„Nicht jeder Mensch hat die gleichen Veranlagungen“

Von links: Univ-Prof. Dr. Michael Freissmuth, Jürgen Melzer und Univ. Prof. Dr. Markus Hengstschläger.
Wie sich individuelle Trainingspläne, Präzisionsmedizin und al dente gekochte Nudeln zusammenfügen.

Was haben Spitzensport und Präzisionsmedizin miteinander zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel. Und doch gibt es einen gemeinsamen Nenner – man muss ihn nur entdecken wollen. Genau das ist der Ansatz, der Markus Hengstschläger als Moderator des neuen Wissenschaftstalks „Spontan gefragt“ auf KURIER TV antreibt. Gemeinsam mit seinen Gästen wirft er gerne einen zweiten Blick auf aktuelle Themen. Und siehe da – zwischen Spitzensport und Präzisionsmedizin gibt es eine große Gemeinsamkeit. „Im Sport ist es mittlerweile Alltag, das Training und die Ernährung so zu präzisieren, dass Sportlerinnen und Sportler Spitzenleistung bringen können“, sagt Markus Hengstschläger dazu in seiner Einleitung. „In der Medizin hat Individualisierung auch Fuß gefasst: Genetische Analysen und andere Untersuchungen an den Patient*innen machen es möglich, eine maßgeschneiderte Therapie zu entwickeln.“

Wissensdurst löschen

Die Sendung „Spontan gefragt“ wird vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) unterstützt. „Wir wollen Fragen zur Wissenschaft beantworten – ganz nach dem Motto ,Was Sie immer schon gerne gewusst hätten’“, fasst Markus Hengstschläger zusammen. Zum Thema der zweiten Sendung, Präzisionsmedizin und maßgeschneiderte Medikamente, hat er die Tennis-Legende Jürgen Melzer und Michael Freissmuth, einen der renommiertesten Pharmakologen des Landes, eingeladen. Und die beiden entdecken schnell die Parallele zwischen Spitzensport und Präzisionsmedizin.

„Im Tennis hat sich das Training in den letzten Jahren extrem weiterentwickelt“, so Melzer. „Unsere Jugendlichen durchlaufen ein ganzes Programm mit diversen Körpermessungen. Daraus wird ein individuelles Training zusammengestellt: Das ist wichtig, weil jeder andere Veranlagungen hat.“ Michael Freissmuth schlägt in dieselbe Kerbe, nur aus medizinischer Sicht. „Bei Menschen haben wir eine hohe Variabilität. Verschiedene Genome und andere Effekte führen dazu, dass Arzneimittel bei einer Person wirken, bei anderen aber weniger“, betont der Pharmakologe. „Ziel der Präzisionsmedizin ist, diese Variabilität zu verstehen und dann Arzneimittel zu entwerfen, die in dieser Situation mit hoher Wahrscheinlichkeit wirken.“ Getrieben wird die Präzisionsmedizin von der Krebsforschung. „Eine durchschnittliche Krebszelle kann etwa zehn Millionen Mutationen aufweisen“, so der Pharmakologe. „Für die Präzisionsmedizin ist entscheidend zu verstehen, welche Mutationen für das Wachstum zuständig sind. Denn dann kann man Medikamente entwerfen, die genau die Moleküle treffen, die dafür zuständig sind.“

Enorme Entwicklung

Der Fortschritt in der Präzisionsmedizin sei gewaltig, sagt Freissmuth und holt etwas weiter aus. Er erzählt, dass der Grundstein 1972 von US-Präsident Richard Nixon gelegt worden sei, als dieser den sogenannten National Cancer Act unterschrieben habe. Er wollte alle Kräfte bündeln, um geeignete Therapien gegen Krebs zu finden. „25 Jahre später gab es eine Anhörung im Kongress, wo der Vorwurf erhoben wurde, dass Milliarden Dollar ausgegeben wurden, die zu nichts geführt hätten“, erzählt Michael Freissmuth. „Tatsächlich wurde aber in dieser Zeit ein Produkt eingeführt, das die Leukämietherapie dramatisch verändert hat. Es war das erste Beispiel für Präzisionsmedizin.“ Mittlerweile, so der Experte weiter, seien viele weitere bahnbrechende Arzneien gefolgt.

Grenzüberschreitend

Im Hochleistungssport ist die Zeit ebenfalls nicht stehen geblieben. Als Jürgen Melzer erzählt, dass in der Tennisakademie auch ein Diabetiker-Glukosemessgerät, eingesetzt wird, gibt Michael Freissmuth allen Sportlern einen Tipp: Al dente gekochte Nudeln stellen die Energiezufuhr während körperlicher Anstrengung am besten sicher: „Die Stärke von Hartweizengries setzt beim Aufschlüsseln Traubenzucker frei, der nur ganz langsam arbeitet. So hat man einen kontinuierlichen Nachschub aus dem Darm und kann die Glukosereserve im Muskel schonen.“ Für Jürgen Melzer ein spannendes Thema. Ob man im Vorhinein herausfinden könne, welches Glukosegel bei einem Sportler am besten wirke, möchte die Tennis-Legende wissen. „So weit sind wir noch nicht“, muss Michael Freissmuth unumwunden zugeben. Und doch: In der Sendung „Spontan gefragt“ wurden viele interessante Fragen zum Thema Präzisionsmedizin beantwortet.

Über die Gesprächspartner

„Nicht jeder Mensch hat  die gleichen Veranlagungen“

Der Niederösterreicher begann relativ spät mit dem Tennisspielen. Aber das Talent des Neunjährigen blieb nicht unentdeckt: Mit 14 Jahren wurde er im Internat des Österreichischen Leistungssportzentrum Südstadt aufgenommen. Vier Jahre später wurde Melzer zum ersten Mal Österreichischer Meister und gewann das Junioreneinzel in Wimbledon. Mit Grand-Slam-Titeln im Doppel und Erfolgen im Mixed zählt er zu den erfolgreichsten Tennisspielern Österreichs. Jürgen Melzer lag 2011 14Wochen lang in beidenWeltranglisten – Einzel und Doppel – gleichzeitig in den Top 10. Heute ist er sportlicher Leiter des Österreichischen Tennisverbandes (ÖTV).

„Nicht jeder Mensch hat  die gleichen Veranlagungen“

Univ. Prof. Dr. Michael Freissmuth studierte an der Medizinischen Universität Wien Medizin sowie Pharmakologie. Er war Postdoktorand bei Alfred G. Gilman an der UT Southwestern, Dallas, danach absolvierte er ein Rotationsprogramm für Innere Medizin am AKH Wien und baute seine erste eigene Forschungsgruppe an der Medizinischen Universität Wien auf. Seit 1995 ist er Professor für Pharmakologie und leitet seit 2000 an der Medizinischen Universität Wien das Institut für Pharmakologie. Außerdem ist Prof. Freissmuth im Aufsichtsrat von Boehringer Ingelheim Austria-RCV (Regional Center Wien) sowie Vorsitzender der Heilmittelevaluierungskommission der Österreichischen Krankenkassen.