Morgensterns Leben auf der Hochschaubahn
Ich öffne meine Augen. Ich weiß nicht, wo ich bin. Rund um mich ist es hell. Ich liege in einem Bett, mit weißen Tüchern, die bis zu meiner Brust hochgezogen sind. Die Wände und die Decke rund um mich sind weiß, die Neonröhren strahlen ihr künstliches Licht in den Raum. Ich bin im Krankenhaus. Schon wieder. Aber warum nur?"
Schreiben ist auch eine Möglichkeit, das Geschehene zu verarbeiten und hinter sich zu lassen. In seinem Tagebuch schildert Thomas Morgenstern die dunkelsten Stunden seiner Karriere. Als er im Jänner nach einem Sprung wieder einmal im Krankenbett aufwachte. Gepeinigt von Selbstzweifeln, geplagt von Sorgen und Ängsten – und der alles entscheidenden Frage: War’s das jetzt? War’s das mit der Karriere? Hat es Sinn, vor allem aber hat er selbst überhaupt noch die Kraft weiter zu machen?
"Ich will meine Karriere nicht mit einem Sturz beenden", hatte Thomas Morgenstern nach seinem Unfall beim Skifliegen am Kulm gemeint und sich mit einer Energieleistung noch zu den Olympischen Spielen nach Sotschi gequält.
Ausgebrannt
Teamsilber war die verdiente Belohnung für den Kraftakt, der den Kärntner an die Grenze seiner Belastbarkeit gebracht hatte. "Man hat ihm damals angesehen, wie ausgebrannt er nach Olympia war", erinnert sich der österreichische Neo-Skisprungtrainer Heinz Kuttin, der offen zugibt: "Es war wahnsinnig schwer, bei ihm wieder richtig ein Leben rein zu bringen."
Sieben Monate sind seit Morgensterns letztem Wettkampfsprung inzwischen vergangen. Sieben Monate, in denen er alles unternahm, um doch noch einmal auf die Schanze zurück zu kehren. Der ÖSV hat für den verdienstvollen Kärntner einen Trainer (Ex-Damen-Chef Harald Rodlauer) abkommandiert , Morgenstern genoss alle Freiheiten. "Er hat nach dem, was passiert ist, einen Sonderstatus und kriegt jede Zeit der Welt", erklärte Kuttin, dem freilich immer klar war: "Mehr können wir auch nicht tun."
Seine Hausaufgaben für die Fortsetzung der Karriere hat Morgenstern jedenfalls alle gemacht. Im Medizinzentrum Altis versuchte er mit den Ärzten seines Vertrauens, die Stürze der letzten Saison mental zu verarbeiten. Parallel dazu war er im körperlichen Aufbautraining so engagiert, dass seine Trainer bei Morgensterns Fitnesswerten nur so ins Schwärmen geraten. "Körperlich ist er wirklich top beisammen", berichtet Rodlauer. Aber was hilft es, wenn das Fleisch willig ist, der Geist aber schwach?
Die Stürze, die Schmerzen, all die Krankenhausaufenthalte und Therapiestunden, sie haben ihre Spuren hinterlassen. Die Ängst und Zweifel lassen sich nicht so leicht vertreiben, wie Morgenstern bei seinen Tests auf der Großschanze (Planica, Bischofshofen) feststellen musste. "Da gibt es sehr viel zum Aufarbeiten. Auch Sachen, die man verdrängt hat", weiß Trainer Kuttin. "Als Junger tust du dich da sicher etwas leichter."
Ausgezeichnet
Als Morgenstern 2003 in Kuusamo einen kapitalen Stern gerissen hatte, stand er wenige Tage später schon wieder auf der Schanze und wirkte unbeeindruckt. Aber Morgenstern wird im nächsten Monat 28, er ist jetzt Vater einer Tochter und hat inzwischen eine andere Sicht auf die Dinge und den Sport. Ein Sport obendrein, der für den Kärntner praktisch keine Ziele und Herausforderungen mehr bietet. Morgenstern ist in der glücklichen Lage, alle Titel und Trophäen gewonnen zu haben, die es im Reich der Adler zu gewinnen gibt. Nur Dabeisein kann für einen wie ihn nicht alles sein.
Die Zeichen standen also auf Karriereende. Seinen Absprung gab er am bei einer Pressekonferenz bekannt. Seine Zukunftspläne hat er dabei noch nicht präsentiert.
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