„On- und offline sind kaum noch zu trennen“

Isabell Pannagl, Sophie Lecheler und Moderator Markus Hengstschläger diskutieren in der Sendereihe „Spontan gefragt“, wie sich die Digitalisierung auf unser Leben auswirkt.
Die Digitalisierung hat unser Leben in fast allen Bereichen erfasst. Wo steht der Mensch bei dieser Entwicklung?

Wir treffen uns auf Instagram, TikTok oder Twitter, halten Meetings und Besprechungen auf Microsoft Teams oder Zoom ab, checken mit dem Handy bei Flügen ein und zahlen damit an der Supermarktkassa. Wir lassen unsere Schritte und unsere Körperdaten von Sensoren in smarten Uhren messen und unsere eMails von künstlicher Intelligenz formulieren. Digitale Medien und digitale Technologien nehmen einen immer größeren Teil unseres Lebens ein. „Online und offline kann heute kaum noch getrennt werden“, sagt Kommunikationswissenschaftlerin Sophie Lecheler. In Zukunft werde sich das dicht gewobene Netz digitaler Geräte, Medien und Technologien noch weiter ausbreiten: „Dafür sind wir im Moment aber noch nicht gerüstet.“

In der Sendereihe „Spontan gefragt“ auf KURIER TV, diskutiert Lecheler mit der Schauspielerin und Kabarettistin Isabell Pannagl, welchen Einfluss digitale Medien auf uns und unser Zusammenleben haben.

Hohes Tempo

Als Eltern könne man kaum noch kontrollieren, was digitale Medien mit Kindern machen, wie sie das Gehirn beeinflussen und wo noch Platz bleibe, Fantasien auszuleben, sagt Pannagl. Man habe zwar auch beim Fernsehen gesagt, dass es die Menschen verändere, aber die Digitalisierung breite sich viel schneller aus. Bei dem Tempo sei es auch kaum noch möglich, mitzukommen.

Das Thema digitale Kompetenz und digitale Bildung stehe ganz oben auf der Agenda der Politik und der Schulbehörden, das Bewusstsein sei auf jeden Fall da, sagte Lecheler. Die Frage, wer für den Schutz von Kindern und Individuen verantwortlich ist, sei aber noch nicht ganz geklärt. Nur zu sagen, dass alle lernen müssten, damit umzugehen, sei jedenfalls keine befriedigende Antwort, so die Forscherin.

Was kann die Forschung dazu beitragen? Zentral sei die Erforschung sozialer Medienplattformen aus unterschiedlichen Disziplinen – von der Medizin und Psychologie bis zur Computer- und Kommunikationswissenschaft, sagt Lecheler. „Die Frage ist, was auf diesen Plattformen passiert, wie diskutiert wird und welche Inhalte es gibt.“ Dabei gebe es aber viele Hürden. Denn die Plattformen gehören großen Unternehmen aus den USA und China, die der Forschung nur unzureichend Zugang zu ihren Daten gewähren würden, kritisiert die Wissenschaftlerin: „Wir haben de facto keine Ahnung, was auf diesen Plattformen passiert. Wer was sieht oder wer sich wie ausdrückt. Für die Wissenschaft ist das hochproblematisch.“

Datenschutz

Zur Sprache kam auch der Datenschutz. Das sei ein wichtiger Aspekt, sagt Lecheler. Viele Menschen würden etwa bei Gesundheitsbeschwerden oder Krankheiten bei Suchmaschinen Rat suchen. Was mit den Daten passiere und wer darauf Zugriff habe, werde dabei aber selten abgewogen: „Wir vertrauen Google Dinge an, die wir niemandem sonst anvertrauen.“

Sie nutze soziale Netzwerke beruflich als Marketingplattform, weil man „wahnsinnig schnell“ auf sich aufmerksam machen könne, sagt Pannagl: „Privat findet man nichts von mir im Netz, vor allem nichts von meiner Familie. Mein Sohn hat sich meinen Beruf nicht ausgesucht.“

Soziale Netzwerke hätten auch dazu geführt, dass Vergleiche mit anderen Leuten heute viel schneller passieren, sagt Pannagl. Früher habe man sich in persönlichen Gesprächen, etwa am Spielplatz, ausgetauscht, heute könne man auf Instagram oder Facebook sehen, was eine „perfekte Mutter“ ausmache.

