Über die Notwendigkeit von Transparenz

V. li. n. re.: Dr. Michael Häupl, Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger und Dr. Michael Stampfer
Dr. Michael Häupl, Präsident des Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF), Genetiker Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger und Dr. Michael Stampfer, Geschäftsführer des WWTF, diskutieren darüber, warum sich Forschung erklären und der Gesellschaft nähergebracht werden muss.

Inwiefern ist Wissenschaft für die Gesellschaft von Bedeutung?

Michael Häupl: Wissenschaft ist Wohlstand und steht für die Zukunft der nächsten Generation. Sie bringt in vielen Teilen unseres Lebens – in der Gesundheit, der Wirtschaft und der Bildung – Verbesserungen mit sich. Wer gegen Wissenschaft ist, ist Feind seines Lebens.

Markus Hengstschläger: Ohne Fortschritt ist Leben und Überleben für den Menschen auf dem Planeten undenkbar. Dieser hängt im Wesentlichen von der Wissenschaft ab. In der Grundlagenwissenschaft folgen Menschen dem inneren Drang des Homo sapiens, wissen zu wollen, wie Dinge funktionieren. In der angewandten Forschung geht es darum, diese Erkenntnisse so umzusetzen, dass sie der Gesellschaft dienen. Und um die großen Herausforderungen unserer Zeit zu lösen, brauchen wir auch solche Innovationen, die nicht unbedingt direkt 1:1 in materialistische Werte umsetzbar sind, wie etwa soziale, politische oder auch Bildungsinnovationen. Daher brauchen wir Forschung – und zwar die ganze Kette von der Grundlagenforschung über die angewandte Forschung bis hin zur Anwendung am Menschen.

Michael Stampfer: Auch die Vertreter*innen der irrwitzigsten Glaubenssysteme sehen wir selbstverständlich mit den Ergebnissen der Wissenschaft herumhantieren. Es gibt für uns Menschen offenbar wenig Raum frei von dem, was die technologische Gestaltung in die Welt bringt. So kommt es darauf an, Forschung abwägend, aber auch kraftvoll zu unterstützen und in unsere Gesellschaft zu integrieren. Zugleich ist es nötig, die Menschen, die technischen Fortschritt schaffen, früh mit Leuten, die etwas von Politikwissenschaft, vom Rechtssystem oder von Philosophie verstehen, zusammenbringen, damit auch über Auswirkungen nachgedacht wird. Das Leben ist eine Serie von Abzweigungen, es macht Sinn, gemeinsam zu überlegen, in welche Richtung man geht.

Markus Hengstschläger: Diese Interaktion ist nicht nur innerhalb der Wissenschaft, sondern auch mit der Gesellschaft nötig. Die Forschenden müssen erklären, was sie tun und wie es unser Leben verbessern kann. Wissenschaft muss transparent sein. Das ist alternativlos, denn um eine Gesellschaft, in der Wissenschaft nicht eine zentrale Rolle spielt, mache ich mir Sorgen.

In der Gesellschaft herrscht aber der Forschung gegenüber eine gewisse Gleichgültigkeit. Wie sollte man dieser begegnen?

Michael Häupl: Es ist oft nicht nur die Sprache der Wissenschafter*innen, die Menschen nicht verstehen, sondern auch ihre Art zu denken. Das Wesen der Wissenschaft ist, dass es These und Antithese gibt, aus der sich eine neue Synthese ergibt. Man muss den Leuten vermitteln, dass es nichts Böses ist, wenn man sich in der Wissenschaft widerspricht. Es gibt kein Endstadium, Wissenschaft entwickelt sich immer weiter.

Markus Hengstschläger: Wissenschaft muss laufend von der gerade Gestalt annehmenden Zukunft lernen. Das ist für eine Gesellschaft, die manchmal auch schnell Antworten braucht, nicht immer leicht greifbar. Umso wichtiger ist, auch Abläufe und Prozesse der Forschung zu erklären.

