Sauberkeitswahn in Rios Unordnung

Die Polizei zeigt auffällige Präsenz. Rio darf schließlich keine schlechte Nachrede haben.
Rio strahlt noch Geruhsamkeit aus, aber Unachtsamkeiten können teuer zu stehen kommen.

Es war nur ein kurzer Moment gedankenloser Gewohnheit. Eine Unachtsamkeit, gar keine Bewegung, ein schlichtes Loslassen. Passiert nahe der Copacabana am strahlenden Nachmittag. Geschehen auf dem Weg zur Metro-Station, deren Name so wunderschön klingt, wenn er sich nicht aus dem Munde eines mitteleuropäischen Touristen presst. Siqueira Campos. Kein Ort, der zu Rios Hotspots der Gefährlichkeit zählt.

Die Verträumtheit endet mit einer rüde formulierten Forderung. Nach Geld. Sie haben sich am anderen Rand der Straße aufgebaut. Einer in Blau, der andere in Braun. Uniformiert.

"Waren Sie das, der diesen Zigarettenstummel weggeworfen hat?" Leugnen? Ungefähr so zwecklos wie der Versuch, einem Einheimischen die Rolle des Musterschülers in einer Samba-Schule streitig zu machen. Der Blaue, ein Militärpolizist, zeigt einen in englischer Sprache verfassten Comic, dessen abschließender Witz in der strafweisen Bezahlung von 157 Reais, also ungefähr 50 Euro, liegt. "Name und Passnummer." Keine Passnummer im Gedächtnis? Verdammt peinlich ist der unfreiwillige Begleitschutz zum Hotel.

Kreativität

Achtung Touristen, haltet Rio rein! lautet die neueste Kampagne eine Woche vor Start der Fußball-Weltmeisterschaft. Die zwar den Drang zur plötzlichen Sauberkeit vermittelt, angesichts mancher Unordnung in der WM-Vorbereitung aber doch etwas eigenartig anmutet.

Sauberkeitswahn in Rios Unordnung
A woman takes photo of a graffiti referring to the 2014 World Cup, in Rio de Janeiro June 3, 2014. The World Cup will be held in 12 cities in Brazil from June 12 till July 13. REUTERS/Pilar Olivares (BRAZIL - Tags: SPORT SOCCER WORLD CUP POLITICS SOCIETY)
Erst am Mittwoch musste Staatspräsidentin Dilma Rousseff einen weiteren Rückzieher schönreden. Eine Disziplin, die sie nach Ansicht politikverdrossener Brasilianer vor den Wahlen im kommenden Oktober zur Perfektion verfeinert hat. Angekündigt wurden einst als Grundbedingung für eine klaglose WM-Ausrichtung der Bau eines zweiten Terminals auf dem internationalen Flughafen von Rio. Auch die Schnellverbindung vom Airport Galeão nach Barra war bereits 2008 in Angriff genommen worden. Schnell war der Tatendrang weg, fertig wurde nichts.

Brasilien signalisiert knapp vor Beginn seines 8,7 Milliarden Euro teuren Turniers dennoch Bereitschaft. Für den Gewinn des sechsten Titels ohnehin, für die Flut von erwarteten 600.000 mehr oder weniger zahlungswilligen WM-Touristen ganz besonders. Wie meinte doch Rios Tourismus-Chef Antonio Pedro Figueira de Mello sinngemäß: Nicht die normalen Leute aus der eigenen Stadt seien unbedingt die Kundschaft dieser WM. Die Tageszeitung O Globo berichtet allerdings, Rio sei in der Beliebtheitsskala internationaler Reiseziele auf Platz 29 abgerutscht.

Adriana lebt in einer Seitenstraße der Copacabana. Eine Häuserschlucht erlaubt einen Blick auf das Meer. Sie zählt sich trotzdem zu den normalen Leuten und kommentiert solch verbale Fouls gelassen und resignierend zugleich: "Manche haben nur Scheiße im Kopf." Immerhin, sie habe in diesen Tagen so viele Polizisten in ihrer Umgebung gesehen wie niemals zuvor.

Gelassenheit

Sauberkeitswahn in Rios Unordnung
Rio de Janeiro.
Die Ruhe herrscht ebendort, wo Menschen annehmen, Gott müsse ein Brasilianer sein. Was kümmert es beispielsweise den gelb verpackten Mann, wenn acht Tage vor WM-Ankick hinter seinem Kiosk noch eifrig an der FIFA-Fanzone gebastelt wird? Seine Handbewegung wirft alle Gedanken daran weg. Nichts ist zu verstehen, nur die Melodie seines immer zäher werdenden portugiesischen Sprachgesangs verrät, wie egal ihm das hysterische Treiben hinter seinem Rücken ist. Ja, er dürfe bleiben, sein Bier verkaufen, und nicht jenes, das ein FIFA-Sponsor ab kommenden Donnerstag auf der anderen Seite des Zauns ins Volk füllen wird.

Offen bleibt, was an diesem Tag sonst noch so alles passieren könnte. Am Dienstag versammelten sich WM-Gegner vor dem Regierungsgebäude in der Hauptstadt Brasilia, um zu demonstrieren. Gegen die enormen Kosten der WM, für die Verbesserung einer verschlampten Gesundheits- und Bildungspolitik. Adrianas Tochter ist 18, Studentin und weiß, was läuft. Via Facebook ist für nächsten Mittwoch eine Demo angesagt. "180 Teilnehmer sind es jetzt", meint sie, "aber das kann sich noch ziemlich auswachsen." Und ja, die Regierung könne sich beides leisten: eine WM und ein besseres Leben der Menschen. "Wir Brasilianer zahlen genug Steuern."

Weiter nördlich, im Centro, bietet sich ein anderes, lebendigeres Bild. Auf der Rua Uruguiana ist der Teufel los. Einer, der mit der WM allerdings kaum etwas zu tun hat. Der ein Gemisch von Hektik, Gerüchen und Lärm verbreitet wie an jedem anderen Tag auch. Nur gelb-grüne Fahnen und Trikots auf Verkaufständen und Straßen verraten das Vorspiel zum großen Ereignis. Und an einer Ecke macht die Panini-Börse ihre Geschäfte. Sachlich und konzentriert. Ihr Fußball ist es nicht, der diese Menschen beunruhigt.

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