Skispringen: Am Neujahrstag kam die Ernüchterung

Stefan Kraft kann es momentan nicht fassen.
Die Österreicher sorgen bei der VIerschanzentournee in Garmisch für ein historisch schlechtes Ergebnis.

War das wirklich der Mann, der 2017 im Skispringen die Lufthoheit hatte? War das tatsächlich der Gesamtweltcupsieger, Doppelweltmeister und Weltrekordhalter im Skifliegen? Der Athlet, der in Oberstdorf nach dem ersten von acht Tourneesprüngen in Führung gelegen war und die Mission Gesamtsieg in Angriff genommen hatte?

Ja, konnte dieser Skispringer, der da in Garmisch mehr schlecht als recht über die Schanze trudelte, wirklich Stefan Kraft sein?

Er war es wirklich. Und er war nicht mehr wiederzuerkennen.

Nicht wenige rieben sich im Sprungstadion ungläubig die Augen, als der beste Skispringer des letzten Winters in seinem Duell mit Ziga Jelar k.o. ging. Der junge Slowene (125,5 Meter), der bis zum Neujahrsspringen erst einmal in seiner Karriere in den Punkterängen gelandet war, überflügelte den Pongauer um drei Meter.

Ratlosigkeit

Dass sich Kraft mit seinem Versuch (122,5 Meter) in einem Wettkampf ohne K.-o.-Modus für das Finale qualifiziert hätte, wollten sie beim ÖSV erst gar nicht als Ausrede gelten lassen. Auf schmerzhafte Weise wurde der König der Lüfte wieder auf ein Normalmaß gestutzt, und dabei fiel Kraft regelrecht aus allen Wolken. "Ich bin ratlos und kann mir nicht erklären, was da passiert ist", gestand der 24-Jährige, nachdem er erstmals seit fast vier Jahren keine Weltcuppunkte sammeln konnte.

Denn gerade einmal zwei Wochen sind vergangen, seit die Österreicher auf der Garmischer Olympiaschanze einen Trainingskurs absolviert hatten, von dem alle im ÖSV-Lager angetan waren. Stefan Kraft, so erzählten die Kollegen, hätte damals einen Weitenrekord nach dem anderen aufgestellt. Gregor Schlierenzauer ließ sich vor dem Auftakt sogar zur Prognose hinreißen: "Wenn der Krafti so springt wie beim Trainingskurs in Garmisch, dann gewinnt er die Tournee."

Druck

Der Tourneesieg hat sich mit dem kapitalen Fehlstart ins neue Jahr ohnehin erledigt, für Kraft geht’s nach der Ernüchterung von Garmisch in erster Linie darum, die Sicherheit und die Lockerheit zu gewinnen, die ihm auf dem Weg von Oberstdorf nach Garmisch offenbar abhanden gekommen ist. "Ich kann nicht sagen, warum der Wurm drinnen ist. Skispringen ist schon interessant. Aber ich will jetzt nicht groß herumgrübeln, weil ich ja weiß, dass ich Skispringen kann."

Cheftrainer Heinz Kuttin glaubt die Ursachen für den Absturz seines Vorzeigeadlers sehr wohl zu kennen. Auf den schmalen Schultern des 24-Jährigen würde nach dem phänomenalen letzten Winter zu viel Druck lasten. "Er ist zumeist alleine dagestanden. Es fehlt die Freiheit", sagt Kuttin – und dabei spricht der Kärntner all seine Athleten an.

Denn nicht nur Weltcup-Gesamtsieger Kraft steckt im Tief, fast die gesamte österreichische Mannschaft befindet sich beim ersten Saisonhöhepunkt im Hintertreffen. Erstmals seit 33 Jahren waren die ÖSV-Springer in einem Finaldurchgang nur mit zwei Athleten vertreten, die Ränge 19 (Gregor Schlierenzauer) und 20 (Michael Hayböck) bedeutet das schlechteste Tournee-Ergebnis seit 39 Jahren. Dazu droht in der Gesamtwertung ein historischer Tiefpunkt. Seit der Tournee 1977/’78 war am Ende noch immer ein Österreicher in den Top Ten zu finden. Zur Halbzeit ist Schlierenzauer als bester der schwachen ÖSV-Springer abgeschlagener 15.

"Das war ein rabenschwarzer Tag und tut weh", gestand Heinz Kuttin, der die aktuelle Krise ähnlich sachlich und ruhig kommentiert wie die Höhenflüge im vergangenen Winter. "Wir müssen das analysieren. Aber wir haben alle mehr drauf."

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