SOS Medizin: „Anreize für gesundes Leben“
Ernst Wolner, renommierter Chirurg und Präsident des Obersten Sanitätsrates, hält die Österreicher nicht für „besonders gesund“ und plädiert für rasches Gegensteuern.
KURIER: Herr Professor, wie gesund sind die Österreicher?
Ernst Wolner: Nicht besonders: Bei den gesunden Lebensjahren liegt Österreich in der EU an 17. Stelle. Wir geben aber elf Prozent des Bruttoinlandsproduktes für das Gesundheitssystem aus. Da sind wir in der EU im oberen Drittel. Wir sind sehr gut in der Reparaturmedizin mit niederschwelligem Zugang, aber sehr schlecht in der Gesundheitserhaltung. Wir müssen viel mehr machen, um gesund alt zu werden. Sonst können wir uns das Gesundheitssystem auf Dauer nicht leisten und das Pensionssystem schon gar nicht.
Wo liegt das Kernproblem?
Wie gleicht man diese Defizite aus? Was schlagen Sie vor?
Im niedergelassenen Bereich ist das Service nicht gut, weil es nicht bezahlt wird. Ich glaube, dass wir eine Versorgung durch Ärztezentren, von Sonntag bis Sonntag, täglich von sechs bis 22 Uhr, brauchen. In einem ersten Schritt werden das virtuelle Zentren sein. Das heißt: Unterschiedliche Kassenärzte einer Region oder eines Bezirks arbeiten zusammen. Dort müssen die Leute hin und dort wird entschieden, ob jemand ins Spital muss oder nicht.
Die Ärzte bestehen aber darauf, einen freien Beruf auszuüben.
Da muss man der Ärztekammer sagen, dass sie mit der Gebietskasse de facto einen Anstellungsvertrag haben. Außerdem muss der Hausarzt zum Gesundheitsmanager aufgewertet werden. Manche Privatspitäler bieten ihren Patienten heute schon an, dass sie von ihren Hausärzten mitbetreut werden, solange sie im Spital sind. Das bringt Kontinuität in der Betreuung nach der Entlassung aus dem Spital. Natürlich muss man den Ärzten das zahlen. Man könnte auch Spitalsambulanzen wirtschaftlich gesehen an Ärztekonsortien auslagern, die mit den Kassen verrechnen. Das Spital bräuchte dann entsprechend weniger Geld, das in die Zentren verlagert werden könnte.
Wird die Gesundheitsreform, die 2014 in Schwung kommen soll, Ihrer Forderung gerecht?
Ja, das erwarte ich mir. Und eines muss man schon auch einmal sagen: Das ist das Verdienst des Gesundheitsministers. Er hat durch Beharrlichkeit, auch bei ELGA, viel weiter gebracht.
Sollten wir uns weiter einen Gesundheitsminister leisten?
Ja, aber nur unter zwei Voraussetzungen. Erstens: Er braucht wirkliche Kompetenzen und Kontrollrechte gegenüber den Ländern, wenn sie die Ziele der Gesundheitsreform verfehlen. Und zweitens: Es sollten ihm alle Agenden des Breitensportes übertragen werden. Der Leistungs- und Spitzensport mit den Fachverbänden, der alles andere als gesund ist, kann gerne beim Verteidigungsministerium bleiben. Der Breitensport aber, den die Dachverbände Union, ASKÖ und ASVÖ über haben, gehört neben der Ernährung in die Gesundheitsvorsorge integriert.
Ein Minister, zuständig für Gesundheit und Breitensport?
Ja, er – oder sie – könnte zum Beispiel die tägliche Turnstunde bewerben und umsetzen oder positive Vorbilder vor den Vorhang holen. Wenn es uns nämlich in den kommenden 30 Jahren nicht gelingt, die Menschen zu Bewegung und vernünftiger Ernährung zu bringen, sodass 65-Jährige noch arbeitsfähig sind, werden die Sozialsysteme zu stark belastet werden.
Die Folgen?
Es könnte zur Reduktion der Leistungen für Ältere wie in Großbritannien kommen. Wir müssen die Anzahl der gesunden Lebensjahre erhöhen, um die Reparaturmedizin im Alter zu reduzieren. Die Zahl der Älteren steigt stark und je älter die Menschen werden, desto mehr Leistungen brauchen sie, die sehr viel Geld kosten. Da brauchen wir eine Trendumkehr.
Wie wollen Sie das erreichen?
Wir brauchen Anreizsysteme. Wenn ich die Leute dafür belohne, etwas für ihre Gesundheit zu tun – also etwa abzunehmen, weil sie wegen des Übergewichts schon einen erhöhten Blutdruck und Blutzucker haben, dann werden sie das tun. Ich weiß, das ist ideologisch umstritten. Aber anders wird es kaum gehen.
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