ÖSV-Star Kriechmayr auf der Streif: "Das Kribbeln ist nicht mehr da"
Manchmal wünscht sich Vincent Kriechmayr, er könnte die Uhr zurückdrehen in die Zeit, als er noch kein Doppelweltmeister war, sondern ein blutjunger Abfahrtsanfänger. Gerade in Kitzbühel vermisst der 31-Jährige die intensiven Emotionen, die er erleben durfte, als er noch „grün hinter den Ohren war“ und das erste Mal über die Streif geschickt wurde.
„Dieses Gefühl hätte ich wirklich gerne noch einmal“, gesteht Vincent Kriechmayr. „Das Kribbeln ist nicht mehr da. Gerade im Training ist inzwischen die Luft draußen, weil man einfach alles schon kennt und schon so oft die Streif heruntergefahren ist.“
Überzeugende Auftritte
Das mag eine Erklärung für die zurückhaltenden Trainingsfahrten von Kriechmayr sein (Ränge 40 und 23), der Oberösterreicher möchte sich aber auch nicht in die Karten blicken lassen. Die Zeiten, in denen er im Training bereits voll aufs Tempo drückte und damit die Konkurrenz auf die Erfolgsfährte brachte, sind Schnee von gestern.
Weit aussagekräftiger als die beiden Trainings für die zwei Abfahrten heute und morgen auf der Streif (jeweils 11.30 Uhr) waren da schon Kriechmayrs Auftritte abseits der Skipiste. Der 31-Jährige kann ja bisweilen ziemlich mürrisch und reserviert rüberkommen, vor allem dann, wenn ihm wieder einmal sein unbändiger Ehrgeiz im Weg steht. Aber in Kitzbühel präsentierte sich der zweifache Saisonsieger dieser Tage locker und redselig wie selten zuvor und strahlt dabei eine Gelassenheit und Überzeugung aus, dass der Konkurrenz eigentlich angst und bang werden müsste.
Das war gerade an diesem Ort nicht immer so. Die jüngsten Streif-Züge hatten für Vincent Kriechmayr stets mit Enttäuschungen geendet. 9, 17, 13, 13 – die letzten vier Kitzbühel-Abfahrten wurden den hohen Ansprüchen des 14-fachen Weltcupsiegers keineswegs gerecht. „In den letzten Jahren habe ich mich sehr schwergetan. Dann stehst du schon ohne Leichtigkeit am Start und fängst an, herumzusuchen, wo die beste Linie ist“, erzählt der 31-Jährige. „Ich habe hier herunter nicht den Flow gefunden.“
Perfekter Zustand
Vincent Kriechmayr kennt das auch anders. Knapp zwei Jahre ist es her, dass er sich in dem emotionalen Zustand befunden hat, den jeder Abfahrer herbeisehnt. Er hatte den berühmten Flow. „Bei der WM 2021 in Cortina bin ich am Start gestanden und habe gewusst: Wenn ich fehlerfrei runterkomme, dann gewinne ich das. Weil: Wo soll mir jemand Zeit abnehmen? Ich bin mit so einer breiten Brust gefahren, damals hat mich nichts aufhalten können.“
Kriechmayr erweckt dieser Tage zumindest den Eindruck, dass der Flow-Zirkus gerade wieder in der Stadt ist. Er hat über die letzten Jahre gelernt, dass sich die Erfolge nicht erzwingen lassen, sie müssen eingefahren werden. „In dieses Feeling muss man reinkommen. Das spielt sich alles im Kopf ab. Und dann merkt man am Start sowieso, ob man die Überzeugung hat und ob man der Chef ist und das Material und die Strecke beherrscht.“
Der Rest ist dann fast ein Kinderspiel. Wie sagte Vincent Kriechmayr doch gleich: „Wenn du dich wohlfühlst und weißt, dass du gewinnen kannst, gehst du ganz anders in ein Rennen hinein.“
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