Holt Iraschko-Stolz die vierte Medaille?

Grande Dame: Daniela Iraschko-Stolz (30).
Um 18:30 Uhr erleben die Skispringerinnen ihre olympische Premiere.

Es vergeht in Sotschi kein Tag, an dem Daniela Iraschko-Stolz nicht die Angst vor dem bösen Erwachen plagt. „Immer, wenn ich in der Früh die Augen aufmache, dann schaue ich sofort nach, ob ich wirklich noch hier in meinem Zimmer im olympischen Dorf bin, oder ob das nicht alles doch nur ein Traum ist“, sagt die Skispringerin.

Die Sorge der Steirerin ist völlig unbegründet: Ihr Kindheitstraum von einem Start bei den Olympischen Spiele ist nun tatsächlich Wirklichkeit geworden. Auch wenn die Emanzipation im Skispringen ein langer, mühsamer und sehr nervenaufreibender Kampf gewesen ist.

Dumme Sprüche

Vorurteile und Vorbehalte waren lästige Begleiter auf dem Weg vom belächelten Minderheitenprogramm hin zu einem anerkannten Sport, der heute seine Olympia-Premiere feiert (18.30 Uhr). So hatte sich FIS-Präsident Gian-Franco Kasper einst Sorgen um das Wohl der Adlerinnen gemacht. Er fürchte, sagte Kasper, dass durch die Wucht der Landung die Gebärmutter einen Schaden davontragen könnte. Daniela Iraschko-Stolz hat die dummen Sprüche immer schon ignoriert. Bereits in jungen Jahren, als sie in der Schule als erstes Mädchen flügge wurde und die Langlaufskier gegen die Sprunglatten tauschte, hatte sie sich einiges anhören müssen. „Aber nur so lange, bis ich das erste Mal den Burschen davongesprungen bin.“

Heute ist die Steirerin eine der Vorreiterinnen und Vordenkerinnen der jungen, femininen Skisprung-Bewegung, die immer mehr Anhänger findet. Iraschko-Stolz war federführend an der Image- und Charmeoffensive der Adlerinnen beteiligt. Von jenen Skispringerinnen, die vor einem Jahrzehnt den Kampf um mehr Aufmerksamkeit, Unterstützung und die Olympia-Teilnahme begonnen hatten, kann die 30-Jährige als eine der wenigen die olympischen Früchte noch selbst ernten. „Wenn es Olympia nicht gegeben hätte, dann hätte ich die Karriere vermutlich beenden müssen.“

Hartes Los

Denn noch bis vor wenigen Jahren war es für eine Skispringerin unmöglich, von ihrem Sport zu leben. Selbst eine Seriensiegerin wie Daniela Iraschko-Stolz, die in ihrer Laufbahn immerhin 46 Continental-Cup-Springen gewonnen hat, musste sich große Existenzsorgen machen. „Da bist du die beste Skispringerin der Welt und kannst dir praktisch nichts kaufen. Am Ende des Monats hab’ ich immer bei meinen Eltern betteln müssen: ,Mama, ich brauch’ Geld.‘ Das war schon sehr beschämend“, erinnert sich die 30-Jährige, die heute von ihrem Idealismus und ihrem Einsatz für das Standing des Damen-Skispringens profitiert.

Böses Blut

Die Aufnahme ins WM-Programm 2009 war der erste Schritt aus der Bedeutungslosigkeit. Die Einführung des Weltcups, bei dem Siegerinnen 2500 Euro Prämie winken, war ein weiterer Schritt ins Scheinwerferlicht. Und die Premiere bei Olympia wird für zusätzlichen Rückenwind sorgen.

Doch Daniela Iraschko-Stolz hat auch schon die Schattenseiten der neuen Popularität kennengelernt: Gerade jetzt in Sotschi wird die bekennende Homosexuelle im Internet wüst beschimpft, nachdem sie bei einer Pressekonferenz von dem herzlichen Klima im Olympischen Dorf geschwärmt hatte. Tenor: Man hätte von jemandem wie ihr kritischere Stimmen zur schlechten Lage der Homosexuellen in Russland erwartet. Bei manchen Menschen, die selbst lautstark Toleranz einfordern, ist die eigene Toleranzgrenze offenbar weiter unten angesiedelt.

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