Michael Stampfer: Aus diesem Gleichgültigkeitsgefühl lodert aber innerhalb von Sekunden ein hohes Feuer der Skepsis und Ablehnung hoch. Das Grundgefühl mag eher ein gleichgültiges sein, aber es ist ein Nährboden für negative Folgewirkungen. Umso wichtiger ist ein funktionierender Diskurs über Wissenschaft und Forschung.

Was ist Ihre Vision für die Wissenschaft der Zukunft?

Markus Hengstschläger: Wissenschaft muss eindeutig ein wesentlicher Teil der Gesellschaft sein, darüber darf es eigentlich keine Diskussion geben. Sie muss in allen Bereichen vertreten sein. Dann kann sie auch ihren Beitrag für die Gesellschaft leisten.

Michael Häupl: Die Freiheit der Wissenschaft, so wie auch die der Kunst, muss unangetastet bleiben. Dazu benötigt es aber auch eine hinreichende Finanzierung. Es ist eine Investition in die Zukunft der Menschen und in die wirtschaftliche Zukunft eines Landes. Das würde ich mir für die Zukunft wünschen, dann kann die Wissenschaft die Rolle, die sie erfüllen muss, auch einnehmen.

Michael Stampfer: Zwischen 1880 und 1920 war ein goldenes Zeitalter für die Wissenschaft in der Stadt. Von Wien gingen viele, von anderen im ersten Moment als völlig crazy empfundene Impulse aus, die aber sehr wirkmächtig für die ganze Welt waren – sei es in Nationalökonomie, Psychologie oder Medizin. Diese Geschichte in einer anderen Variation wieder zu leben, ist für mich eine echte Vision: Wir müssen große, neue Gedanken wieder zulassen und verfolgen.

Über die Gesprächspartner

Über die Notwendigkeit von Transparenz

Dr. Michael Häupl studierte Biologie an der Universität Wien und promovierte zum Dr. phil. Von 1975 bis 1983 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Naturhistorischen Museum, bevor er sich auf das Wirken in der Politik konzentrierte. 1983 wurde er Mitglied des Wiener Landtages und Gemeinderates, 1988 Amtsführender Stadtrat für Umwelt und Sport. 1993-2018 Landesparteivorsitzender der SPÖ Wien und von 1994-2018 Bürgermeister und Landeshauptmann von Wien. 2018 zog er sich aus der Politik zurück und ist heute in zahlreichen Funktionen tätig: Präsident der Volkshilfe Wien, des Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds und als Vorsitzender des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes.

Über die Notwendigkeit von Transparenz

Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger studierte Genetik, forschte auch an der Yale University in den USA und ist heute Vorstand des Instituts für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universität Wien. Der vielfach ausgezeichnete Wissenschaftler unterrichtet Studierende, betreibt genetische Diagnostik und ist Berater. Er leitet den Think Tank Academia Superior, ist stellvertretender Vorsitzender der österreichischen Bioethikkommission, Kuratoriumsmitglied des WWTF und war zehn Jahre lang Mitglied des Rats für Forschung und Technologieentwicklung und Universitätsrat der Linzer Johannes Kepler Universität. Hengstschläger ist außerdem Wissenschaftsmoderator auf ORF Radio Ö1 und Autor von vier Platz-1-Bestsellern.

Über die Notwendigkeit von Transparenz

Dr. Michael Stampfer ist Geschäftsführer des WWTF, einer privaten gemeinnützigen Förderorganisation für wissenschaftliche Forschung in Wien. Der WWTF unterstützt mit seinen Schwerpunkten Spitzenforschung durch international streng jurierte Calls in der Projekt- und Personenförderung. Michael Stampfer ist Absolvent der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien und verfügt über langjährige Erfahrung im Bereich der österreichischen und internationalen Forschungs- und Technologiepolitik. Er hat an zahlreichen einschlägigen internationalen Initiativen mitgewirkt und viele Beiträge zur Rechtsgeschichte, Forschungspolitik und Universitätsentwicklung verfasst.