Sotschi: Von Olympia-Euphorie keine Spur

Palm-Wanderung: Winterzeit in Sotschi.
Ist das wirklich der Ort, von dem alles spricht? Wo, bitteschön, sollen hier Winterspiele stattfinden?

Die Olympischen Spiele haben sich gut versteckt. Wer sie finden will, der benötigt hervorragende Augen und einen Blick fürs Detail. Am besten gleich beides. Sonst könnte es nämlich durchaus passieren, dass man sich in Sotschi verwundert die Augen reibt und rätselt: Ist das wirklich der Ort, von dem dieser Tage alles spricht? Wo, bitteschön, sollen hier Olympische Winterspiele stattfinden?

Schnee? Fehlanzeige. Olympische Vorfreude? Unter der Wahrnehmungsgrenze. Hektik und Aufregung? Keine Spur. Menschenmassen wie sonst üblich bei Großveranstaltungen? Nicht der Rede wert. Würden da nicht von einigen Häusern lieblos bunte Fahnen hängen, wären da nicht die Wegweiser, die das wild-bunte Sotschi-Logo ziert, und würde nicht im Park der Olympia-Countdown die Tage herunterzählen, man könnte glauben, der russische Alltag hätte den riesigen Badeort fest im Griff.

Alltagsgeschichten

Lokalaugenschein in der Stadt an der Schwarzmeerküste, die Wladimir Putin als Austragungsort der ersten Winterspiele auf russischem Boden auserkoren hat. Zwei Tage vor der Eröffnung des Großereignisses scheint es, als stelle Sotschi tatsächlich nur den Namen für das Prestigeprojekt zur Verfügung. Zum Sport und den Spielen selbst fehlen schlicht die Berührungspunkte. Klar, finden die Bewerbe doch entweder in den Bergen rund um Krasnaja Poljana in 70 Kilometern Entfernung, oder in Adler statt, einer modernen Stadt, die man in einer halben Zugstunde erreichen kann.

In der olympischen Hauptstadt selbst zeigt man sich relativ unbeeindruckt. Es herrscht das übliche Wochentagstreiben: Da schieben adrett gekleidete Damen ihre Kinderwägen durch den Park, da tummeln sich Hungrige im Fast-Food-Lokal, da stehen ältere Herren auf ein Pläuschchen an einem der vielen Brunnen zusammen oder machen Bauarbeiter gerade Pause – von Letzteren gibt es übrigens nicht nur auf der Großbaustelle im Mountain-Cluster genug. Auch rund um den Bahnhof in Sotschi wird noch mehr oder weniger fleißig gewerkt. Hier reihen sich die riesigen Glaskomplexe einer zukünftigen Shoppingmeile aneinander. Das Warenangebot lässt aber noch zu wünschen übrig: In einer der Auslagen präsentiert sich ein großer Erdhaufen.

„Es ist deine Olympiade“, steht auf einem riesigen Plakat. Im Gebäude darunter befindet sich das Sportmuseum, es ist geschlossen. Auch die Hütten der Volunteers, die in der Fußgängerzone an jeder Ecke stehen, haben ihre Fensterläden noch heruntergeklappt. Wenige Schritte weiter macht sich dann aber doch ein Anflug von Olympia-Stimmung breit. Der Grund ist das ultimative Sport-Symbol: die fünf olympischen Ringe. Da stehen die kurzberockten und hochbestöckelten russischen Damen sogar Schlange, um ein Foto zu ergattern. Wer versehentlich das Bild stört, erntet einen finsteren Blick. Ähnliche Emotionen lösen lediglich noch die drei Olympia-Maskottchen am anderen Ende der Flaniermeile aus. Hier sind die Fotomodelle, die um Andenken anstehen, aber deutlich jünger und großflächiger bekleidet.

Kontrast-Reich

Die 343.000-Einwohner-Stadt Sotschi lebt von den Gegensätzen, das Erscheinungsbild ist zusammengewürfelt: Da stehen Bürotürme im 70er-Jahre-Stil neben modernen Glaspalästen; da präsentieren sich adrett gesetzte Blumenbeete und frisch gesäter Rasen vor einer Baustelle; und da wachsen riesige Palmen neben Tannenbäumen, die noch immer die Weihnachtsdekoration ziert.

Und dann wäre da natürlich noch der Kontrast zwischen Wunsch und Realität: „Sotschi ist eine rauchfreie Stadt“, erfährt der Zuggast in Dauerschleife auf der einstündigen Fahrt Richtung Stadt. Die Zigaretten-Stummel am Wegesrand und der Besuch in einem Restaurant zeichnen allerdings ein anderes Bild: „Nichtraucher?“, fragt die junge Bedienung. Der Unterton in ihrer Stimme, gepaart mit dem ungläubigen Blick, verraten, dass sie dieses Wort wohl nicht oft hört. Die geschätzten sieben rauchfreien Tische befinden sich ums Eck im weniger einladenden Teil der Sushi-Bar.

Sotschi: Von Olympia-Euphorie keine Spur
Stadt Sotschi, Olympia 2014, Andrang am Ticketschalter c Stefan Sigwarth
Kurz vor der Abreise wird der Sotschi-Besucher dann doch noch eines Besseren belehrt: Vor dem Eingang des Bahnhofs hat sich eine lange Schlange aufgebaut. Eh klar, ein Stau vor einer der Sicherheitskontrollen, denkt sich der Sotschi-Pessimist, ärgert sich schon im Geiste und liegt damit völlig falsch: Die vielen Menschen stellen sich beim Ticketschalter an, um bei einem der olympischen Bewerbe dabei sein zu können. Die Anzahl der Karten, die an Iwan-Normalfans abgegeben werden, ist begrenzt. Kein Wunder also, dass die Warteschlange längst über die Stiegen hinunter und bis vor das Eingangstor hinaus reicht.

Da ist sie also doch noch zu finden, die Olympia-Euphorie im Ort, der den Spielen seinen Namen geliehen hat.

Gut getarnt - aber nicht gut genug:
Eine kleine Auswahl jener Zelte, die entlang der Bahnlinie von Adler nach Krasnaja Poljana stehen.

Kommentare