euro. Laut Reuters wurden bereits am Vormittag zwölf Milliarden Euro an Börsenwert vernichtet. Gegen 13.00 Uhr betrug der Kurs-Einbruch 21,92 Prozent, eine Stunde später noch rund 21,15 Prozent. Am Montagabend kam dann der gesamte Schaden ans Tageslicht. Insgesamt 19 Milliarden Euro an Börsenwert wurden vernichtet.

US-Autohändler seien angewiesen worden, bestimmte Wagen des Modelljahres 2015 zurückzuhalten, sagte ein VW-Vertreter am Sonntag. Die Zahl der betroffenen Fahrzeuge nannte er nicht. Konzern-Chef Martin Winterkorn kündigte eine externe Untersuchung der Vorgänge an. Die US-Umweltschutzbehörde EPA wirft VW vor, bei 482.000 Diesel-Fahrzeugen die Abgasvorschriften mit Hilfe einer Software vorsätzlich umgangen zu haben. Laut Insidern könnte VW auch ein Rückruf dieser Fahrzeuge drohen.

Betroffen sind die Modelle:

Jetta (Baujahre 2009 – 2015),

Beetle (Baujahre 2009 – 2015),

Audi A3 (Baujahre 2009 – 2015),

Golf (Baujahre 2009 – 2015), und

Passat (Baujahre 2014-2015)

Winterkorn vor Abgang?

Volkswagen-Chef Martin Winterkorn kann nach Meinung von Automobilmarkt-Experten Ferdinand Dudenhöffer angesichts des Abgas-Skandals in den USA nicht im Amt bleiben.Winterkorn, in dessen Verantwortung auch die konzernweite Forschung und Entwicklung falle, habe entweder von den Manipulationen gewusst oder aber er sei ahnungslos und habe seinen Geschäftsbereich nicht im Griff, sagte der Direktor des CAR-Instituts der Universität Duisburg-Essen der „Frankfurter Rundschau“ (Montag) und der „Westdeutschen Allgemeinen“. „In beiden Fällen würde ich sagen, dass Winterkorn an der Konzernspitze nicht mehr tragbar ist", sagt Dudenhöffer. „Jeder Politiker könnte bei einer solchen Angelegenheit nicht in seinem Amt bleiben.“

KFZ-Schadstoff Stickoxid

„Es gibt verschiedene Parameter wie Verbrauch, Leistung und Schadstoff-Reduktion, die man über die Motorsteuerung einstellen kann“, sagt Universitätsprofessor Bernhard Geringer, Vorstand des Instituts für Fahrzeugantriebe und Automobiltechnik an der Technischen Universität Wien im Gespräch mit dem KURIER. „Man kann das eine oder andere mehr oder weniger verschieben. Die normalen Fahrzeuge fahren großteils in der Teillast, das heißt, das Gaspedal wird nicht durchtreten, und ein Teil vom Abgas wird nicht in den Auspuff, sondern wird wieder zu den Zylindern zurückgeführt.“ Nachsatz: „Mit dieser Abgasrück-Führrate, die 50 bis 60 Prozent betragen kann, können sie sehr effektiv unerwünschte Abgase vermeiden.“ Damit kann man auch die Entstehung von Stickoxiden beeinflussen. Es war schon in der Vergangenheit bei Nutzfahrzeugen ein Thema. „Schadstoffe hängen immer irgendwie mit Leistung zusammen“, sagt der Professor.

Wenn man zwanzig Mal so viel Leistung hat, weil man Vollgas auf der Autobahn fährt, dann hat man auch einen anderen Schadstoff-Durchsatz. Die gesetzlichen Schadstoff-Werte wurden in den vergangenen Jahren massiv verringert und sind heute bereits sehr streng - in Europa und insbesondere in den USA. Waren für Dieselfahrzeuge mit dem Baujahr 2000 noch 0,50 Gramm Stickoxide pro Kilometerder Europa-Standard, so liegt die Latte heute bei 0,08 Gramm. In den USA, speziell in Kalifornien, sind die zugelassenen Werte noch deutlich niedriger.

