Missbrauchsvorwürfe: Werdenigg ist "irrsinnig stark geworden"

Nicola Werdenigg: 'Es kommen irrsinnig viele Meldungen, viele reden jetzt drüber.'
"Es kommen irrsinnig viele Meldungen, viele reden jetzt drüber", sagt die ehemalige Skirennläuferin, die nun hofft, dass sich "an diesen Systemen etwas ändern" kann.

Nicola Werdenigg ist nach dem Widerhall auf die von ihr erhobenen Missbrauchsvorwürfe im österreichischen Skisport in ihrem Vorhaben bestärkt worden. "Es war mein ganz großes Motiv, an diesen Systemen etwas zu ändern", sagte die ehemalige Skirennläuferin im APA-Interview. Ihre ganze Energie steckt sie in die Gründung einer Plattform außerhalb aller Sportsysteme.

Niemals habe sie so viele Reaktionen erwartet. "Aber hätte ich nicht ganz wohlweislich und gut unterstützt alles abgeschlossen gehabt, wäre ich in diesen vierzehn Tagen zerrieben. Aber ich bin in diesen vierzehn Tagen irrsinnig stark geworden", sagte die 59-jährige Werdenigg, die am Dienstag am Landeskriminalamt Tirol aussagen wird. Die Tirolerin hatte von sexuellen Übergriffen bis hin zu einer Vergewaltigung durch einen Mannschaftskollegen berichtet, als sie 16 Jahre alt war, und auch einen ihr bekannten Fall aus 2005 angesprochen.

Nach wie vor werden ihr Vorfälle geschildert. "Es kommen irrsinnig viele Meldungen, viele reden jetzt drüber. Das zeigt offen, dass dieser Machtmissbrauch in Sportverbänden System hat." Aufklärung, Aufarbeitung, Prävention nennt sie die nun nötigen Schritte. "Es soll ja nicht der Sport generell vernichtet werden. Und es soll nicht, wie in meinem Fall, die Freude am Skifahren vergällt werden. Es soll eine Umstrukturierung erfolgen und wir müssen Präventionsarbeit machen."

Neutrale Anlaufstelle wäre besser

Der ÖSV hat eine Zusammenarbeit mit Opferschutzanwältin Waltraud Klasnic vereinbart. Es sei aber ganz wichtig, dass es für die Meldung von Fällen neutrale Stellen gebe, meinte Werdenigg. "Ich möchte stark betonen, dass ich keine Zweiflerin an der fachlichen Kompetenz oder Integrität von Frau Klasnic bin. Aber es ist der Fall, dass die Leute dem Aufklärungssystem oder der Kommission, die vom ÖSV selbst gewählt wurde, extrem misstrauen. Und dass sich ganz viele wahrscheinlich nicht melden oder wissen wohin. Das Nicht-Wissen-Wohin hat auch eine emotionale Komponente. Das sind Leute, die zum ersten Mal seit 10, 20, 30, 40, 50 Jahren reden wollen. Der Leidensdruck ist so groß. Und die Befreiung nach solchen Gesprächen ist so wichtig."

Werdenigg hat sich deshalb mit der Verbrechensopferhilfe "Weißer Ring" zusammengetan, außerdem habe sich das Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) an sie gewandt. "Ich habe gebeten, dass IRKS Kontakt mit Weißen Ring herstellt, und dass man sofort zu dokumentieren anfängt. Damit alles ganz fundiert begleitet ist. Wir werden die besten Leute zusammenholen." Weiters mit dabei ist die Sportwissenschafterin und forensische Psychologin Chris Karl, die im Rahmen des Projekts "KIMI" in Schulen über Präventionsmaßnahmen gegen sexuellen Missbrauch aufklärt.

