Flügelkämpfe vor der letzten Chance

Nachholbedarf: Gregor Schlierenzauer ortet vor dem Teamspringen am Montag Probleme: "Wir sind nicht up to date".
Österreichs Adler diskutieren und haben im Teambewerb am Montag ihre Erfolgsserie zu verteidigen.

Dafür, dass er der erfolgreichste Skispringer der Weltcup-Historie ist, wirkt Gregor Schlierenzauer gerade ziemlich ratlos. "Warum trainiere ich eigentlich so viel?", fragte der Stubaier nach der neuerlichen olympischen Enttäuschung auf der Großschanze (Rang sieben). "Schön langsam verstehe ich die Sportart nicht mehr."

Die Entwicklungen der letzten Monate haben Schlierenzauer nachdenklich gestimmt. Dem 24-Jährigen sind zusehends seine einstige Dominanz und Souveränität abhanden gekommen – und damit auch das Selbstbewusstsein und die Leichtigkeit des Seins. "Früher habe ich mich mit den Schanzen gespielt", erinnert sich der Tiroler, jetzt fühlt er sich gerade wie Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel auf dem Pannenstreifen. "Als würde der Vettel alles geben und ein scheiß Auto haben."

Neuer Sprungstil

In den Augen von Schlierenzauer sind er, seine Kollegen und der ÖSV ins Hintertreffen geraten. "Wir sind sicher nicht up to date." Das ist bereits die zweite Kritik an der ÖSV-Führung rund um Cheftrainer Alexander Pointner binnen weniger Tage, nachdem er sich bereits darüber beklagt hatte, dass sein Privatcoach Markus Maurberger von den Winterspielen ausgeladen wurde. "Ich habe meine Aufgabe, meinen Job gemacht. Alles andere ist meistens ein Leitbild der Trainer. Da muss man sicherlich den Hebel ansetzen."

Alexander Pointner, der sich am Tag nach dem Springen mit seinem emotionalen und überkritischen Schützling austauschte, ortet auf dem Materialsektor keinen Nachholbedarf: "Wir sind sehr gut aufgestellt." Für ihn liegt die Problemzone woanders: "Es gehören beim Skispringen viel Vertrauen und Selbstsicherheit dazu."

Schlierenzauer macht gerade der neue, moderne Sprungstil zu schaffen. Die Einführung der engen Anzüge im Jahr 2012 und die Umstellung auf die Stabbindung haben das Skispringen verändert. Heute ist nicht mehr der Gleiter und Segler gefragt, der in der Luft seinem Fluggefühl vertraut. Wer heute sportlich auf der Höhe sein will, der braucht vor allem Risikobereitschaft und blindes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, um die notwendige flache Flugkurve zu bewältigen. "Jene Springer, die nach dem Absprung extrem Richtung machen, sind vorne", sagt Schlierenzauer.

Das beste Beispiel ist der Japaner Noriaki Kasai, dem Experten einen Kamikaze-Stil attestieren. Mit dieser aggressiven und mutigen Art des SkispringensKasais Kopf liegt tief zwischen den Sprungskiern – lässt der 41-Jährige derzeit viele Rivalen alt aussehen, wie der zweite Rang auf der Großschanze beweist. "Ich will nicht als schlechter Verlierer dastehen, aber wenn ein 40-Jähriger Olympiasilber holt, muss man gewisse Dinge hinterfragen. Die anderen haben uns mit links überholt."

Neue Zeitrechnung

Die Trendwende schlägt sich auch in den Siegerlisten nieder: Erstmals seit 2005 sind die österreichischen Superadler bei einem Großereignis ohne Einzelmedaille geblieben. "Da darf man nichts schönreden", erklärte Chefcoach Pointner, der nach zehn Jahren keine Amtsmüdigkeit erkennen lässt. "Der Hunger auf Siege ist immer noch da."

Im Teambewerb (Montag, 18.00 Uhr MEZ) können die vier Österreicher (Thomas Diethart, Michael Hayböck, Thomas Morgenstern, Gregor Schlierenzauer) noch für einen versöhnlichen Ausklang der olympischen Skisprungbewerbe sorgen – und so nebenbei für eine Fortsetzung der goldenen Erfolgsserie: Seit 2005 haben die Österreicher bei allen Großereignissen (Olympia, WM) den Mannschaftsbewerb gewonnen.

Das Einzel-Springen von der Großschanze in Bilder:

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