„Das sind andere Welten, was die dort fordern“, sagt TU-Professor Geringer zum KURIER. „Daher war es lange unmöglich, in den USA Diesel-Pkw anzubieten, weil man diese Werte nicht erreicht hat.“

Auf der Internet-Adresse http://www.dieselnet.com sind unter dem Unterbegriff Standards alle gesetzlichen Schadstoff-Werte-Regelungen für Pkw und Lkw weltweit zufinden.

Die USA und vor allem Kalifornien sehen sich als weltweiten Vorreiter in Sachen Abgasreduktion. Der Grund: Die USA hatten früher als andere Staaten eine sehr hohe Pkw-Dichte und dadurch bereits in den 1950er- und 1960er-Jahren extreme Smogbelastung in den Städten.1967 führte das zur Gründung des „California Air Resources Board“ CARB („Luftreinhaltungskommission Kaliforniens“). Seitdem gelten die kalifornischen Abgasnormen als die weltweit strengsten.

Kalifornien schrieb vor, dass Diesel-Pkw dieselben Abgasnormen wie Benzin-Pkw erfüllen müssen. Die Einhaltung der Grenzwerte ist durch sogenannte On-Board-Geräte zumindest über 50.000 Meilen zu gewährleisten. Deshalb kann die Behörde nun auch die Abweichungen von VW-Dieselmodellen wahrscheinlich sehr genau nachweisen.

Vorreiter Europa

Das auf Ölimporte angewiesene Europa dagegen war seit jeher auf die Verbrauchsreduktion der Autos konzentriert. Einen Höhepunkt erlebte dieser Ansatz in der Ölkrise der 1970er-Jahren. Deswegen hat man in Europa den sparsameren Dieselantrieb bevorzugt. Bei Stickoxiden und Partikeln ist Diesel gegenüber Benzin aber im Nachteil.Das änderte sich mit der Feinstaubkrise und der damit einhergehenden flächendeckenden Einführung von Partikelfiltern für Diesel-Pkw.

Bei den Stickoxiden gibt es eine stufenweise Annäherung an die Benzin-Pkw. Die europäische -Vorgabe von 95 g/km bis 2020 ist weltweit ein Ansporn. Die Autohersteller entwickeln unter europäischer Führung nun einen weltweit einheitlichen Testzyklus (WLTC). Dieser sollte den europäischen Normzyklus ersetzen, der als nicht sehr realitätsnah gilt.

Neue Filter nötig

Messungen zeigen, dass vor allem schwere Fahrzeuge – speziell bei flotten Beschleunigungen und Kaltstart – stark erhöhte Schadstoffwerte haben. Bei Diesel-Pkw sind es vor allem Stickoxide, bei Benzin-Pkw Partikel. Diese sind bei Benzinern noch gar nicht begrenzt, obwohl sie viel höher als bei Diesel-Pkw mit Rußfilter sind.

An dem entsprechenden Testzyklus namens RDE (Real Driving Emissions) wird gearbeitet. Er soll in der ersten Stufe 2017 starten. Experten schätzen, dass damit Diesel-Pkw mit dem effizienten Entstickungssystem SCR (Harnstoff-Entstickung) ausgerüstet werden müssen, Benziner dagegen mit einem Rußfilter. Zudem sollen die tatsächlichen Emissionen nach US-Vorbild über eine On-Board-Einheit während des Autolebens aufgezeichnet werden. So soll vermieden werden, dass dank immer besserer Software und zunehmender Elektrifizierung die Pkw immer perfekter an offizielle Normen angepasst werden, in der Realität aber viel mehr Schadstoffe ausstoßen.

Mehr zum Thema am Donnerstag im Motor-KURIER.

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