Der Charme von Sotschi 2014
Drei Medaillenentscheidungen gibt es am Schlusstag noch, dann heißt es auch für die 22. Olympischen Winterspiele: Games Over. Zeit für einen Blick in den Rückspiegel. Auf Highlights, Helden und Hoppalas. Auf Flops, Fans und Freuden. Die subjektive Bilanz des KURIER von drei Wochen Sotschi.
+ Organisation Die Sorge vor Chaos-Spielen war völlig unbegründet: Mit russischer Gründlichkeit wurde Olympia perfekt organisiert. Die größte Panne in Sotschi war noch das frühe Aus des russischen Eishockey-Teams im Viertelfinale.
+ Sportstätten Der Bolschoi-Eishockey-Dom in Adler? Ein echter Hingucker. Das Biathlon-Stadion in Laura? Die meisten österreichischen Fußballvereine würde der Neid fressen. Der Sanki-Eiskanal? Die würdige Bühne für Bob-Stars und Eiseilige. Die Athleten waren Feuer und Flamme für die neuen Olympia-Anlagen.
+ Die Oldies Ob Biathlon-Haudegen Ole Einar Bjørndalen, Altspatz Noriaki Kasai oder der Eisheilige Albert Demtschenko – die Routiniers ließen bei diesen Spielen die Gegner überraschend oft alt aussehen. Auch österreichische Oldies präsentierten sich in alter, junger Frische: Mit den Biathleten Christoph Summann, 38, und Daniel Mesotitsch, 37, mit den Kombinierern Mario Stecher und Christoph Bieler – beide sind 36 Jahre jung – schlugen die ältesten rot-weiß-roten Einzelsportler im Olympia-Aufgebot wieder zu. Und auch Slalom-Olympiasieger Mario Matt ist schon 34.
+ Wetter T-Shirt statt Pelzhaube, Sonnencreme statt Schuhwärmer, Palmen statt Eiszapfen, Frühlingsgefühle statt Winterdepression, Heuschnupfen statt Grippe – das ungewöhnlich milde Klima bei diesen Winterspielen in den Subtropen war die wichtigste Zutat für den positiven Gesamteindruck von Sotschi 2014.
+ Stimmung Heiter bis fröhlich ging es an den Sportstätten zu. Sicher, die russischen Fans feuerten ihre Athleten mehr an als andere – aber das war noch bei allen Spielen so.
+ Neue Bewerbe Der Extrem-Park in Rosa Chutor war einer der beliebtesten Treffpunkte bei Olympia. Die Premiere des Slopestyle-Bewerbs war genauso ein durchschlagender Erfolg wie der olympische Jungfernflug der Skisprung-Damen.
+ Unbekümmerte Debütanten "Die wollen mir doch nur die Rolle des Favoriten in die Schuhe schieben", sagte Matthias Mayer – und holte Gold in der Abfahrt. Julia Dujmovits verpasste die Spiele in Vancouver wegen einer Verletzung – und holte Gold. Auch für Skispringerin Daniela Iraschko-Stolz war die Premiere mit Silber höchst beachtlich.
+ Sicherheit Der Kontrollwahnsinn war weit weniger ausgeprägt als befürchtet. Die Tausenden Sicherheitskräfte hielten sich meist dezent im Hintergrund – und waren damit Hauptdarsteller in einer allseits beliebten neuen olympischen Disziplin: Such’ den Security. Die Wälder rund um Krasnaja Poljana waren voll mit Soldaten und Wachposten. Leid konnten einem nur die Ordnungshüter tun, die im blütenweißen Winter-Tarnanzug Schicht versehen mussten. Sie waren in den aperen und teilweise schon grünen Wäldern bereits aus hunderten Metern zu sehen.
+ Familien-Silber Auf die österreichischen Rodler ist Verlass: Seit 1992 haben die Eiskanal-Arbeiter bei Olympia immer Medaillen geholt. Die Brüder Andreas und Wolfgang Linger versilberten in Sotschi ihre Karriere nach den Goldmedaillen von 2006 und 2010 im Doppelsitzer-Bewerb.
