Shaun White: Superstar & Hassobjekt
Die Snowboard-Szene ist eine große Familie. Der Olympia-Zuschauer konnte das bereits bei den Slopestyle-Bewerben in Sotschi sehen. Wenn einem „Gegner“ ein Lauf gelingt, dann gratulieren ihm die anderen. Wer hinfällt, wird umarmt, wer gewinnt, bejubelt.
In kaum einem olympischen Sport zählen Nationen so wenig wie beim Freestyle-Snowboarden. Kanadier trainieren mit Finnen, Schweizer mit Amerikanern, die Athleten sind die ganze Saison miteinander unterwegs, drehen Videos, fahren bei denselben Bewerben mit. Snowboarden, das war einmal Rebellion gegen Ski fahrende Eltern, gegen Tradition, gegen Richtlinien. Als der Sport in den 1980er-Jahren entstand, stand die Freiheit, die Individualität im Vordergrund – nicht der Wettkampf.
Um die Jahrtausendwende kam einer, der schien den Sport zu verkörpern wie kein anderer. Shaun White aus Südkalifornien, mit seinen langen roten Haaren, mit seinem gleichgültigen Grinsen, mit seinen damals tief sitzenden Hosen, gewann bereits als Teenager alles, was es zu gewinnen gab. Gegen Männer, die teilweise zehn Jahre älter waren als er. Er war das Küken des Snowboardens: Sie nannten ihn „die fliegende Tomate“, die Herzen der Fans flogen ihm zu, die Gegner zeigten sich tief beeindruckt.
Sprung ins Geschäft
Doch seine Lebensaufgabe ist die Halfpipe. Er will gewinnen, koste es, was es wolle. Das mag im Sport etwas völlig Normales sein, doch nicht für viele Snowboarder der alten Schule.
Doch der Snowboardsport hat sich weiterentwickelt. Er ist längst im Kommerz angekommen. Bestes Symbol dafür ist – Shaun White. Er verdient allein durch Werbung mehr als zehn Millionen Dollar pro Jahr. Dazu kommen Preisgelder und Auftritte in Hollywood-Filmen. 2010 zierte er das Cover des Magazins Rolling Stone.
Die Snowboard-Szene sieht er schon lange nicht mehr als Familie. „Dieses ‚alle sind Freunde und es ist egal wer gewinnt‘ ist so falsch“, sagte er kürzlich genervt. Preisgeld teilt er, wie es bei vielen in der Szene üblich ist, schon lange nicht mehr. Und trainieren, das macht er meistens allein. Seine Sponsoren haben ihm in Colorado eine eigene Halfpipe von olympischem Format gebaut, die nur mit dem Helikopter zu erreichen ist. Kein zweiter Fahrer hat ähnliche Trainingsbedingungen. Der Doppel-Olympiasieger von Turin 2006 und Vancouver 2010 feilt bis zum Umfallen an Tricks, lernt neue Sprünge, die bis dato noch keiner gemacht hat.
Gegner und Freund
Heute ist auch Pearce in Sotschi, als Zuschauer. Wettbewerbe fährt er seit dem Unfall keine mehr.
Kurz vor seinem Sturz hatte Pearce noch über White gesagt: „Er ist wie ein Roboter, einfach nicht zu schlagen.“ Nach dem Unfall hatte Shaun White über seinen langjährigen Wegbegleiter und Mitstreiter Kevin Pearce gesagt: „Wir müssen eben alle innerhalb unserer Fähigkeiten fahren.“
Nur Gold akzeptabel
Für den mittlerweile verbissen wirkenden Gewinnertypen White ist jeder zweite Platz eine Niederlage. „Ich habe das Gefühl, alle sind hinter mir her“, sagte White einmal. Und es ist immer noch so. In seiner Heimat Amerika wird der Halfpipe-Bewerb medial riesig aufgebauscht. Der Druck auf White ist enorm: Alles außer Gold ist inakzeptabel. „Es ist aber nicht mehr Druck als ich mir selbst mache“, sagte er. „Ich erwarte ohnehin das Beste von mir – immer.“
Der Halfpipe-Bewerb der Herren in Rosa Chutor geht am Dienstag über die Bühne. Von 11 bis 14 Uhr MEZ läuft die Qualifikation, das Halbfinale dauert von 16 bis 17 Uhr, das Finale folgt von 18.30 bis 19.30 Uhr unter Flutlicht. Österreicher sind nicht am Start. Top-Favorit ist der Amerikaner Shaun White. Seine Verfolger sind vor allem der russischstämmige Schweizer Iouri Podladtchikov und US-Teamkollege Danny Davis.
Entschärfter Kurs
Die Halfpipe wurde nach Kritik einiger Fahrer – unter anderem von Shaun White – für den heutigen Wettkampf entschärft. Sie wurde an den Seiten abgeflacht.
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