Hinter den Kulissen von Chanel
Dieses Buch stand unter keinem guten Stern. Am Tag, an dem es gedruckt werden sollte, starb Karl Lagerfeld.
Der Modeschöpfer pflegte nach seinem Eintritt in das Haus Chanel 1983 zu sagen, er habe „eine schlafende Schönheit wachgeküsst“. Der Mann der vielen Worte übertrieb diesmal nicht: Tatsächlich fegte er den Staub vom etwas verzopften Image des Hauses, erfand Schlüsselteile wie die Tweedjacke oder die gesteppte Handtasche neu und versah die alte Tante Chanel mit einem Cool-Faktor.
Die Journalistin Laetitia Cénac und der Illustrator Jean-Philippe Delhomme haben der Modeinstitution nun ein Buch gewidmet. „Hinter den Kulissen von Chanel“ (Knesebeck) handelt von den Künstlern und Werkstätten der Firma Chanel, aber natürlich auch von Mastermind Lagerfeld. Es ist keine Hagiografie an den genial-kreativen Gestalter geworden, dennoch lebt dieses liebevoll gestaltete Buch von ihm.
Schon im eingangs zu lesenden Interview vermeint man, ihn zu hören – in seinem unnachahmlichen Duktus, wo die Sätze, die sehr oft mit „Ich“ beginnen, mal flapsig, mal energetisch aus ihm herausquellen und vor Einfällen förmlich sprudeln. „Gar nicht so übel für eine einzige Person“, befindet Lagerfeld nach einer Aufzählung seiner Leistungen. Man sieht es ihm nach.
Vor allem, weil dieser detailverliebte Band den Fokus nicht nur auf die großen Stars auf der Modebühne legt, sondern auch die vielen Arbeiter hinter den Kulissen vorstellt. So erfährt man in der Lederwarenwerkstätte in Verneuil-en Halatte von Atelier-Leiterin Marinette Bzdrega, wie ein Sehnsuchtsobjekt eines It-Girls entsteht: Für eine klassische Chanel-Handtasche sind 180 Handgriffe notwendig und sie wird, das weiß der Chanel-Fan, mit klassischer Linksnaht gefertigt.
Auch die Geheimnisse des Model-Castings werden erklärt: Das klassische „Chanel-Mädchen“ solle Gabrielle Chanel ähneln – schmal und androgyn. Gabrielle Chanel, das war jene Frau, die 1918 in der Pariser Rue Cambon 31 das Türschild „Chanel Modes“ anbrachte.
Der Beginn ihres Modeimperiums. Heute befindet sich hier das sagenumwobene Studio, wo das Herz von Chanel schlägt. Und hier hat seit Lagerfelds Tod Virginie Viard das Sagen, deren Mentor und Freund dieser war. Mit dem sie bis zum Schluss per Sie war, ganz nach Pariser Art – und der ihr, so erfährt man im Buch, ziemlich viele Katzenfotos schickte.
„Ich habe nie zeichnen gelernt. Ich verstehe gar nicht, warum manche behaupten, nicht zeichnen zu können“, wird der schnoddrige Lagerfeld zitiert. Nun, das mag auf ihn selbst zutreffen, doch die liebevolle Gestaltung dieses Bandes beweist, dass Zeichnen sehr wohl eine Kunst ist. Verantwortlich dafür ist Modeillustrator Jean-Philippe Delhomme, der, bevor er für die Vogue zeichnete, an der Pariser Grande école für angewandte Kunst studierte. Von großer Liebe für ihr Thema zeugen die Assoziationen, die Autorin Laetitia Cénac, Mode- und Kulturjournalistin bei Madame Figaro, einfallen. Lagerfelds letzte Modeschau lässt sie an Verse von Rimbaud denken: Wiedergefunden/Ist die Ewigkeit/Ist das Meer versunken/Mit dem letzten Schein
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