ÖSV-Damen-Coach Mitter: "Dann kann man den Job nicht machen"

SKI-WELTCUP IN SÖLDEN - FREIES TRAINING: MITTER
Der Cheftrainer der ÖSV-Läuferinnen über die Qual der Wahl vor der Ski-WM, Medaillenhoffnungen – und die Verletzungsmisere.

Christian Mitter geht in seine erste WM als ÖSV-Damen-Chef. Seit 2019 ist der langjährige Erfolgscoach der norwegischen Ski-Herren im Amt. Wegen der vielen verletzten Läuferinnen musste er improvisieren, einigen Sportlerinnen musste er auch eine Absage erteilen.

KURIER: Wie schwer fällt es Ihnen, Läuferinnen sagen zu müssen, dass für sie im WM-Aufgebot kein Platz ist?

Christian Mitter: Es ist sicher nicht die angenehmste und erfreulichste Aufgabe. Andererseits ist es als Trainer notwendig, Entscheidungen zu treffen. Wichtig ist, dass man schon im Vorfeld die Vorgaben ganz klar festlegt. Damit jeder weiß, woran er ist.

Weil das unnötige Diskussionen verhindert?

Genau. Man muss mit offenen Karten spielen, und eine Entscheidung muss für alle nachvollziehbar sein. Es hilft sicher nicht, wenn man da lang herumeiert.

Verstehen denn alle Läuferinnen Ihre Entscheidungen?

Im Spitzensport sind solche Situationen für die Athleten nichts Neues. Sie sind es von klein auf gewohnt, dass es um Kaderplätze geht, um die Teilnahmen an Junioren-WMs, es wird ständig selektiert. Das ist part of the game. Für sie, auch für mich. Und wenn man damit Probleme hat, dann ist man fehl am Platz und kann den Job nicht machen. Wissen Sie, was auch noch wichtig ist?

Sagen Sie’s.

Dass man ja keine persönlichen Gefühle verletzt. Diese Gespräche mit den Athleten müssen immer professionell und sachlich bleiben und dürfen nicht auf die emotionale Ebene kommen.

Wie kompliziert war es für Sie und Ihr Team, das WM-Aufgebot zu nominieren, angesichts des zusätzlichen Parallelrennens?

Es war extrem schwierig, das Team zusammenzustellen. Nicht nur wegen der Parallelrennen. Wir hatten im ganzen Winter keine einzige Kombination. Wie und wen willst du da dann aufstellen?

Nach welchen Kriterien haben Sie dann die Entscheidung getroffen?

Wir hatten keine Anhaltspunkte, weil die letzte Kombination ein Jahr her ist. Es ging um eine smarte Lösung für die Kombi und Parallel, damit wir dort eine gute Figur machen. Wir haben in der Kombi und im Parallelbewerb keine echten Spezialistinnen. Trotzdem hatte jede Läuferin genügend Möglichkeiten, um sich in den verschiedenen Disziplinen zu empfehlen.

Gab es Überlegungen, in der Kombination nicht das volle Starterkontingent von vier Läuferinnen auszuschöpfen?

Es sollte grundsätzlich der Anspruch des ÖSV sein, überall in voller Stärke am Start zu stehen. Wir mussten jetzt halt sehr kreativ sein. Das Rennen ist aber ein bisschen eine Wundertüte.

Gehen Sie als Optimist oder eher als Realist in diese WM?

Ich bin eher realistisch. Alles andere wäre nicht gescheit. Nehmen wir die technischen Disziplinen: Wenn jemand bei einem Großereignis das erste Mal in seiner Karriere nach dem ersten Durchgang unter den Top drei ist, kommt es selten vor, dass er das auch im zweiten Lauf runterkriegt. Das muss man geübt haben. Da gibt’s relativ wenige in unserem Team.

FIS Alpine Skiing World Cup in Kranjska Gora

Katharina Liensberger war in jedem Saison-Slalom auf dem Stockerl.

Sie ist eine, die öfter in so einer Situation war und weiß, wie man das runterbringt. Natürlich muss es am Tag X passen. Aber sie ist definitiv eine Medaillenkandidatin. Bei den Einzelrennen Abfahrt und Super-G haben wir Läuferinnen, die gewonnen haben oder am Podium waren. Da geht’s darum, an dem Tag die Bestleistung abzurufen.

Wie sehr hat der Mannschaft der schwere Sturz von Nicole Schmidhofer zugesetzt?

Mit ihr ist schon früh unsere beste Speedfahrerin ausgefallen. Dann erwischt es Nina Ortlieb – die zweite Läuferin, die im letzten Jahr unsere einzigen Speedrennen gewonnen hat. Beide gehen natürlich ab. Wobei die Nachwirkungen weniger im mentalen Bereich zu suchen sind als im mathematischen. Es gibt weniger Top-Platzierungen, wenn zwei starke Läuferinnen fehlen. Unser Speed-Team ist geschwächt, wir schauen, dass wir es irgendwie kompensieren. Im Super-G ist uns das gut gelungen, in der Abfahrt ist es ein bisschen mau.

Women's Downhill

Liegt das nur an den prominenten Ausfällen?

Der Herbst war in unserem Team schon coronaverseucht, dann passieren die Stürze, dann haut’s die Stephanie Venier, gerade als sie wieder ins Fahren kommt. Ich will keine Ausreden suchen, aber heuer haben wir extrem viel Gegenwind. Wer weiß: Vielleicht öffnen sich plötzlich die Schleusen, wenn alle wieder zurückkommen. Es fehlt ja mit Conny Hütter eine weitere Siegerin, das darf man auch nicht vergessen.

Wie sehr gehen Ihnen die schweren Stürze Ihrer Läuferinnen nahe?

Man muss das in Wahrheit nüchtern sehen und sachlich analysieren: Warum ist ein Sturz passiert, hätte man ihn vermeiden können? So geht man als Trainer vor. Diese Stürze sind leider traurige Routine geworden.

Wie kann der Skisport sicherer werden?

Das Sicherste wäre, wir hätten keine Rennen mehr. Alle würden gesund bleiben. Über alles wurde diskutiert: Material, Kurssetzung, Pistenpräparierung, Terminplan, über dieses und jenes.

Hört sich so an, als wäre man mit dem Latein am Ende.

Prinzipiell ist für diese Bewegung auf Skiern keiner geboren. Der menschliche Körper ist nicht gemacht, um mit 100 km/h und Kräften von 3 G eine Piste hinunterzufahren. Man kann sich noch so gut darauf vorbereiten, aber so lange wir mit 100 km/h unterwegs sind, wird es immer Verletzungen geben.

Alpine Ski-WM - Der ÖSV-Kader

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