Rote Verführung
Rote Lippen soll man küssen – das ist nicht erst seit Cliff Richard bekannt. Der Zweck eines tiefroten Lippenstiftes liegt somit auf der Hand. Man braucht gar nicht lange herum psychologisieren: Rot ist die Farbe des Sex-Appeals. In einschlägigen Versuchsanordnungen fanden Männer stets jene Frauen anziehender, die Rot trugen.
Zudem wird die Farbe mit Energie und Lebendigkeit assoziiert, mit Gewinner-Mentalität, aber auch mit Aggression. Die ambivalenten Zuschreibungen sind nicht bloß menschlicher Spleen: Auch im Tierreich signalisiert Rot Paarungsbereitschaft und Gefahr gleichermaßen.
Von 'Oxblood' bis 'Very Berry'
Wer gerne zu Rot greift, sei es im Kleiderschrank oder im Schminktopf, ist extravertiert. Wenig verwunderlich, dass so viele Stars der primärsten aller Primärfarben verfallen sind. Mögen die Herolde der Beauty-Industrie noch so sehr nude, bronze oder – aktuell – orange als das neue Rot propagieren: Gehen Sie getrost davon aus, dass sich auch in den Handtascherln Hollywoods irgendetwas in Richtung "Oxblood" oder "Very Berry" versteckt. Man weiß ja nie, wann man's braucht!
Hier die Wiederholungstäterinnen im Schnelldurchlauf:
Rot für alle
Unsere Auswahl (siehe Bild oben):
1. Armani: Rouge d’Armani 400
2. Chanel: Rouge Double Intensité, Nr. 49 Ever Red
3. Cover Girl: Lip Perfection Lipstick, 245, Smoky
4. Ink: Perfect Stay Lipstick / dark red
5. Revlon: Super Lustrous Creme Lipstick, Farbvorschläge: Spicy Cinamon, Black Cherry
6. Tom Ford Lip Color, Farbvorschläge: BlackOrchid, Cherry Lush, Crimson Noir
Mehr Lippenstifte haben die KURIER-Redakteurinnen hier getestet.
Der Abend ließ sich vollmundig an. Der Mann hatte einen prachtvollen Hintern, das Vanille-Zimt-Parfait zerging auf der Zunge. Im Necessaire der Dame harrte eine Kondompackung auf Aufriss. Man erörterte die besten Locations für ost-vietnamesische Suppenkultur und ortete vibrierend – so ein Zufall aber auch! – Gemeinsamkeiten. Wie etwa das Faible für irisches Mineralwasser und französische Pop-Literatur. Er zahlte, sie gingen, man hielt Händchen und dann kam er endlich, der ersehnte, erste Kuss.
Eigentlich der Aufbruch zum Mount McKoitus: Vanille-Zimt-Aroma an Vanille-Zimt-Aroma. Lippen an Lippen. Zunge an Zunge. Speichel zu Speichel. Mund auf, Augen zu und ab in die Horizontale. Von wegen. Der Mann hatte zwar einen reschen Knackarsch, schien jedoch an akuter Kiefersperre und unkontrolliertem Draufdrückertum zu leiden. Statt Gaumenspiel à la Parfait nur enttäuschend schlichte Mundart im Stile eines festpress-festfeucht. So als würde ein angehender Doktor med. mit der Narkosemaske am leblosen Objekt üben. Danke, bitte setzen und nicht genügend. Mr. Breitmaulfrosch darf wieder solo am irischen Sprudelwasser nippen.
In jedem Kuss liegt eine Chance
Doch wehe, ein Kuss-Weltmeister packt aus und riskiert seine Lippen für dich. Das wirkt wie geile Löffelchen von Fiocco-Schoko-Stracciatella und eine Überdosis Spanische Fliege in einem. Augen zu, Schnäbelchen an Schnäbelchen und schon ist die Moral a blede Gschicht, die man sehr gerne und sehr zügig vergessen würde. Weil irgendetwas in der Magengrube giert: mehr, mehr, mehr!
Der Stoff, aus dem Erinnerungen sind
Trotzdem, Premieren bleiben unvergessen. Auch wenn Jahre später jeder begriffen haben sollte: Küssen ist kein 'Wetten, dass-Contest', bei dem es darum geht, wer als erster mit seiner Zunge an das Gaumenzäpfchen des anderen stößt. Küssen ist ein Spiel. Es ist beißen und knabbern, einatmen und trinken, wandern und suchen. Beim Schmusen steht die Zeit still, es ist ein Sich -Versenken und -Verlieren im Antlitz des Gegenübers. Und: es muss nicht immer ein Zungenpritschler sein. Wer küsst, berührt, denn Kuss ist Kontakt, schreibt Otto F. Best in "Der Kuss, eine Biographie".
Wilhelm Reich meinte, beim Küssen würden sich die Lippen aufladen. Wozu aber der ganze Schmus? Lange Zeit kam Homo sapiens ohne zärtliche Lippen-Blüten aus. Insulaner im Südpazifik lernten erst im 17. Jh. von Europäern, was der harmlose Oral-Verkehr bedeutet. Küssen ist erlernt (auch wenns nicht jeder wirklich lernt). Laut Irenäus Eibl-Eibesfeldt hats was mit der Brut und deren Pflege zu tun (Schnäbeln, Mund-zu- Mund-Fütterung bei den Menschenaffen). Laut Sigmund Freud, logo, etwas mit der Brust und unser aller Sehnsucht danach. Nach Auffassung der Kulturwissenschaftlerin Ingelore Ebbersfeld hingegen ist glasklar: Küssen, speziell mit Zunge, ist nichts anderes als symbolischer Geschlechtsverkehr. Geboren aus dem Belecken und Beschnüffeln unserer Vorfahren am Hintern.
Kuss-Kunde
Ich hab sie nicht geküsst, ich hab nur in ihren Mund geflüstert, sagte Chico Marx und malte damit wohl das Ideal von Kuss-Kunst. Wer die wirklich perfekt beherrscht, sei allerdings gewarnt. Einer japanischen Empfehlung zufolge, sollte man den Zungenkuss nur mit Bedacht einsetzen – speziell knapp vor dem Orgasmus. In der Ekstase könnte die Frau ihrem Partner nämlich die Zungenspitze abbeißen. Tsts.
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