"Zum Glück habe ich auf meinem Weg, den ich eingeschlagen habe, Chris Karl kennengelernt. Wir haben einen Schulterschluss gemacht, wir haben genau das gleiche Anliegen. Uns beiden geht es darum, eine Plattform zu schaffen, die außerhalb aller Sportsysteme ist, damit ein Vertrauen da ist. Betroffene sollen sich vernetzen können - unabhängig, selbstständig. Man muss Betroffenen wirklich die Möglichkeit geben zu reden", meinte die Abfahrts-Olympiavierte von 1976 im APA-Interview.

"Eine breit gestreute Plattform schaffen"

"Es gibt in Österreich viel auch innerhalb vom Sport, es gibt '100 Prozent Sport', es gibt Initiativen in den Bundesländern. Uns geht es darum, dass wir diese losen Enden aufnehmen, dass wir miteinander vernetzen und eine breit gestreute Plattform schaffen." Diese "wird und kann und muss im Sport über die Grenzen von Österreich gehen". Denn Menschen, die im Umfeld des Sport sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch ausüben und nicht strafrechtlich belangt werden, würden einfach untertauchen und "dann halt in der nächsten Nation wieder auftauchen. Das ist das Übel."

Auf der anderen Seite stehe die Aufarbeitung und Forschung. "Wir brauchen eine fundierte wissenschaftliche Begleitung bereits jetzt, wenn die Meldungen eingehen. Jetzt bekommt man die Kennzahlen und Details." Forschungseinrichtungen sollen für eine möglichst lückenlose Dokumentation von Anfang an mit eingebunden werden. "Damit man Ausgangsmaterial für gute Forschung hat und für die Prävention Zahlen vorliegen. Damit man auch differenzieren kann, was ist nur in Sportsystemen und was generell in Systemen so."

Werdenigg will nicht den ÖSV anpatzen

Nochmals betonte Werdenigg, dass es ihr überhaupt nicht darum gehe, den ÖSV oder eine Person anzupatzen. "Niemandes gute Intention will ich infrage stellen. Aber es wissen viele im Skiumfeld nicht einmal die richtige Terminologie, die kennen die Begrifflichkeiten nicht." Der ÖSV sei auch ein spannender Fall, weil am Skisport in der Nachkriegszeit eine nationale Identifikation aufgebaut wurde. "Das war ganz wichtig für das angeschlagene Selbstbewusstsein für Österreich." Der Skisport sei stilisiert und von der Politik als Identifikationsfläche benutzt worden.

"Noch einmal, es ist nicht der Verband selbst, sondern die Sache, dass es um einen Verband geht, der auch ganz stark politisch eine Rolle gespielt hat und immer noch spielt. Das finde ich nochmals so bemerkenswert, wenn man das erforscht und aufarbeitet, dass man eben diese Strukturen dazu nimmt. Das mag in Deutschland ähnlich sein mit Fußball, bei uns ist es viel mehr der Skisport", sagte Werdenigg.

"Ich finde es toll, dass man schnell reagiert hat"

Das Vorhaben von Noch-Sportminister Hans Peter Doskozil (SPÖ), eine Studie in Auftrag zu geben, die untersuchen soll, wie weit verbreitet sexueller Missbrauch im österreichischen Sport ist, begrüßt Werdenigg. "Ich finde es toll, dass man schnell reagiert hat. Es gibt jetzt mehrere Initiativen, wo Landesverbände was tun wollen, wo parteipolitische Dinge ins Spiel kommen. Ich finde generell jeden Ansatz richtig und wichtig. Nur sollte man sich ein darüberliegendes Konzept überlegen."

Eine repräsentative Studie könne durchaus ein guter Beitrag sein. "Aber das ist ganz was anderes, als das Dokumentieren in die Hand zu nehmen." Doskozil will außerdem Fördervergaben an Verbände an Präventionsarbeit knüpfen. "Das freut mich am allermeisten. Einen Verhaltenskodex, um gegen Gewalt vorzugehen, als Kriterium, das begrüße ich total. Dafür gebührt ihm vor seinem Amtsende ein Orden."

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