Eine Kette von Katastrophen

Februarkämpfe 1934: Die Gegensätze zwischen Sozialdemokraten und Christlichsozialen führen zum Bürgerkrieg. Truppen der Regierung von Engelbert Dollfuß sichern Gebäude in Wien gegen Aufständische
Warum Erster und Zweiter Weltkrieg sowie Zwischenkriegszeit unentwirrbar in Verbindung stehen

Der verschenkte Frieden. Warum auf den Ersten Weltkrieg ein zweiter folgen musste“ – der provokante Titel war der Aufmacher des deutschen Nachrichtenmagazins Der Spiegel am 6. Juli 2009.

Eine heftige Auseinandersetzung unter Historikern begann. Vom „Dreißigjährigen Krieg im 20. Jahrhundert“ war die Rede, Geschichtsforscher spannten sogar den Bogen vom Ersten Weltkrieg bis zu den Kriegen in Ex-Jugoslawien und den Zerfall des ehemaligen Tito-Landes in den 1990er Jahren. Die These, wonach die Nachkriegszeit gleich die Vorkriegszeit ist, wird erneut diskutiert.

„Der Erinnerungsmarathon zum 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs macht uns sukzessive klar, wie stark und unentwirrbar der Zweite mit dem Ersten Weltkrieg in Verbindung steht. Man beginnt erst langsam und mühsam, das zusammenzudenken, wie die Urkatastrophe der Moderne in einer Kettenreaktion weitere Katastrophen nach sich zog“, sagt der Chef des Österreichischen Staatsarchivs Wolfgang Maderthaner.

Hitlers Revanchismus

Eine Kette von Katastrophen
Wolfgang Maderthaner, Staatsarchiv
Allerdings, den Zweiten Weltkrieg nur aus dem Ersten Weltkrieg, aus dem Revanchismus von Hitler und des Bruchs des Versailler Vertrages zu erklären, ist für den Zeithistoriker „zu kurz gegriffen“. Was machte Hitler? Er ließ 1935 mit dem Aufbau der allgemeinen Wehrmacht, der Luftwaffe und der U-Boot-Flotte den Friedensvertrag von Versailles aus dem Jahr 1919, der jeden einzelnen dieser Schritte explizit untersagte, einfach obsolet werden.

Maderthaner hält fest: „Die Nazis hätten niemals zu totalitärer und diktatorischer Gewalt aufsteigen können ohne die erste große globale Finanz- und Spekulationskrise 1929, ohne dem schwarzen Freitag 1931, ohne dass ein ganzes System krank und tot spekuliert worden wäre. Die Massenarbeitslosigkeit hat den Faschismus befördert und attraktiv werden lassen.“ Sein Fazit: „Man kann den ,Dreißigjährigen Krieg‘ aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ohne die ökonomischen Verwerfungen, ohne die fatalen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, nicht verstehen.“

Militarisiertes Denken

Eine Kette von Katastrophen
Dem ökonomischen Desaster und der großen Depression lag eine Stimmungslage zugrunde, die unmittelbare Folge des Massensterbens im Ersten Weltkrieg war. „Das Denken und Fühlen der Menschen war militarisiert und traumatisiert, es resultierte aus der Erfahrung der Schützengräben und geht ganz stark in Richtung Sozialdarwinismus. Das Stahlbad, durch das viele gegangen sind, prägt e die neue Generation, die scheinbar nicht bezwungen werden kann.“ Unbekannt sind für die Menschen auch Demokratie und Republik. „Die neue Welt, die aus dem Ersten Weltkrieg herauskommt, ist nicht gefestigt“, betont Maderthaner, Mitautor des großartigen Bildbandes „Untergang einer Welt“ (siehe Buchtipp).

Zum Verständnis des Zusammenhanges zwischen beiden Weltkriegen gehört in Österreich auch der noch immer ungelöste Streit über die Zeit dazwischen. „Die Zwischenkriegszeit oder das Jahr 1938 wird in Österreich noch immer sehr isoliert gesehen.“ Für manche ist es aber klar, was es war: „Es hat den Austrofaschismus gegeben“, sagte bei den Republiksfeiern 2013 der angesehene israelische Publizist Ari Rath, Ex-Herausgeber der Jerusalem Post.

In Österreich hat sich in der Zwischenkriegszeit das Gefühl verstärkt, der Staat sei nicht überlebensfähig. „Es fehlte die demokratische Identität, es kam zu einer massiven politischen Spaltung“, erklärt Maderthaner. Das rote Wien gegen das konservative Land – das war die Frontlinie. „Die Sozialisten in Wien passen nicht in das System. Sie müssen entfernt werden. Das ist die entscheidende Auseinandersetzung.“

Linke und Sozialdemokraten in Österreich träumten von einem Anschluss an ein demokratisches Deutschland, die Sozialdemokratie entwickelte die Idee einer deutschen Republik. Niemand hat an Österreich geglaubt. Konservative haben dem Kaiser nachgetrauert.

Diese Situation führte zum österreichischen Bürgerkrieg im Februar 1934. Republikanischer Schutzbund und austrofaschistische Heimwehr standen einander gegenüber, mehrere Hundert Tote sind die Folge.

EU-Friedensprojekt

Die Kette der Katastrophen wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit dem europäischen Friedensprojekt gestoppt. „Aus der Serie der Kriege wurde gelernt. Die EU ist die Synthese“, resümiert Wolfgang Maderthaner. „Der Friedensnobelpreis 2012 war noch nie sinnvoller vergeben als an die Europäische Union.“

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