Coco Chanel von Wien

Coco Chanel von Wien
Emilie Flöge und ihr visionärer Zugang zur zeitgemäßen Kleidung der Frau. Sie war die „Muse der Wiener Werkstätte“. Und von Gustav Klimt.

Die Frau als Schmuckstück des Mannes? Gekleidet einzig der Schönheit zu Diensten. Egal, ob dadurch ihre Bewegungsmöglichkeit eingeschränkt ist oder sie der Enge des Mieders wegen hin und wieder in Ohnmacht fällt. Das Kleid als Symbol für den gesellschaftlichen Hintergrund? Allein schon die zunehmende Berufstätigkeit der Frau um die Jahrhundertwende forderte eine andere Kleidung. In Paris begann gerade eine Modeschöpferin, alle diese Zeichen der Zeit zu leben, zu verkörpern und in Mode umzusetzen: Coco Chanel. In Wien ist es Emilie Flöge. Die Parallelen zwischen den beiden großartigen Frauen sind beachtlich. Coco begann als Hutmacherin, Emilie lernte das Handwerk der Schneiderei. Beide eröffneten bald Modesalons, wurden damit unglaublich erfolgreich und trugen wesentlich dazu bei, dass sich ein zeitgemäßes Frauen- und Modeverständnis durchsetzte. Und die Liste der Künstler, die dort wie da in den verschiedensten Funktionen – vom Arbeits- bis zum Lebenspartner – aufscheinen, ist einfach umwerfend.Sind es bei Coco Chanel Größen wie Jean Cocteau, Igor Strawinski, Pablo Picasso, Colette, oder die Künstlermuse Misia Sert und der Ballett-Impresario Sergej Diaghilew – um nur einige zu nennen –, kann Emilie Flöge da mehr als mithalten.

Als sie 1904 mit ihren Schwestern auf der Mariahilfer Straße 1b – nach dem dortigen Kaffeehaus „Casa Piccola“ genannt – ihren Modesalon eröffnete, beauftragte sie die bekannteste Künstlergruppe ihrer Zeit damit. Allen voran Josef Hoffmann und Koloman Moser, die Gründer der Wiener Werkstätte. Deren Motto: Häuser und alle darin befindlichen Gegenstände des täglichen Lebens sollten ein Gesamtkunstwerk ergeben. Und das mit aller nur möglichen handwerklichen Perfektion.Was die beiden übersehen hatten: Dass auch die Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses mit ihrer Kleidung dem Gesamtkunstwerk entsprechen sollten. Ein Umstand, der dazu führte, dass Mode-Pionier Josef Wimmer-Wisgrill die Modeabteilung der Wiener Werkstätte gründete (siehe Teil 1 der -Serie). Eine seiner ersten „Mitarbeiterinnen“: Emilie Flöge, die in ihrem Salon zahlreiche Entwürfe der Wiener Werkstätte ausführte. Was ihr bald den Titel „Muse der Wiener Werkstätte“ einbrachte. Auch das goldene Logo für den Modesalon entwarf ein nicht ganz unbekannter Künstler, der Schwager von Emilies Schwester Helene, Gustav Klimt. (Helene heiratete 1891 den Künstler Ernst Klimt, der nur ein Jahr später starb. Sie war im Salon „Schwestern Flöge“ für die Kundenbetreuung zuständig, Pauline leitete das Büro.)


Aus der Bekanntschaft durch die Schwester entwickelte sich zwischen der blutjungen Emilie Flöge und dem Maler Gustav Klimt ein anregendes Verhältnis, das auch ihre Arbeit kreativ beeinflusste. Man besuchte einander immer wieder in Wien, verbrachte gemeinsame Tage in der Sommerfrische am Attersee. Sie verzichtet bei ihren Modeentwürfen schon vor Coco Chanel auf Mieder und beengende Röcke, er malte Schwangere. Wie aufregend! Verheiratet waren beide nie. Klimts Frauenbekanntschaften sind legendär. Das intensive Miteinander von Emilie und Gustav wird bis heute immer wieder anders gedeutet. Sprechen die einen von Muse und Lebensmensch, wird er auch zu ihrem Liebhaber, oder sie zur Lesbe erklärt. Experten sagen, auf seinem bekanntesten Bild, dem Kuss, habe er Emilie und sich dargestellt. Dann ist wieder von freudscher „Sublimierung“ die Rede, also von der Unterdrückung des Sexualtriebs und daraus entstehenden Höchstleistungen.