Was wir auf sozialen Medien sehen, präge in gewisser Weise natürlich unser Selbstbild, sagt Lecheler. Vor allem bei Teenagern und Jüngeren habe das Auswirkungen auf das Körperbild, meint die Forscherin. Nicht jeder werde automatisch depressiv, als Gesellschaft müsse man das aber auffangen.

Ganz aus der digitalen Welt herausnehmen könne man sich heute jedenfalls nicht mehr. Aber es sei wichtig, auch einmal abzuschalten. „Man muss nicht jeden Tag über alles informiert sein.“ Daneben müssten auch Online-Umgebungen geschaffen werden, die gesünder seien.

Künstliche Intelligenz

Thema bei der Diskussion war auch der auf künstlicher Intelligenz basierende Chatbot ChatGPT. Er kann sich mit Menschen unterhalten und auch Texte verfassen. Wissen, das es bereits gebe, werde verarbeitet und neu zusammengestellt, erläutert Kommunikationswissenschafterin Lecheler. Natürlich könne man damit auch bei Seminararbeiten betrügen, aber das sei früher mit Ghostwritern auch möglich gewesen, sagt sie. Werden Sie den Chatbot zum Schreiben ihrer Programme verwenden, wird Pannagl gefragt: „Sicher nicht“, sagt die Kabarettistin: „Der spricht nicht meine Sprache.“

Über die Gesprächspartner

„On- und offline sind kaum noch zu trennen“

Die 1990 in Wien geborene Schauspielerin, Sängerin und Kabarettistin absolvierte ein Musical-Studium und startete parallel dazu ihre ersten Programme.

TV und Kino

Im Fernsehen war sie in „Die Comedychallenge“ und „Schnell ermittelt“ zu sehen. Im Kino machte sie unter anderem in „Lovemachie“ auf sich aufmerksam. Aktuell tourt sie mit ihrem Solokabarett durch Österreich.

„On- und offline sind kaum noch zu trennen“

Die in Deutschland geborene Forscherin studierte in München Kommunikationswissenschaft, Psychologie und interkulturelle Kommunikation.

Professur in Wien

Sie besuchte die USA für Forschungszwecke und arbeitete an der Universität Amsterdam und der London School of Economics. Seit 2016 ist sie Professorin für Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien

Digitalisierung, die Leuten guttut

Forschungsprojekte untersuchen das Zusammenspiel von Mensch und Technik.

„On- und offline sind kaum noch zu trennen“

DigitalerHumanismus rückt denNutzer in den Fokus

Das Menschliche und Zwischenmenschliche im Digitalen steht im Fokus der vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) ins Leben gerufenen Förderreihe zum digitalen Humanismus. Dabei geht es darum, dass bei der digitalen Transformation der Mensch im Zentrum bleibt. Gefördert werden interdisziplinäre Projekte zwischen Geistes-, Sozial- sowie Computer- und Kulturwissenschaften.

Moderation

Das Themenspektrum ist breit. Die Kommunikationswissenschafterin Sophie Lecheler untersucht etwa mit dem Computerwissenschaftler Allan Hanbury von der TU Wien, wie die automatisierte Moderation von Inhalten in Online-Foren so gestaltet werden kann, dass das Vertrauen von Nutzern gesteigert wird.

Die Soziologin Ulrike Zartler sucht nach Strategien, mit denen sich junge Leute gegen Cybermobbing zur Wehr setzen können.

Die Computerwissenschafterin Laura Koesten analysiert in ihrem Forschungsprojekt „Talking charts“, wie Datenvisualisierungen verstanden werden. Dabei arbeitet das Forschungsteam der Universität Wien auch an der Entwicklung von Richtlinien und Tools zur visuellen Datenkommunikation.

Digitales Wohlbefinden

Jörg Flecker vom Institut für Soziologie an der Universität Wien geht der Frage nach, wie digitale Tools zur Selbstoptimierung genutzt werden können, um die Gesundheit von Beschäftigten zu schützen.

Und Arno Scharl von der MODUL University Vienna extrahiert aus nutzergenerierten Inhalten der Wiener Bevölkerung einen „Digital Well-Being-Index“ der Stadt.