Warum Gesichtspflege mit wenig Inhaltsstoffen boomt

Wenn die Haut gereizt ist, können weniger Inhaltsstoffe helfen
Hautpflege mit kaum Ingredienzien wird immer beliebter – nicht zuletzt weil Unverträglichkeiten zunehmen.

Retinol, Q10, Hyaluron, verschiedene Fruchtsäuren und zahlreiche Vitamine – die Liste der Wunderwaffen für schönere Haut scheint unendlich. Bis zu 50 Inhaltsstoffe lassen sich beim Blick auf die Verpackung einer klassischen Anti-Aging-Creme abzählen, Luxusfirmen wie La Prairie haben es sogar geschafft, mehr als 80 Ingredienzien in einem Tiegel zu vereinen. Jahrelang galt bei Gesichtspflege das Motto "Mehr hilft mehr", jetzt folgt der Gegentrend.

Bewusste Reduktion

"Viele Patienten werden immer sensibler, wenn es um die Inhaltsstoffe ihrer Hautpflege geht", sagt Dermatologin Barbara Kainz im Gespräch mit dem KURIER. Zum einen liege das an der steigenden Anzahl an Unverträglichkeiten aufgrund von Umwelteinflüssen. Zum anderen würden sich vor allem Frauen vermehrt über den Inhalt ihres Badezimmerschranks informieren.

Immer mehr Kosmetikmarken reduzieren ihre Produkte deshalb bewusst auf das Notwendigste. Heißt: Auf Duftstoffe, Parabene, Silikone und Alkohol wird gerne verzichtet. David Scherf gehört mit seiner vor Kurzem gegründeten Firma less zu diesen Beauty-Minimalisten. Lediglich drei Pflegeprodukte bietet der Deutsche in seinem Onlineshop an: zwei Gesichtsöle für trockene und fettige Hauttypen und marokkanischen Lehm zur Reinigung. Mehr als fünf Zutaten, darunter Avocado- und Marillenkernöl, brauche es bei ersteren laut dem Hamburger nicht. "Ich wollte konsequent sein und nicht durch die Hintertür synthetische Inhaltsstoffe einschmuggeln", so Scherf. Entstanden sei die Idee aus eigenem Bedarf, nachdem er lange Zeit vergeblich versucht hatte, seine Hautprobleme in den Griff zu bekommen. "Ich habe dann einfach beschlossen, selbst etwas zu machen."

Ähnlich erging es auch der Amerikanerin Rose Marie-Swift. Als die Visagistin gesundheitliche Probleme aufgrund der Inhaltsstoffe in herkömmlicher Kosmetik bekam, brachte sie ihre eigene Linie namens RMS auf den Markt. Ihre Gesichtspflege kommt gerade einmal mit einem Inhaltsstoff aus: Kokosöl. Auch die großen Beauty-Konzerne beobachten die steigende Beliebtheit von reduzierter Kosmetik und reagieren mit passenden Produktentwicklungen.

Chanel, ein für seine ausgeklügelten Anti-Falten-Wirkstoffe bekanntes Unternehmen, brachte vergangenes Jahr erstmals eine Pflege für sensible Haut auf den Markt. Wie der Name bereits sagt, lassen sich bei der "La Solution 10" die Ingredienzen an zwei Händen abzählen. Und obwohl die Apotheker-Marke Vichy seit Langem für seine auf sensible Haut abgestimmte Produktpalette bekannt ist, ging man heuer noch einen Schritt weiter und lancierte eine Pflege, deren Hauptbestandteil Thermalwasser ist.

Automatisch verteufeln muss man Produkte mit mehr als zehn Inhaltsstoffen jedoch nicht. "Duftstoff ist nicht gleich Duftstoff", erklärt Veronika Lang, medizinisch-wissenschaftliche Leitung bei L’Oréal. "Auch hier kann man sehr sorgfältig auswählen." Kunden würden oft fälschlicherweise annehmen, dass Beauty-Marken alles in ihre Produkte mischen dürfen. "Wir verwenden nur Inhaltsstoffe, die gesetztlich erlaubt sind", weiß die Expertin. Die Panik gegenüber vieler Bestandteile von Cremes halte sie für unnötig – jedoch bemerke auch sie, dass die Haut vieler Konsumenten immer empfindlicher reagiert.

Ellenbeugen-Test

Ob eine Pflege zu Rötungen und Pusteln führt, lässt sich letztlich nur mittels Selbsttest herausfinden. Hautärztin Barbara Kainz empfiehlt, diesen mit jedem neuen Produkt in der Ellenbeuge durchzuführen.

"Eine kleine Menge auftragen, wenn nach 48 bis 72 Stunden keine Reaktion auftritt, kann man davon ausgehen, dass es passt." Denn während nicht wenige die in Naturkosmetik häufig verwendeten ätherischen Öle nicht vertragen, kann manche Creme für andere zu fetthaltig sein – unabhängig von der Anzahl der Inhaltsstoffe.

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