Umstrittene Studie: Ist auch zu wenig Salz ungesund?
Dass zu viel Salz gesundheitsschädlich ist, darüber sind sich Experten an sich einig: Zu viel erhöht demnach unter anderem das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und beeinträchtigt die Nierenfunktion.
Kontroverse Ergebnisse
In einer Studie, die diese Woche im Fachjournal The Lancet erschienen ist, schreiben Wissenschafter nun aber, dass ein zu geringer Konsum von Salz potenziell ebenso gesundheitsschädigend sein könnte. Für die Erhebung wurden 95.767 Menschen aus 18 verschiedenen Ländern untersucht. Aus der Analyse der Daten folgern die Forscher, dass ein Konsum von unter fünf Gramm Salz pro Tag das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht. Postuliert wird auch, dass es erst ab einem Konsum von über zwölf Gramm Salz täglich zu schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden komme.
Damit widerspricht die neue Untersuchung zahlreichen Studien aus der Vergangenheit, in denen ein Zusammenhang zwischen einem hohen Konsum von salzhaltigen Speisen direkt mit Gesundheitsproblemen in Verbindung gebracht wurde.
"Unsere Studie ist ein Beleg dafür, dass Natrium sich bei moderater Aufnahme positiv auf die Herzgesundheit auswirken kann, aber bei sehr hoher und sehr geringer Aufnahme einen potenziell schädlichen Effekt haben kann", erklärt Andrew Mente von der kanadischen McMaster University im Interview mit dem Independent. Der menschliche Körper brauche Nährstoffe wie Natrium, "die Frage ist nur, wie viel davon", fügt er hinzu. Im Zuge der Studie zeigte sich demnach ein deutlicher Zusammenhang zwischen Salzkonsum und Herzgesundheit, lediglich in Regionen mit besonders hoher Aufnahme, etwa in China, wo die Bevölkerung über Sojasauce große Mengen an Salz zu sich nimmt.
Während eine sehr hohe Natriumzufuhr jedenfalls gefährlich sei, könne auch ein sehr geringer Konsum nachteilig für den Menschen sein und beispielsweise die Produktion bestimmter Hormone, die mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen einhergehen, ankurbeln.
Empfehlungen
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) gibt für Erwachsene einen Orientierungswert von bis zu sechs Gramm Speisesalz pro Tag an. Das entspricht in etwa einem Teelöffel. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt einen maximalen Salzkonsum von fünf Gramm pro Tag und definiert einen physiologischen Tagesbedarf von zwei bis drei Gramm. Wesentlich sind solche Empfehlungen vor allem deshalb, weil der Großteil der Bevölkerung zu viel Salz isst. In Deutschland liegt die Speisesalzzufuhr einer DGE-Erhebung zufolge bei etwa 70 Prozent der Frauen und bei etwa 80 Prozent der Männer bei über sechs Gramm Speisesalz pro Tag. Bei 39 Prozent der Frauen und 50 Prozent der Männer liegt die Speisesalzzufuhr sogar bei mehr als zehn Gramm pro Tag. Im Allgemeinen erfolgt die Aufnahme von Natrium in Form von Speisesalz, welches sich zu etwa 40 Prozent aus Natrium und 60 Prozent aus Chlorid zusammensetzt.
Kritik aus Fachkreisen
Von unbeteiligten Experten wird die Erhebung kritisch beäugt. Tom Sanders, Ernährungsexperte am King's College London, gibt zu bedenken, dass es höchst unwahrscheinlich sei, dass die beobachteten Gesundheitsrisiken bei Menschen mit niedrigem Salzkonsum in einem direkten Zusammenhang stehen – "weil es keine bekannten biologischen Mechanismen gibt, die diese Beobachtung erklären können."
Graham Macgregor, Experte für kardiovaskuläre Medizin an der Queen Mary University of London, formuliert seine Kritik schärfer: "Der Stand der Wissenschaft beweist, dass eine Senkung der Salzaufnahme zu weniger Herz-Kreislauf-Erkrankungen führt, eine der häufigsten Todesursachen weltweit. Unserer Meinung nach sollten derartige Studien mit geringer wissenschaftlicher Qualität nicht als Teil des wissenschaftlichen Konsenses angesehen werden."
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