Zwischen Klischee & Wirklichkeit

Willkommen bei Olympia: Frühlingshafte Temperaturen.
Freundliche Volunteers, saubere Sportstätten und ein Wetter wie im Sommer.

Das kann doch gar nichts werden. Russland und Winterspiele? Und dann auch noch in einem Badeort an den Ausläufern der Subtropen, wo man das Wort Skifahren bisher nur vom Hörensagen kannte? Niemals. Nie zuvor waren die Vorbehalte gegenüber einem Olympia-Austragungsort so groß wie bei Sotschi. Nie zuvor waren im Vorfeld so viele Horrorgeschichten in Umlauf. Und nie zuvor war bei Athleten und Zuschauern die Vorfreude so gering wie vor Putins (Macht-)Spielen.

Vor Olympia war ein Bild gezeichnet worden, das von Vorurteilen und Klischees geprägt war. Von Ängsten und Sorgen. Von Väterchen Frost und betrunkenen Hinterwäldlern. Von einem Staat, der die Menschenrechte mit Füßen tritt und Kritiker einsperrt. Auch unter den Sportlern hatte sich die Freude über den Sotschi-Trip in Grenzen gehalten. Spätestens, seitdem der Begriff "Terrorgefahr" im Vorfeld öfter gefallen war als das Reizwort "Medaillenhoffnung" und sich der einstige Zaren-Kurort dank 60.000 Sicherheitskräften in ein russisches Fort Knox verwandelt hatte.

Eine Woche Winterspiele ist Geschichte. Zeit für eine subjektive Zwischenbilanz über Vorurteile und Wirklichkeit.

Klischee 1: Der Russe ist ein mürrisches Wesen.
Die Worte der besorgten Großmutter klangen noch im Ohr: "Russland? Muss das wirklich sein?" Die Nachkriegserinnerungen wurden ausgepackt, als Warnung. Die Realität sieht anders aus: Der Sotschi-Besucher wird mit Freundlichkeit und Komplimenten geradezu überhäuft. "Hello" und "Have a nice day" an allen Ecken. Die Gastfreundschaft der Volunteers geht so weit, dass es mitunter sogar nervt, so oft angelächelt zu werden.

Klischee 2: Auf den russischen Straßen herrscht das reinste Verkehrschaos.
Die Idee klang ambitioniert, den Olympia-Park am Meer mit der Berg-Region Rosa Chutor in 40 Kilometer Entfernung zu verknüpfen. Der Lokalaugenschein zeigt: Der Verkehr ist gut organisiert, die Staus bleiben aus. Und auch die Busfahrer wissen mittlerweile, was sie zu tun haben – und müssen nicht mehr die Fahrgäste nach dem Weg fragen.

Zwischen Klischee & Wirklichkeit
Russian police officers patrol near the Olympic flame at the 2014 Sochi Winter Olympics, February 9, 2014. Sochi will host the 2014 Winter Olympic Games from February 7 to February 23. REUTERS/Eric Gaillard (RUSSIA - Tags: SPORT OLYMPICS)
Klischee 3: Olympia wird eine einzige Baustelle.
"Opening soon", versprach die Homepage des Hotels am Tag der Abreise in Wien und ließ damit das Schlimmste befürchten. Doch der Reality-Check verblüffte: Moderne Architektur, fast fertig, erwartete die Gäste in Gorki Gorod. Kinderkrankheiten wie das leidige Wasserproblem (braun oder kalt, oder beides) waren schnell behoben. Freilich gibt es auch andere Beispiele und Bilder von Olympia, die durch die modernen Medien wie Twitter und Facebook in die Welt hinausgetragen wurden. Tatsache ist: 98 Prozent der Sotschi-Gäste können sich nicht über ihre Unterkunft beschweren. Und spät, aber doch haben inzwischen auch einige Restaurants aufgesperrt. Sauber sind sie zudem, diese Winterspiele. Spätestens seit die Mülltonnen im Ein-Meter-Abstand aufgestellt wurden. Rekord: Allein an der Bergstation der Gondelbahn in Gorki Gorod sind 19 Kübel in Sichtweite. Und über die Sportstätten wurde sowieso nie ein schlechtes Wort verloren.

Klischee 4: In einem Sommer-Kurort kann man keine Winterspiele veranstalten.
Möglicherweise sind ja auch einige Milliarden in die Bestechung des Wettergottes geflossen. Die milden Temperaturen, der Sonnenschein und der blaue Himmel mögen vielleicht der Feind aller Ausdauersportler und Serviceleute sein, für die Fans vor Ort und die Zuschauer vor den TV-Geräten sind diese frühlingshaften Rahmenbedingungen ein Segen und sicher ein Mitgrund für die positive Grundstimmung.

Klischee 5: Olympia interessiert die Russen nicht.
Zugegeben, es hat schon Olympische Spiele mit einem größeren Publikumsansturm gegeben. Die Euphorie und Ekstase der Russen reduziert sich auf ihre Kernsportarten Eishockey, Eiskunstlauf und Biathlon. Der Zinnober, der dort allerdings veranstaltet wird, hat durchaus Gänsehaut-Charakter. Was nicht wirklich angenommen wird, ist das Public Viewing, die Russen schauen offensichtlich nicht gerne öffentlich fern.

Klischee 6: Wer zu den Spielen nach Sotschi fährt, muss um sein Leben fürchten.
Drohnen über den Sportstätten, Fliegerabwehrraketen auf den Hügeln, Tausende getarnte Soldaten im Unterholz – wer genau hinsieht, der entdeckt überall die hohen Sicherheitsvorkehrungen, die von den Russen getroffen wurden. Der Olympia-Gast fühlt sich dennoch nicht wie in einer Festung, zumal die Polizisten und Soldaten zuvorkommend sind, auch wenn sie sich oft nur mit Händen und Füßen verständigen können. Der KURIER durfte sogar die olympische Fackel in die Hand nehmen, während der Polizist das Erinnerungsfoto schoss. Um sein Leben fürchten muss sich nur der Fußgänger. Zebrastreifen sind in Russland offenbar nur Zierde.

Klischee 7: Die Österreicher holen sowieso keine Medaillen.
Im Schwarzmalen ist der Österreicher Olympiasieger. Mit dem Sieg in der Königsdisziplin Abfahrt waren die Winterspiele bereits am zweiten Tag gerettet. "Das wichtigste Gold", strahlte denn auch ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel.

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