15 Jahre Lehman-Pleite: Wie sind die Banken heute aufgestellt?

Angestellter von Lehman Brothers trägt eine Box aus der Bank raus
Am 15. September 2008 stockte der Finanzwelt der Atem - der Crash an der Wall Street löste eine globale Krise aus. Könnte sich solch ein Szenario wiederholen?

Die Geschichte der Investmentbank Lehman Brothers, die zu einem der Branchengiganten aufstieg und am 15. September 2008 ihre Insolvenz ankündigen musste, begann tief im 19. Jahrhundert in dem kleinen Ort Rimpar bei Würzburg. Angesichts ihrer jüdischen Herkunft hatte es die Familie im Geschäftsleben schwer - und so suchte Heinrich Lehman mit 23 Jahren sein Glück in Amerika. 1844 gründete er im Bundesstaat Alabama einen Gemischtwarenladen. Als sechs Jahre später seine Brüder Emanuel und Mayer nachkamen, nannten sie das Lädchen "Lehman Brothers". Viele Kunden in der von Farmen geprägten Region zahlten ihre Einkäufe mit Baumwolle, und so stiegen die Brüder in den Rohstoffhandel ein. Als nach dem Bürgerkrieg der Bau neuer Eisenbahn-Trassen boomte und vermögende Amerikaner Interesse an einem Investment zeigten, begannen die Gebrüder Lehman den Handel mit Eisenbahn-Wertpapieren.

In den 1880er Jahren stieg Lehman Brothers an der New Yorker Börse ein und wurde Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer der großen Investmentbanken. Aus den armen Immigranten aus Deutschland war eine Dynastie geworden, die auch mehrere einflussreiche US-Politiker hervorbrachte. Seit dem Tod von Robert Lehman im Jahr 1969 stand allerdings kein Nachkomme der Gebrüder aus Rimpar mehr an der Spitze der Bank.

15 Jahre Lehman-Pleite: Wie sind die Banken heute aufgestellt?

Vor 15 Jahren ist die US-Bank Lehman Brothers schließlich in den Konkurs geschickt worden. Das hat eine globale Krise ausgelöst.

Experten: Banken heute deutlich besser aufgestellt

So eine Krise wie damals drohe heute nicht mehr, sagen Bankexperten. Zu stark wurden Kontrollen und Regulierung der Banken ausgebaut. Grundsätzlich könne man aber Krisen nicht ausschließen. Risiko komme heutzutage eher von einer negativen Dynamik nach Gerüchten in Social Media und aus der digitalen und damit massiv beschleunigten Abwicklung von Bankgeschäften.

"Wir haben absolut aus Lehman etwas gelernt", sagt Wifo-Bankenexperte Thomas Url und verweist im Gespräch mit der APA unter anderem auf die wesentlich höheren Kapitalvorgaben für heimische Banken, aber auch auf zweijährliche Stresstests für systemrelevante Banken. In der EU seien mehrere Institutionen zur Kontrolle von Finanzinstituten geschaffen worden, darunter das "Finanzmarktstabilitätsgremium", das als Teil des Europäischen "Systemic Risk Board" eine vorausschauende Risikoabschätzung macht. Zuletzt führte dies zur Verschärfung der Regeln für die Kreditvergabe in Österreich (KIM-VO).

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Auch der Finanzmarktexperte und frühere Raiffeisen-Chefanalyst Peter Brezinschek ist überzeugt, dass Lehren aus der Lehman-Pleite gezogen wurden. Abgesehen von strengeren Kapitalvorschriften, etwa mit den "Basel III" genannten Vorgaben für Banken, habe das Risikomanagement einen "viel, viel höheren Stellenwert" gewonnen und man wisse nun, dass es "fatal" sei, zu glauben, dass der Wert von Immobilien immer nur steigen kann. Die Banken hätten auch aktuell bewiesen, dass sie einen plötzlichen, starken Zinsanstieg gut wegstecken können, sagte er.

