Wintersportnation für einen Tag

Die neue„Queen of Speed“: Elizabeth Yarnold.
Frauen-Skeleton macht aus apathischen Briten plötzlich Olympiafans.

In der Regel haben Briten für die Olympischen Winterspiele nur ein Achselzucken übrig. Die allgemeine Apathie in Großbritannien weicht nur in Einzelfällen einer plötzlichen Begeisterung. Zum Beispiel 2002 in Salt Lake City, als sechs Millionen britische Zuschauer bis tief in die Nacht verfolgten, wie ihr Curling-Team die Goldmedaille gewann.

Am siebenten Wettkampftag bei den Spielen in Sotschi war es nun wieder soweit. Großbritanniens größte und wohl auch letzte Hoffnung auf eine Goldmedaille, Elizabeth "Lizzy" Yarnold, konnte sich gegen die starke Konkurrenz aus den USA und aus Russland durchsetzen und die Goldmedaille im Skeleton der Damen erringen. Sie gewann vor der US-Amerikanerin Noelle Pikus-Pace und der Russin Jelena Nikitina.

Adoptierter Nationalsport

Es mag erbärmlich klingen, aber in Großbritannien hat man Skeleton, wie auch Radsport, als Nationalsport adoptiert. Komisch für ein Land, das keine einzige Eisbahn besitzt. Trotzdem war „Team GB“ nach Medaillen in Turin und Vancouver eine Großmacht im Frauen-Skeleton. Und auch dieses Jahr wurden die Erwartungen der Briten erfüllt. Eine Überraschung war der Olympiasieg Yarnolds nicht: Die 25-Jährige ist Gesamt-Weltcupsiegerin und Weltranglistenerste.

Woher kommen der Erfolg auf dem Eis und die Euphorie? Angefangen hat alles 2006, als Shelley Rudman überraschend die Silbermedaille holte. Damals war Skeleton in Großbritannien völlig unbekannt. Wie viele Wintersportarten auf der Insel erhielt es keine staatliche Förderung – Rudman musste alles selbst bezahlen.

Aufnahme in den Förderfonds

Rudmans Silber war die einzige britische Medaille bei den Spielen von Turin – ein Anreiz, diese Sportart vielleicht doch weiter zu fördern. Der Förderfonds „UK Sport“ entschied ab 2006, Skeleton mitzufinanzieren, und 2010 feierte die Sportart ihren nächsten großen Erfolg. Rudman war in Vancouver zwar Fahnen- und einzige Hoffnungsträgerin für Großbritannien, eine Medaille gewann sie aber nicht. Stattdessen stürmte im letzten Rennen die unbekannte Amy Williams an zwei Deutschen vorbei zum Sieg.

Williams war die erste britische Winterolympiasiegerin in einem Einzelwettkampf seit 30 Jahren. Über Nacht wurde sie zur Nationalheldin. Bei der Rückkehr durfte sie ihren Job im Schokoladengeschäft „Thorntons“ aufgeben, und wurde kurzfristig zum vermarktbarsten weiblichen Gesicht des Landes. Im Gespräch mit dem berühmten Talkshow-Moderator Jonathan Ross sagte sie: „Ich habe mehr Angst hier auf dieser Couch als auf der Bahn.“ Die Briten verliebten sich.

Yarnold wurde süchtig

Nach vielen Verletzungen ist Williams inzwischen zurücktreten, aber in Lizzy Yarnold gibt es schon eine Nachfolgerin. Wie keine andere steht sie für das Erfolgsmodell der staatlichen Skeleton-Förderung. Eigentlich wollte sie Fünfkämpferin werden, als sie vor sechs Jahren am „Girls4Gold“-Scoutingprogramm teilnahm. Aber Yarnold wurde als mögliches Skeleton-Talent identifiziert. Sie probierte es aus, und entschied sofort, dass es ihre Sportart ist: „Entweder man will das nie wieder machen, oder man wird sofort süchtig“, sagte sie dem Guardian.

Gut für Großbritannien, dass Yarnold süchtig wurde. Seitdem wohnt sie in Bath, in der Nähe des Hauptquartiers des britischen Skeleton-Verbands. Die Vermieterin ihres Hauses ist – Amy Williams. Im Südwesten Englands kann sie nur trocken auf Rollen trainieren, deswegen weicht sie oft nach Igls aus. Im vergangenen Jahr gewann sie den Gesamtweltcup, nur einmal verpasste sie einen Podestplatz.

"Queen of Speed“

Bei Olympia erfüllte sie sich nun ihren großen Traum. Ihre Dominanz in den Testrennen am Anfang der Woche war noch mit Vorsicht zu genießen, da ihre große Konkurrentin, die US-Amerikanerin Noelle Pikus-Pace, auf die Tests verzichtete, doch auch in den entscheidenden vier Durchgängen, wusste Yarnold zu überzeugen und errang, nach 2010, das zweite Skeleton-Gold für Großbritannien.

2010 wurde Williams von den Medien zur „Queen of Speed“ gekrönt. Seit heute hat die Olympiasiegerin von Vancouver eine legitime Nachfolgerin: Elizabeth Yarnold, die ihren Namen mit der echten Königin gemeinsam hat. Vielleicht wird Großbritannien für mehr als nur einen Tag zur Wintersportnation.

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