100 Jahre BH: Alles Gute zum Runden

Der älteste Fund: Auf Schloss Lenggberg in Osttirol wurde ein 532 Jahre alter Büstenhalter aus Leinen gefunden.
Verrufen, verbrannt, verehrt – heute vor 100 Jahren wurde der "moderne BH" von einer Amerikanerin zum Patent angemeldet. Die Wandlung eines Symbols der Befreiung zum Modestatement.

Ohnmachtsanfälle, Quetschungen und Verdauungsprobleme – Frauen, die Anfang des 19. Jahrhunderts in Korsetts gezwängt wurden, mussten schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen in Kauf nehmen. Die New Yorker Schriftstellerin und Feministin Mary Phelps Jacob (1891– 1979) – auch bekannt als Caresse Crosby – störte sich nicht nur an den extremen Schnürpraktiken, sondern auch an den Walknochen und Stahlfedern, die das Korsett verstärkten. Worauf die damals 19-Jährige es unter der Brust abschnitt und Träger annähte.

100 Jahre BH: Alles Gute zum Runden
Bildnummer: 55867441 Datum: 01.01.1933 Copyright: imago/United Archives Caresse Crosby who formed her own publishing firm Black Sun in Paris 1933 Mono Print !AUFNAHMEDATUM GESCHÄTZT! kbdig 2011 hoch Bildnummer 55867441 Date 01 01 1933 Copyright Imago United Archives Crosby Who formed her Own Publishing Firm Black Sun in Paris 1933 Mono Print date estimated Kbdig 2011 vertical
Diesen selbst geschneiderten Büstenhalter meldete die Pionierin heute vor 100 Jahren zum Patent an. Damit war sie zwar nicht die Erste – schon zuvor gab es zahlreiche Erfindungen aus Europa – aber die Einzige, deren Produkt rasch für große Nachfrage sorgte.

Übrigens: Der älteste erhaltene BH der Welt wurde vor einem Jahr auf Schloss Lenggberg in Osttirol gefunden (siehe Hauptbild). Er besteht, genauso wie die dazu passende Unterhose, aus Leinen und wurde von einer schlanken Gräfin, Konfektionsgröße 36, getragen. Eine CO2-Analyse ergab, dass die Dessous 532 Jahre alt sind.

Vom Erfolg ihres modernen Büstenhalters konnte Mary Phelps Jacob nur kurz profitieren. Ihr Geschäft mit "Caresse Crosby Brassieres" lief zunehmend schlechter. Sie verkaufte das Patent um 1500 US-Dollar an die "Warners Brothers Corset Company".

Dass Frauen letztlich das Korsett ablegten und zum BH griffen, lag nicht nur am feministischen Befreiungsgeist. Auch der Kriegsausbruch spielte eine große Rolle. Frauen mussten die Arbeit der Männer übernehmen – Korsett oder Mieder hinderten sie dabei. Sie trugen nun Modelle aus Leinen, die später von Seide und Musselin abgelöst wurden. Ab den 1930er-Jahren führte man in den USA erstmals die heute bekannten Standardgrößen ein.

Politische Aktion

Was Frauen wie Mary Phelps Jacob als befreiend empfanden, galt in den 1960er-Jahren als zunehmend verpönt: Büstenhalter mutierten zum Symbol der Unterdrückung durch die Männer. "Frauen sind kein Fleisch" skandierten rund 400 Frauen am 7. September 1968 in Atlantic City, New Jersey. Sie warfen Lockenwickler, Make-up und Büstenhalter in einen Abfalleimer und zündeten ihn an. Viele Frauen taten es ihnen gleich, der Büstenhalter wurde zum politischen Symbol. Mit den öffentlichen Verbrennungen forderten sie die Freigabe der Pille, gleichen Lohn für gleiche Arbeit und das Ende der männlichen Vorherrschaft.

Heute gibt es BHs in allen Formen und Farben, aber keine Skandale. Nur Madonna empörte 1990 bei einem Konzert in Strapsen und einem goldenen, kegelförmigen BH. Als Mitte der Neunzigerjahre der "Wonderbra", ein Push-up-BH, eingeführt wurde, avancierte der Büstenhalter vom Aktions- zum Hilfsmittel. Ob gepolstert mit Silikoneinlagen, geschmückt mit Klunkern, der BH soll das Dekolleté in den Vordergrund rücken und bestmöglich positionieren. Unterwäschehersteller wie "Victoria’s Secret" machen mit dem Verkauf von BHs achtstellige Umsätze. Internationale Topmodels helfen das Geschäft anzukurbeln und stolzieren jährlich auf der Fashion-Show des Herstellers in ausgefallener Wäsche über den Catwalk. Im Jahr 2000 trug Gisele Bündchen ein 15 Millionen Dollar teures Set und kam damit ins Guinness-Buch. 100 Jahre nach seiner Erfindung ist der BH kein politisches Statement mehr, sondern ein modisches.

... sich Frauen in griechischen Stadtstaaten wie Sparta die Brüste abgebunden haben, um männlicher zu erscheinen und an Sportveranstaltungen teilzunehmen? In der Antike wie im Mittelalter trugen Frauen Leinenbinden über den Brüsten, um sie zu verdecken.

... Anfang des 19. Jahrhunderts sogenannte "Brustleibchen" üblich waren? Allerdings konnten sich darunter die Brustwarzen deutlicher abzeichnen, was wiederum verpönt war.

... der japanische Dessous-Hersteller Ravijour einen BH erfunden hat, der sich nur öffnen lässt, wenn seine Trägerin tiefere Gefühle für ihr männliches Gegenüber hegt? Der "True Love Tester" misst die Herzfrequenz der Frau, um festzustellen, ob ihr Herz plötzlich schneller klopft.

... eine weitere japanische Unterwäschefirma eine Klimaanlage für die Brüste hergestellt hat? Der "Bra Super Cool" enthält ein Material, das nach einigen Stunden im Tiefkühler gefriert, ohne dabei hart zu werden. Es soll Frauen helfen, die Sommerhitze besser zu ertragen, ohne energieintensive Klimaanlagen anschalten zu müssen.

... Polizistinnen in Uganda dazu angehalten wurden, Frauen an die Brüste zu greifen? Dies wurde als Sicherheitsmaßnahme begründet, um vermeintliche Bomben in BHs sicherzustellen.

... ein britisches Schlachtschiff einen drei Meter großen BH hisste? Sinn und Zweck war die Werbung für eine Kampagne zur Brustkrebsvorsorge.

... der Entertainer Rudi Carrell einst wegen eines BHs für eine diplomatische Krise mit dem Iran sorgte? In seiner Satireshow ließ er per Bildmontage den iranischen Politiker und schiitischen Geistlichen Ajatollah Khomeini in Büstenhalter und Unterhosen wühlen.

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