Toni Kroos: Der Mann für die Strukturen

Toni Kroos zeigt sich bei der WM in Brasilien in bestechender Form.
Der 24-Jährige verpasst dem deutschen Spiel Formen.

Es war eine Angelegenheit von ein paar Minuten: Ran an den Anleger, raus aus dem Bus, rauf auf die Fähre – und Abfahrt. Der neue Tag hatte schon begonnen, als die deutsche Mannschaft nach ihrem historischen Halbfinalsieg gegen Brasilien den Fähranleger am Rio Joao de Tibo erreichte. Eine Hundertschaft der Militärpolizei sicherte das Areal, knapp 150 Brasilianer warteten seit Stunden. Man hätte fast denken können, Toni Kroos hätte den Abtransport organisiert. Nur dass es bei der Ankunft des Busses anfing zu regnen – das wäre dem 24-Jährigen vermutlich nicht passiert.

Kroos ist im deutschen Spiel für die reibungslosen Abläufe zuständig. Er ist der Strukturalist des Teams, und nie ist sein Wert so deutlich zutage getreten wie im legendären Halbfinale. Beim 7:1 leitete Kroos das erste Tor per Eckball ein, das dritte und das vierte erzielte er selbst. "Es war eines meiner besseren Länderspiele", sagte er.

Bruder Leichtfuß

Dieses Understatement hat lange auch zu seinem Spiel gehört – und es ist Kroos nicht immer positiv ausgelegt worden. Dem jungen Mann, der schon mit 17 als eines der größten Talente der jüngeren deutschen Fußball-Geschichte gefeiert wurde, ging manches ein bisschen zu leicht vom Fuß. Sein Spiel wirkte auch dann noch unangestrengt, wenn sich das Volk nach sichtbarer Anstrengung gesehnt hatte.

Gegen Brasilien, vor allem bei seinem Treffer zum 4:0, war nun all das zu besichtigen, was den neuen Toni Kroos ausmacht: Instinkt, Entschlossenheit, Übersicht, technische Raffinesse. Kroos erkannte, dass Fernandinho kurz vor dem eigenen Strafraum Probleme mit der Ballannahme bekommen würde. Er stach im richtigen Moment zu, eroberte den Ball, spielte einen Doppelpass mit Sami Khedira und schloss – scheinbar unangestrengt – mit seinem zweiten Treffer ab. Zwei Tore und vier Vorlagen stehen für Kroos zu Buche. Nach sechs Partien bei der WM genauso wie nach 29 Ligaspielen für die Bayern in der abgelaufenen Saison.

"Die Dinge, die er macht, haben Hand und Fuß. Im Moment hat er eine sehr gute Form", sagte Bundestrainer Joachim Löw. "Unser Mittelfeld ist bei dieser WM immer sehr dominant. Und Toni Kroos hat dazu einen großen Teil beigetragen." Der Bundestrainer hat gerade im zentralen Mittelfeld viel hin und her getüftelt und verschiedene Varianten probiert. Jetzt, zum Ende des Turniers, scheint er mit Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira als Doppel-Sechs sowie Toni Kroos davor die ideale Besetzung gefunden zu haben. Sowohl was Form, als auch was Inhalt angeht.

Fixstarter

Die zentrale Figur in diesem Gebilde ist Kroos, ein Spieler, "der dem Team wahnsinnig viele Impulse gibt", wie Löw sagte. Der Bundestrainer hat Kroos immer schon für seinen taktischen Sachverstand und seine fußballerische Leichtigkeit geschätzt. Trotzdem tat er sich schwer, einen adäquaten Platz für ihn zu finden. Inzwischen muss Löw einen Platz für die anderen finden – weil Kroos sakrosankt ist.

2012 bei der EM hat der Bundestrainer den Münchner als Zwischenspieler bezeichnet. Er meinte damit, dass Kroos es wie kein Zweiter verstehe, in die Räume zwischen den gegnerischen Linien zu kommen. Man konnte den Begriff aber auch anders verstehen: Toni Kroos war der Spieler, der verlässlich zwischen Startelf und Ersatzbank pendelt. Bei dieser WM aber hat Löw sein Mittelfeld um Kroos herum gebaut. Der nimmt nun – in doppelter Hinsicht – die Position ein, die zuvor für Mesut Özil reserviert war. Dieser muss jetzt auf die Seite ausweichen. Schon das sagt alles über die veränderte Hierarchie.

Die Wertschätzung, die er jetzt in der Nationalmannschaft erfährt, hat Kroos lange vermisst. Auch deshalb wird er die Bayern wohl in diesem Sommer verlassen und zu Real Madrid wechseln. Vordergründig geht es ums Geld, hintergründig um das Gefühl fehlender Anerkennung. Man kann trefflich darüber streiten, ob Profifußballer verdienen, was sie verdienen. Man kann aber nicht darüber streiten, dass Mario Götze aktuell fast drei Mal so viel verdient wie Kroos. Und das ist einfach ein schlechter Witz. Erst recht nach dieser WM.

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