Wenn Dichter in den Krieg ziehen

Gaukelte ihren Lesern siegreiche Schlachten vor: Alice Schalek, „der einzige vom Kriegspressequartier zugelassene weibliche Berichterstatter“, mit k. u. k. Soldaten an der Front
Berühmte Schriftsteller als Berichterstatter im Feld.

Eine Reihe bedeutender Schriftsteller war dazu ausersehen, als Front-Berichterstatter angehende Soldaten „für den Krieg zu begeistern“. Tatsächlich las man zwischen 1914 und 1918 in Zeitungen nur Jubelmeldungen über den Kriegsverlauf. „Wohl jenem Volk, das im Befehl leben darf“, stand da, das Essen im Feld sei „großartig“ und man könne „liebliche Walzerklänge hören“. Krieg wurde – streng von der k. u. k. Zensur kontrolliert – als eine Art Urlaub in Galizien oder am Isonzo dargestellt.

Gewaltige Euphorie

Wenn Dichter in den Krieg ziehen
Die meisten der an die Front entsandten Berichterstatter wurden anfangs von einer gewaltigen Euphorie erfasst, sie erkannten jedoch bald die Grausamkeit des Kriegsalltags. So auch der Dichter und Reserveoffizier Alexander Roda Roda, der wie viele begeistert den Schlachtruf „Serbien muss sterbien“ anstimmte, später aber gegen die Zensurbestimmungen der Heeresführung verstieß. Die erste Verwarnung gab es für seine Reportage über einen russischen Unteroffizier, der einem österreichischen Feldwebel das Leben gerettet hat: Denn der Feind durfte nicht menschlich gezeigt werden.

Analphabet als Spion

Weitere Probleme bekam Roda Roda nach seinem Bericht über die Hinrichtung eines österreichischen Bauern, der dem Gegner durch Morsezeichen militärische Geheimnisse verraten haben soll. Roda Roda deckte auf, dass der angebliche Spion Analphabet war. Als zwischen den Zeilen immer mehr Zweifel an einem österreichischen Sieg auftauchten, wurde Roda Roda als Journalist aus dem Feld abgezogen.

Stefan Zweig und Rainer Maria Rilke meldeten sich zum (ungefährlichen) Dienst im Kriegsarchiv, Hugo von Hofmannsthal war kurze Zeit als Landsturm-Offizier in Istrien im Einsatz, ließ sich dann aber ins Kriegsfürsorgeamt versetzen, wo er Propagandatexte verfasste.

Weitere bekannte Frontberichterstatter waren Franz Molnár, Robert Musil, Franz Werfel und Egon Erwin Kisch. Der „rasende Reporter“ weigerte sich standhaft, seine Berichte im Sinne der Kriegspropaganda zu verfälschen. Als er 1916 unter Umgehung der Zensur in Wiener und Berliner Zeitungen einen Augenzeugenbericht in Druck gab, der nicht der Verherrlichung der k. u. k. Armee diente, wurde Kisch „wegen unerlaubter Berichterstattung“ zu zehn Tagen Arrest verurteilt.

Bäche von Blut

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Nicht verhindern konnte die Zensur, dass Kisch seine Erlebnisse an der serbischen Front feinsäuberlich notierte und nach dem Krieg veröffentlichte: „Zahllose Verletzte wurden an uns vorbeigetragen, auf dem Rücken oder von je zwei Leuten bloß auf Händen“, schreibt er. „Stöhnende, Schreiende, Zugedeckte, Blutende, Verbundene und Unverbundene. Leute, denen die Wange weggerissen war oder die Nase. Soldaten, die hinkten, und solche, deren Arm nur an Hautfetzen hing. Bäche von Blut flossen durch die engen Gänge. Durch den Geruch von Lehm, Blut und Schweiß und bloßgelegten Eingeweiden drangen die Schmerzensschreie, das Röcheln von Sterbenden.“

Eine Frau im Feld

Das Gros der Kriegsreporter – die im übrigen auch für Wochenschau-Filme von der Front zuständig waren – befolgte die Anweisungen der Zensur. Zu den höchstdekorierten Propaganda-Schreibern zählte eine Frau: Alice Schalek, „der einzige vom Kriegspressequartier zugelassene weibliche Berichterstatter“ gaukelte ihren Lesern siegreiche Schlachten vor und verherrlichte alles weit über das von der Armeeführung geforderte Maß. Während sie „den Daheimhockenden, die den Krieg aus der Zeitung erleben“, Verachtung entgegenbrachte, verharmloste sie in ihren Berichten die blutigen Kämpfe, um Soldaten den Marsch an die Front schmackhaft zu machen und besorgte Mütter in falscher Sicherheit zu wiegen.

Komfortabler Krieg

„Was für eine Erleichterung ist ein Befehl“, berichtete Alice Schalek 1916 von der Isonzofront. „Wunderbar leicht kommt man durchs Feuer.“ Zwar trifft die 42-Jährige hin und wieder „zwischen den Stellungen ganz mumifizierte, durchlöcherte Leichen“, doch ist es im großen und ganzen ein komfortabler Krieg, den sie den Lesern in der Neuen Freien Presse vorgaukelt: „Wir essen ganz tüchtig und schlafen prächtig und nächsten Mittag spielt die Militärmusik bei der Offiziersmesse auf. Im Freien wird gespeist, die Spargel schmecken gar köstlich, und süße Walzermelodien wetteifern mit Kuckuck und Specht.“

Kriegsverherrlichung

Der Erste Weltkrieg, von dem sie im lockeren Plauderton schreibt, als meldete sie sich von einem Hausfrauenkränzchen, hat 17 Millionen Menschenleben gefordert. Karl Kraus, der den Krieg in seinen Schrecken als einer der wenigen Literaten von Anfang an erkannte, warf Alice Schalek „Kriegsverherrlichung“ vor, worauf sie eine Klage gegen ihn einbrachte (diese später jedoch wieder zurückzog).

Zu den Toten kamen zehn Millionen Verwundete, denen Arthur Schnitzler nach dem Krieg ein Denkmal setzte: „Man sagt, er ist für das Vaterland gefallen. Warum sagt man nie, er hat sich für das Vaterland beide Beine amputieren lassen?“

Der Tod eines Dichters

Ein tragisches Weltkriegs-Schicksal erlitt der aus Salzburg stammende Dichter Georg Trakl. Der studierte Pharmazeut wurde als Militärapotheker einberufen und musste im grausamsten Schlachtengetümmel ohne ärztliche Hilfe Schwerverwundete versorgen. Ständig den Tod der Kameraden vor Augen, erlitt der zu Depressionen neigende Poet in den „Todesgruben von Galizien“ – die ihn zu seinen letzten Gedichten inspirierten – einen Nervenzusammenbruch. Er starb am 3. November 1914 im Alter von 27 Jahren im Krakauer Militärspital an einer Überdosis Kokain, wobei nie festgestellt wurde, ob es sich um einen Unfall oder um Selbstmord gehandelt hatte.

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