Wem die Geisterstunde schlägt

Late-Night-Flugshow: Bei Olympia werden die Adler zu Nachteulen, Gregor Schlierenzauer wurde von den späten Flugzeiten und dem Terminstress aus der Bahn geworfen
Die Adler werden in Sotschi zur Nachtschicht gebeten, Schlierenzauer ist das erste Opfer.

Gregor Schlierenzauer musste gar nicht viel sagen, sein Blick sprach ohnehin Bände. Die Bräune, die er von einem Kurztrip nach Dubai zu den Olympischen Spielen mitgebracht hatte, war aus seinem Gesicht gewichen. Er war blass wie ein Blatt Papier.

Wie ein Häufchen Elend lag er da, im Kaminzimmer des Österreich-Tirol-Hauses in Krasnaja Poljana, nachdem er fluchtartig die internationale Pressekonferenz der rot-weiß-roten Skispringer verlassen hatte. „Mir graust vor dem Mittagessen“, sagte der 24-Jährige und nippte vorsichtig am Kamillentee und am Schnäpschen, das ihm sein Leibarzt Andreas Lotz verordnet hatte.

Schlierenzauers Magenverstimmung zeigt auch auf, unter welcher Belastung die hochsensiblen Skispringer bei diesen Winterspielen stehen: Keine anderen Sportler haben bei Olympia so arbeitnehmerfeindliche Dienstzeiten wie die Adler, die diesmal ihre Bewerbe zur Geisterstunde austragen müssen. Hintergrund der verspäteten Abflugzeiten (21.30 Uhr Ortszeit): die Quotenbringer sollen im Kernmarkt Mitteleuropa zur Primetime über die TV-Schirme springen.

Kurze Nacht

So lässt sich auch die blasse Gesichtsfarbe von Schlierenzauer erklären. Ihm war im olympischen Trubel alles ein wenig zu viel geworden. „Ich habe eine sehr kurze Nacht hinter mir. Um halb zwei ins Bett, dann um halb acht in der Früh schon eine Dopingkontrolle, und danach gleich wieder auf die Schanze“, berichtet der Stubaier.

Endgültig den Garaus machte Schlierenzauer dann die Pressekonferenz im stickigen Kammerl, in dem sich knapp hundert Medienvertreter auf 40 Quadratmetern drängten.

Ähnlich eng wird es wohl auch am Sonntag beim Auftaktspringen auf der Normalschanze von Gorki zugehen. „Hier zählt jeder Meter“, weiß Schlierenzauer, der auf dem kleinen Olympia-Bakken bereits die Generalprobe gewonnen hatte. Derzeit sucht der zweifache Saisonsieger noch die Höchstform. „Ich habe noch Luft nach oben“, meint der 24-Jährige.

Geheimer Favorit

Michael Hayböck hingegen tut sich derzeit schwer, an seinen Sprüngen noch irgendetwas auszusetzen. Der Oberösterreicher präsentierte sich in den ersten drei Trainingsdurchgängen so stark (Plätze 2., 1., 2.), dass er am Freitag einen Bogen um die Schanze machte. „Mir geht es im Moment leicht von der Hand“, sagt der 22-Jährige, in dem viele Experten nun sogar einen potenziellen Olympiasieger sehen. Auch Hayböck selbst hat sich auf der Medaillenrechnung. „Wenn ich mir keine Medaille zutrauen würde, dann hätte ich meinen Startplatz gleich dem Andreas Kofler überlassen.“

Der Tiroler muss zumindest beim Auftaktbewerb zusehen, da sich auch Thomas Diethart und Thomas Morgenstern mit souveränen Trainingsleistungen für den Wettkampf qualifizierten.

Nicht zuletzt seinem Kollegen Morgenstern hatte Gregor Schlierenzauer seine blasse Gesichtsfarbe zu verdanken. Denn es war die Erfolgsstory vom Comeback des Stehaufmännchens, die so viele Journalisten ins Österreich-Haus gelockt hatte. „Dass ich überhaupt hier dabei sein darf, löst bei mir bereits große Emotionen aus“, sagt der 27-Jährige.

Morgenstern ist fest davon überzeugt, dass ihm einen Monat nach dem Sturz am Kulm am Sonntag die große Geisterstunde schlagen kann: „Bei mir ist wirklich alles möglich.“

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