Raich zum Jubiläum im Quali-Stress
Die Ergebnisliste kennt kein Erbarmen. Nicht einmal mit einem doppelten Olympiasieger und runden Jubilar des Skisports. Mit 7:03,88 Minuten Rückstand wurde Benjamin Raich beim Abschlusstraining für die Abfahrt im Klassement geführt. Platz 38 unter 38 Läufern. Sogar auf den Meter genau war sein Abstand aufgelistet: 2592,02 Meter.
Benjamin Raich mag vielleicht nicht die erfolgreichste Saison seiner Karriere fahren, aber solche Welten trennen den 34-jährigen Tiroler dann auch wieder nicht von der Weltspitze. Raich hatte seine letzte Trainingsfahrt nach dem Steilhang abbrechen müssen, nachdem unmittelbar vor ihm der Franzose Fayed im Fangnetz gelandet war, doch die Stopp-Uhr die lief gnadenlos weiter.
Eine Szene mit Symbolcharakter. Schön langsam rinnt dem Routinier tatsächlich die Zeit davon. Wenige Tage vor Beginn der Heim-Weltmeisterschaft muss Raich noch um seinen Startplatz in Slalom und Super-G bangen. Drei Top-Ten-Plätze (4/8/8) sind eine bescheidene Ausbeute für den erfolgreichsten aktiven Skiläufer der Gegenwart (36 Weltcupsiege). "Ich hoffe, dass ich die Trendwende noch schaffen kann", sagt Raich.
Abschied
Während Raich im Super-G (Freitag, 11.30 Uhr/live in ORFeins) ein Jubiläum feiert (400. Start im Weltcup), nimmt Kitzbühel an diesem Freitag Abschied vom Super-G. Im nächsten Winter wird das Speed-Rennen auf Wunsch der FIS durch eine Superkombination ersetzt.
Schnee von übermorgen.
Die Gegenwart heißt Qualifikationsstress. Und weil in diesem Winter bisher erst drei Super-Gs gefahren wurden – alle drei noch im Jahr 2012 – dürfen sich noch etliche österreichische Läufer Hoffnungen auf einen Startplatz im ersten Bewerb der Heim-WM machen. Die Trainer werden bei ihrer Nominierung nicht allein die nackten Ergebnisse, sondern vor allem die aktuelle WM-Form berücksichtigen.
Geh leck!" Christian Höhenwarter erinnert sich noch gut an seine Begrüßungsworte an die Streif. Als der Salzburger 2010 das erste Mal vorsichtig aus dem Starthaus lugte und freie Sicht auf die Mausefalle hatte (mit 85 Prozent Neigung die steilste Stelle des Ski-Weltcups), da verließ den selbsternannten Draufgänger ("ich war immer auf der verrückten Seite") dann doch der Mut. "Wie ich da oben gestanden bin, habe ich nur gedacht: ‚Geh leck, wie willst du da runterfahren?‘"
Drei Jahre später kann Höhenwarter über seine Berührungsängste schon wieder schmunzeln, heute verbindet der 34-Jährige mit Mausefalle und Steilhang Pistenspaß, heute ist Höhenwarter einer der routiniertesten Vorläufer in Kitz’ und der Streifzug im Renntempo fast schon Ski-Business as usual. "Aber an die Streif kann man sich sowieso nie gewöhnen. Man muss ihr immer Respekt entgegenbringen."
Knochenjob
Höhenwarter ist einer von elf Vorläufern, die auf der Streif für die Stars den Ernstfall üben sollen. Als ehemaliger Testläufer von Atomic beherrscht er das Ski-Einmaleins so perfekt, dass er sofort in das Team der Vorläufer aufgenommen wurde. Einige seiner erfahrenen Kollegen hatten sich einem Casting stellen müssen, das der Kitzbüheler Skiclub vor Jahren veranstaltet hatte.
Denn nicht jeder Otto-Normalskifahrer, der sich für einen halben Rennläufer hält, taugt auch zum Vorläufer. Die Vorgaben an die Herren sind gleichermaßen klar wie streng. "Wir sollen eine vernünftige, kontrollierte Fahrt hinlegen, nicht vor der Mausefalle bremsen oder die Ski querstellen, und zu langsam sollten wir natürlich auch nicht sein", berichtet Christian Höhenwarter.