15 Jahre Lehman-Pleite: Wie sind die Banken heute aufgestellt?

"Krisen kommen immer dort, wo man sie nicht erwartet"

Grundsätzlich sei die Krise von 2008 vor allem eine Vertrauenskrise gewesen, so Brezinschek, weil die Banken einander wie auch Großkunden kein Geld mehr liehen, selbst wenn sie genug Geld hatten. Eine zentrale Erkenntnis aus den damaligen Problemen sei es daher, das Vertrauen in den Finanzsektor zu stärken. "Das wertvollste Kapital, das Banken haben, ist das Vertrauen der Kunden und der anderen Geschäftsbanken", hebt der frühere Raiffeisen-Banker hervor. "Man soll nicht herumzündeln und Misstrauen gegen das Finanzsystem säen", denn ohne Banken würde das Wirtschaftssystem nicht funktionieren. Aber, gibt Brezinschek zu bedenken, "Krisen kommen immer dort, wo man sie nicht erwartet". Auch wenn er keine akute Bedrohung sehe, sollte man etwa die unglaublich hohe Aktienbewertung mancher Unternehmen im KI-Bereich oder die Lage der Immobilienwirtschaft in China im Auge behalten.

Auch Url glaubt, dass Krisen heute jedenfalls anders aussehen würden. Ein "Bank-Run" wie damals, dass also Menschen vor dem Bankschalter oder Bankomat Schlange stehen, würde heute ganz anders ablaufen. Heute gehe das mit Elektronic Banking viel schneller und weniger sichtbar. Außerdem könnten gerade die großen Einlagen von Menschen mit Fachwissen bei den ersten Gerüchten blitzartig abgezogen werden - das sei etwa der kalifornischen Silicon Valley Bank zum Verhängnis geworden: In wenigen Wochen seien enorme Mengen Kapital abgeflossen.

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15 Jahre Lehman-Pleite: Wie sind die Banken heute aufgestellt?

Nicht ganz einig sind sich Url und Brezinschek, ob die Bankenrettung durch (Teil-)Verstaatlichung ökonomische Vorteile bringt. Brezinschek hält viel von diesem Schritt. Dies habe in den USA und in einigen europäischen Ländern dazu geführt, dass die Steuerzahler daran letztlich verdient hätten. Url hingegen verweist darauf, dass Notverstaatlichungen in Österreich mit herben Verlusten verbunden waren - wohl auch deshalb, weil die meisten Institute schon im Vorhinein durch staatliche Garantien unterstützt waren. "Man kann das schon machen, aber die schnelle Abwicklung kann den Bedarf an öffentlichen Mitteln geringer halten", so Url unter Verweis auf die ebenfalls nach der Lehman-Pleite geschaffene neue Regelung zur Bankenabwicklung (Single Resolution Act).

Auch wenn einige US-Banken zuletzt untergegangen sind, von einer Bankenkrise könne man unter den derzeitigen Rahmenbedingungen nicht reden, sind sich Url und Brezinscheck jedenfalls einig. Es seien nur "Boutiqen-Banken" betroffen, wie es Url nennt. Die Silicon Valley Bank etwa war auf die Verwaltung von Einlagen von Start-Ups spezialisiert und bekam teilweise von einzelnen Kunden nach einer Finanzierungsrunde Milliardenbeträge - genau diese wurden dann aber in der Krise sehr schnell wieder abgezogen.

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"Krise von Spezialbankenmodellen, die jedem Anfänger hätte auffallen müssen"

Brezinschek sagt, "es ist keine Bankenkrise, sondern eine Krise von Spezialbankenmodellen, die jedem Anfänger hätte auffallen müssen". Es sei kein Zufall, dass die betroffenen Institute in Kalifornien beheimatet seien, die dortige Aufsicht sei sehr expansiv und auf niedrige Zinsen eingeschworen. Die Bankenstruktur in den USA habe sich sei 2008, als riesige Investmentbanken ohne Kundeneinlagen wie im Speziellen Lehman Brothers ins Wanken gerieten, grundlegend geändert. Mit Morgan Stanley und Goldmann Sachs gebe es nur mehr zwei große Investmentbanken und diese seien viel strenger reguliert als damals. Auch das damalige Schattenbankensystem mit unregulierten Zweckgesellschaften (Special Purpose Vehicles) gebe es so nicht mehr.

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