Die neue Leichtigkeit des Seins

Zurück zu den Wurzeln: Thomas Morgenstern hat wieder zu sich selbst gefunden
Thomas Morgenstern zeigt sich vor dem Springen auf der Normalschanze gelöst wie nie.

Thomas Morgenstern war auf einmal nicht mehr zu bremsen. Sein Mundwerk war so lose, dass die flotten Sprüche nur mehr so aus ihm herauspurzelten. Was er denn vom Damen-Skispringen halte, wurde er bei der internationalen Pressekonferenz gefragt. „2018 bei den Spielen in Südkorea werde ich Co-Trainer bei unseren Skispringerinnen“, antwortete Morgenstern und grinste. Schallendes Gelächter im Österreich-Haus.

Der Adler gefiel sich sichtlich in der Rolle des Spaßvogels und genoss augenscheinlich die überraschend schnelle Rückkehr ins sportliche Rampenlicht.

Da hat einer offenbar alles hinter sich gelassen. Das hartnäckige Formtief der vergangenen beiden Saisonen. Die privaten Turbulenzen. Die schweren Stürze in den letzten beiden Monaten. Und als hätte dieser aufgekratzte Auftritt tatsächlich noch Zweifel offen gelassen, lieferte der 27-Jährige gleich auch noch selbst den Beweis hinterher: „Ich bin im Moment gerade einfach sehr selbstbewusst.“

Alte Frische

Diese Lockerheit ist man von Thomas Morgenstern gar nicht mehr gewohnt. Nach dem WM-Titel und dem Gesamtweltcupsieg 2011 war es mit dem österreichischen Höhenflieger immer weiter bergab gegangen, irgendwann in den vergangenen beiden Saisonen war ihm auch sein ansteckendes Lächeln abhanden gekommen.

Der Thomas Morgenstern von Sotschi 2014 erinnert jetzt wieder stark an den Thomas Morgenstern der besten und erfolgreichsten Jahre. So gelöst und selbstsicher, wie er sich vor dem Auftaktspringen auf der Normalschanze (18.30 Uhr MEZ) präsentiert. Nach seinen Stürzen in Titisee-Neustadt und am Kulm verspürt der Kärntner eine ungeheure Dankbarkeit und Freude, dass er überhaupt bei Olympia sein kann. „Mir ist bewusst geworden, was für eine Fett’n ich bisher bei meinen Stürzen eigentlich gehabt habe“, sagt Morgenstern. „Es war ein wunderschöner emotionaler Moment, wie ich im Krankenhaus meiner Mutter in die Augen geschaut habe. Diesen Blick werde ich mein Leben lang nicht mehr vergessen.“

Lauf der Dinge

Nach all dem, was Morgenstern in den letzten Wochen durchgemacht hat, hat der 27-Jährige jetzt von allen Skispringern vermutlich den besten Zugang zu Olympia. „Klar hätte ich mich normal anders vorbereitet als zwei Wochen im Krankenhaus liegen und schauen, dass ich irgendwie wieder gerade gehen kann und meinen Kopf bewegen kann“, sagt Morgenstern, „andererseits muss ich auch nicht auf Biegen und Brechen springen. Ich kann es laufen lassen.“

Das ist eigentlich sogar die perfekte Strategie im Kopfsport Skispringen, wie der Öffentlichkeit nicht zuletzt durch Senkrechtstarter Thomas Diethart bei der Tournee erst wieder deutlich gemacht wurde. Und nicht wenige Schanzen-Experten sehen in Morgenstern sogar einen größeren Medaillenkandidaten als in Gregor Schlierenzauer, weil für den österreichischen Superstar in Sotschi nur die Einzel-Goldmedaille zählt. „Ein anderes Ziel wäre bei mir auch unglaubwürdig“, weiß Schlierenzauer.

Thomas Morgenstern hat mit dem Olympiastart schon „ein großes Ziel erreicht. Ich weiß, dass das Potenzial für eine Medaille in mir schlummert.“ Angesichts der Krankengeschichte wäre ein weiteres Edelmetall des dreifachen Olympiasiegers die Erfolgsstory schlechthin. Und möglicherweise auch das letzte Kapitel in der Karriere des Österreichers. „Die Gedanken über das Karriereende sind in meinem Schädel herumgetanzt“, gesteht der 27-Jährige, der seit 2002 bereits im Weltcup springt. „Nach der Saison werde ich mir dann darüber noch einmal Gedanken machen.“

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