Der Pongauer, der im Anzug des ehemaligen schwedischen Rennläufers Patrik Järbyn daherkommt und am Freitag mit einer speziellen Helm-Kamera unterwegs ist, verliert im Schnitt zwischen acht und zwölf Sekunden auf die Bestzeit. Im ersten Trainingslauf am Dienstag war laut der internen Zeitmessung der flotteste Vorläufer sogar schneller als der langsamste Rennläufer.
Ehrenamt
Doch die Zeit ist nebensächlich. Was wirklich zählt, sind die Eindrücke, die Höhenwarter und seine Kollegen während der Fahrt sammeln. Deshalb geht der erste Weg im Ziel zum Rennleiter. "Die bekommen von uns immer ein Feedback von der Strecke", erklärt er.
Wie groß Herausforderung und Überwindung tatsächlich sind, zeigte ein ehemaliger Hahnenkamm-Sieger. Daron Rahlves, der amerikanische Abfahrtsgewinner von 2003, feierte ein Comeback auf der Streif. Rahlves, 39, versuchte sich als Vorläufer und war nur fünf Sekunden langsamer als der Trainingsschnellste Klaus Kröll. "Es war mental eine harte Geschichte, mich darauf vorzubereiten", erzählt Rahlves, "aber am Ende war es wunderbar."
Schon Tage vor dem abschließenden Herrenslalom bei den Hahnenkamm-Rennen hat Kitzbühel eine "Hirschermania" ereilt. Beim Medientermin seines Kopfsponsors Raiffeisen am Donnerstagabend herrschte wie immer beängstigendes Gedränge, auf der Straße hofften viele Fans auf Autogramme.
Raiffeisen-Werbechef Leodegar Pruschak strich bei Hirschers Kurzbesuch den bereits enormen Werbewert des 23-jährigen Senkrechtstarters hervor. Über 400 Minuten Logo-Präsenz im Vorjahr im TV sowie über 1.000 Printberichte würden davon zeugen.
"Er ist trotz seiner Jugend bereits ein großes Vorbild", sagte Pruschak. Bei der WM wird eine eigene Marcel-Hirscher-Kreditkarte aufgelegt, von der grünen Hirscher-Haube werden 10.000 Stück aufgelegt. Hirscher sei aber nicht nur ein erfolgreicher Sportler, sondern auch ein Online-Star. 100.000 "Likes" gebe es auf Facebook, auch das erste digitale Fanbuch eines Skistars wird sehr positiv angenommen.
Hirscher selbst hörte sich das erfreut an, für ihn selbst stehe aber natürlich vorrangig der Sport im Mittelpunkt, betonte er. "Es ist immer ein extrem schönes Gefühl, nach Kitzbühel zu kommen", sagte er nach mehreren "gewaltigen" Trainings im heimatlichen Annaberg. "Wie schwierig der Kitz-Slalom wird, werde ich erst am Sonntag wissen", sagte ein hörbar verkühlter Hirscher. "Das geht schon eine Zeit so", hoffte der Salzburger aber auf keine Verschlechterung.
120 Fallen
Prognosen wollte der Skistar auch für die WM nicht abgeben. "Das können nicht einmal Experten. Wenn ich meine Leistung bringe, werde ich bei den Topleuten dabei sein. Ein Fehler ist aber schnell passiert. Ein Slalom, das sind 120 Fallen und jede kann zuschlagen", warnte der Salzburger, der über eine beeindruckende Podiumsserie verfügt. "Aber von einer gemähten Wiese sind wir weit entfernt."
Die bisweilen schon überbordende Fan-Begeisterung findet Hirscher derzeit "schön". "Besser jedenfalls, als wenn sich keiner für dich interessiert." Bedrängt fühle er sich auf jeden Fall - noch - nicht, sagte er an der Stätte, wo einst sein (Sponsor-) Vorgänger Hermann Maier für Hysterie unter den Fans gesorgt hatte.
Hirschers große Leidenschaft ist und bleibt, Grenzen zu verschieben. "Mein Ziel ist herauszufinden, wo mein Maximum ist. Stillstand ist der erste Rückschritt", erklärte er. Verstellen würde er sich trotz seines jungen Ruhmes auf keinen Fall, auch nicht aus Werbegründen. "Ich würde durchdrehen, wenn ich irgendwas spielen müsste. Ich bin kein Sänger oder Schauspieler. Ich bin Skifahrer."
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