Ernsthafte Lebensfreude

Verkleidung: Der Adler ist das Wappentier der Samba-Schule Portela. Erhoffte Beute ist der Sieg im Sambodrom. Es geht um Millionen.
Viel mehr als nur buntes Treiben – ein Besuch in Rios berühmter Samba-Schule.

Ob alt. Steinalt, sogar. Oder jung. Zu jung, vielleicht. Schwarz. Weiß. Gemischt. Ziemlich nackt. Oder bis oben in feinsten Zwirn gehüllt. Niemals zugeknöpft. Schwul, ohne es zu verbergen. Betrunken. Besoffen. Auf keinen Fall nüchtern. Laut. Verzaubernd – sie sind allesamt mitreißend.

4000 Menschen, die sich in die aufgestaute Hitze unter das Wellblechdach der Samba-Schule von Portela gedrängt haben, befinden sich längst in einer anderen Welt. In ihrer Welt. Erreicht in immer höher werdender Schrittfrequenz. Hunderte Arme landen auf Herz, Stirn oder sonst wo. Zwänge sind abgeschafft, völlig unbrauchbar auf der äußersten Ebene des Lebensgefühls. Gestenreich ist die kollektive Darstellung dessen, was auf der Bühne vorgesungen wird. Geschichten von Schmerz, Freude und Sehnsucht müssen es wohl sein. Die Bateria kennt keine Gnade, peitscht ihren getrommelten Rhythmus in die Menge. Und die genießt es. Weinend, lachend, schwitzend, das Morgen existiert nicht mehr.

Ernsthafte Lebensfreude
Samba
Für Sergio Procopio, den Chef der Samba-Schule Portela in Rios Stadtteil Madueira, sehr wohl. Fußball, der mag in der brasilianischen Seele wohnen, aber Samba – sie ist die brasilianische Seele.

Und sie bedeutet ebenso Wettkampf, ausgetragen in einer eigenen Liga (Liesa), den steten Tanz um Geld und Ruhm, belohnt, oder auch nicht, alljährlich im Sambodrom.

Unter Druck

Ernsthafte Lebensfreude
epa04108888 Members of the 'Portela' samba school perform at the sambadrome during the carnival celebrations in Rio de Janeiro, Brazil, 03 March 2014. EPA/Luiz Eduardo Perez
Sergio hat nebenbei die Rolle als erster Cavaquinho – das ist jener Mann, der mit dem kleinen gitarreähnlichen Saiteninstument die Einsätze der Trommlertruppe einleitet – von seinem Vater übernommen. Zum Präsidenten wurde er gewählt, weil sein Vorgänger es zugelassen hat, dass eine der ältesten Samba-Schulen der Stadt "durch Betrügereien in eine sehr schwierige Lage gekommen ist."

Seit 20 Jahren hat Portela (Vereinsfarben Blau-Weiß) im ernst zu nehmenden Wettstreit zur Karnevalszeit nicht mehr gewonnen. Im Vorjahr reichte es für den "Rekordmeister (21 Siege insgesamt) nur für Platz drei. Dies bereitet Sergio Sorge: "Ich trage eine große Verantwortung."

Ernsthafte Lebensfreude
Samba
Denn wenn drei Tage nach der Präsentation im Sambodrom die Bewertung im TV live übertragen wird, starren 30 Millionen Brasilianer hoffnungsfroh auf die Bildschirme. So viele Anhänger hat Portela in ganz Brasilien. Bewertet wird praktisch alles. Kostüme, musikalischer Vortrag, die bis 15 Meter hohen, aus Schaumstoff geformten Figuren, oder die Darbietung der Königin der Bateria. Reichlich zur Schau getragene nackte Haut nährt lediglich das hartnäckige Image von auffordernder Freizügigkeit, welches sich verirrt hat in zumeist europäischer Fantasie.

Monatelang werden 4000 Mitglieder der Schule in der "City of Samba" in einem Flugzeughangar arbeiten. "Und das bedeutet auch einen sozialen Auftrag. Viele Leute erlernen dadurch einen neuen Beruf", sagt Sergio. Für 2015 wurde das Jubiläum "450 Jahre Rio de Janeiro" als Thema ausgewählt.

Hohe Ziele

"Geht für eine Schule alles schief, dann droht der Fall in die zweite Liga und damit der Verlust von wichtigen finanziellen Einnahmen", erklärt der Präsident. Wie im Fußball. Zwei steigen ab, zwei auf. Für Portela gibt es allerdings nur ein Ziel, den Sieg. Gleichbedeutend mit der Aussicht auf höhere Anteile an den Einnahmen des Karnevals, an die Zuschüsse der Liga und an TV-Rechten.

Im Karneval 2014 hat Portela fast zehn Millionen Reais (drei Millionen Euro) in ihr Programm gesteckt.

Und auch das bewegt die brasilianische Seele. Im Jahresrhythmus.

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