- Baustellen Kabel, die aus der Wand hängen; Duschen ohne Warm- oder Kaltwasser; Baggerlärm um Mitternacht; Dutzende Shoppingmalls und Restaurants der Kette "Opening soon" – in der ersten Olympia-Woche wirkte es beinahe so, als hätte sich Sotschi im Termin geirrt. Die Teilnehmer der Paralympics dürfen sich freuen: Wenn sie ihre Spiele veranstalten, dann sollten alle Hotels fertig sein.
- Hoppalas Gäbe es Medaillen für Stolperer, Ausrutscher und Pannen, Österreich würde im Medaillenspiegel ganz weit vorne liegen. Der Eishockey-Sportdirektor, der beim Einmarsch vor TV-Milliardenpublikum einen Bauchfleck fabriziert; die Eisschnellläuferin (Anna Rokita), die bei der Eröffnung stolpert und sich verletzt; die Snowboard-Slopestylerin (Anna Gasser), die zu früh startet und hilflos den Starthügel hinaufklettert; sie alle sorgten unfreiwillig für Heiterkeit.
- Adler-Absturz Die männlichen Super-Adler fielen von Wolke sieben auf den harten Boden der Realität und blieben ohne Einzelmedaille. Auch abseits des Schanzentischs verdienten sich die Österreicher keine guten Haltungsnoten: Der Zwist zwischen Gregor Schlierenzauer und Cheftrainer Alexander Pointner war unnötig, die Spionageaffäre rund um ÖSV-Entwicklungschef Toni Giger sorgte ebenfalls für dicke Luft.
- Russischer Schnee An den aggressiven Schnee hat man sich im Skilager gewöhnt, auch wenn bislang von Gewalttaten und Übergriffen nichts überliefert ist. In Sotschi war der Schnee nun nicht mehr aggressiv, nein er war einfach nur faul, wie aus vielen Athleten-Mündern zu hören war. Am Ende war die Müdigkeit dann sogar schon so groß, dass der faule Schnee das Zeitliche segnete. Bei den Slaloms war nur mehr vom toten Schnee die Rede. Nur durch den tonnenweisen Einsatz von grobkörnigem Salz, von dem sogar noch Nachschub aus der Schweiz eingeflogen werden musste, waren viele Bewerbe trotzdem machbar.
- Eishockey-Gate I Für einige österreichische Eishockey-Spieler ging der Feierabend nach dem Sieg gegen Norwegen in die Overtime. Und niemand redete mehr vom historischen Erfolg, sondern nur mehr von Trinkgewohnheiten der Cracks.
- Eishockey-Gate II Die Goldmedaille und nichts als die Goldmedaille wurde vor dem Beginn der Heimspiele als Ziel ausgegeben. Owetschkin und Kollegen sollten endlich das schaffen, was seit 1992 in Albertville nicht mehr gelungen war: der Olympiasieg. Genau genommen wäre es Russlands erster gewesen. Doch das Aus im Viertelfinale gegen Finnland beendete den Traum. Umso bitterer für die Gastgeber, als vorher schon die Hoffnungen auf Eiskunstlauf-König Jewgeni Pluschenko nicht erfüllt worden waren: Vor dem Kurzprogramm beendete der 31-jährige verletzungsbedingt die Karriere und sorgte für Empörung.
- Eiskunstlauf-Gate Die Frau des Generalsekretärs des russischen Verbandes saß beim Damen-Bewerb in der Jury, ebenso der Ukrainer Juri Belkow, der 1998 wegen versuchter Absprachen bei den Winterspielen in Nagano für ein Jahr gesperrt wurde – am Ende siegte Lokalmatadorin Adelina Sotnikowa vor Titelverteidigerin Kim Yu-Na aus Südkorea. Die Eiskunstlauf-Fans sind empört, und dem Weltverband ISU werden wieder Regeländerungen nahegelegt.
- Doping-Fälle Gegen Ende der Spiele tappten noch vier Sportler in die Dopingfalle. Der österreichische Langläufer Johannes Dürr, die deutsche Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle, die ukrainische Langläuferin Marina Lisogor und der italienische Bobfahrer William Frullani wurden überführt. Zum Vergleich: 2010 in Vancouver hat es nur einen Dopingfall gegeben.
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