Klimts Worte, als er 1918 vom Schlag getroffen in seiner Wohnung zusammenbricht: „Die Emilie soll kommen.“Emilie war wohl mit ihrem Modesalon verheiratet, der in seinen besten Zeiten bis zu 80 Schneiderinnen und drei Zuschneider beschäftigte. Hier gab es eine englische und eine französische Modeabteilung, wo man manches direkt aus Paris kaufen konnte. Denn Emilie fuhr zwei Mal jährlich in die französische Metropole, um sich mit den schönsten Modellen aus den Häusern Vionnet und Worth einzudecken. Später besuchte sie auch Coco Chanel und Elsa Schiaparelli, um sich auch mit den Ideen dieser beiden Genies bekannt zu machen.Mit all ihrem Können und Wissen überwand sie die von Josef Hoffmann über Kolo Moser bis zu Gustav Klimt entworfenen „individuellen“, „Reform-“, „Hänge-“ und sonstigen Kleider. Bot neben ihrer gefragten Mode auch Accessoires, Schmuck, Silberdosen, und Holzpuppen an – wie heute in Concept-Stores üblich. Der Salon Flöge wurde zum führenden Modetreffpunkt der Wiener Gesellschaft. Und darüber hinaus. Ihre Modelle wurden in zahlreichen in- und ausländischen Magazinen abgebildet.Als Hitler in Österreich einmarschierte, wurde der Salon Flöge aus Mangel an Kundinnen geschlossen. Emilie arbeitete nun in ihrem Wohnhaus in der Ungargasse 39. In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs verbrannten hier ihre Trachtensammlung und Gegenstände aus dem Klimt-Nachlass.

Geboren wurde Eduard Josef Wimmer-Wisgrill 1982 in Wien, wo er 1962 auch starb. Er war Privatschüler von Koloman Moser, studierte von 1901 bis 1907 an der Wiener Kunstgewerbeschule bei Josef Hoffmann und Alfred Roller und gründete 1907 die Mode-Abteilung der Wiener Werkstätte, die er von 1910 bis 1922 leitete. Seine Idee: Man müsste für die Bewohnerinnen von Wiener Werkstätte-Häusern eine zu diesen passende, moderne „Wiener Mode“ schaffen. (Anlass dafür war ein Besuch des Palais Stoclet, erbaut von Josef Hoffmann in Brüssel. Seiner Meinung nach harmonierte die dort nach der neuesten Pariser Mode gekleidete Madame Stoclet „stilistisch“ nicht mit ihrer Umgebung.)Von 1918 bis 1921 leitete er die Werkstätte für Mode und Modezeichnen an der Kunstgewerbeschule in Wien, war von 1922 bis 1925 Zeichner für Mode, Textil und Theater in New York und Leiter der Modeklasse am Art Institut in Chikago. 1925 kehrte Wimmer-Wisgrill an die Kunstgewerbeschule Wien zurück (ab 1941 genannt Hochschule, von 1948 bis 1970 Akademie für angewandte Kunst), an der er bis 1955 die Meisterklasse für Mode und die Werkstätte für Textilarbeiten leitete.

Emilie Louise Flöge wurde 1874 in Wien geboren, wo sie 1952 auch starb. Sie erlernte den Beruf der Schneiderin und arbeitete im Schneideratelier ihrer Schwester in der Wiener Neubaugasse. 1904 eröffnete sie mit Pauline und Helene den Modesalon „Schwestern Flöge“ auf der Wiener Mariahilfer Straße. Viele Künstler begleiteten ihren Weg, darunter Lebensmensch Gustav Klimt. Er entwarf nicht nur Kleider für sie, sondern malte Emilie auch seit ihrem 17. Lebensjahr. Das wahre Verhältnis der beiden ist bis heute Anlass für Spekulationen. Zahlreiche Briefe von Klimt hat Emilie noch zu Lebzeiten vernichtet.

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