Lama und Auer: Gipfelstürmer mit Bodenhaftung

Die beiden Extremkletterer sind wohl bei einem Lawinenabgang in Kanada tödlich verunglückt. Zwei Abenteurer und Pragmatiker.

Wer im 21. Jahrhundert Kolumbus spielen möchte, muss wohl Astronaut werden – oder Alpinist. Denn ich glaube, dass man den eigenen Entdeckergeist gerade in den Bergen heute noch ausleben kann.

Wer David Lama verstehen wollte, der musste mit ihm ins Gespräch kommen. Interviews mit ihm dauerten oft mehrere Stunden. Nicht nur weil er so viel zu erzählen hatte. David Lama hatte vor allem auch viel zu sagen.

Und dabei präsentierte er sich gänzlich anders, als es die aufsehenerregenden Videos und Fotos, die es von ihm und seinen Expeditionen gibt, vielleicht  vermuten lassen würden: David Lama war weder Hasardeur noch Adrenalinjunkie, und er war alles andere als leichtsinnig und lebensmüde  – dafür liebte er das Leben zu sehr.

Pragmatiker

Auf seine Projekte wie etwa die Erstbesteigung des Lunag Ri im vergangenen November bereitete sich der Tiroler monatelang vor. "Weil ich nicht vom Glück abhängig sein und dem Glück vertrauen will."

Für einen jungen Mann hatte der Tiroler einen äußerst pragmatischen Zugang zum Bergsteigen. Zum Leben an sich, aber auch zum Tod, der in vielen Gesprächen mit ihm Thema war. Zwangsläufig. "Die Gefahr ist meine Herausforderung, und die Todesangst ist ein absoluter Teil davon", sagte er einmal. "Für mich ist ein Bergsteiger ein Realist. Wenn er zu negativ denkt, dürfte er gar nicht einsteigen. Ist er zu optimistisch, kommt er früher oder später um. Ich habe mich mit den Sachen auseinander gesetzt. Es bringt nichts, sich das dramatisch vorzustellen."

Abenteurer

Das war bei Hansjörg Auer nicht anders. Der Ötztaler bezwang die Berge im Free-Solo-Stil, das bedeutet ohne Seil und ohne Sicherung. Jeder Fehltritt, jeder lose Stein bedeutet den sicheren Tod. Wie sein verunglückter Kletterpartner nahm auch David Lama dieses Risiko in Kauf.  Er wusste, welchen Gefahren er sich aussetzte, als er etwa im vergangenen Herbst im Alleingang als erster Mensch den Lunag Ri (6895) im Himalaya bestieg. Er wusste, dass ihn im Ernstfall "dort oben keiner holen würde".

Es ist für einen Außenstehenden schwer nachvollziehbar, wie sich jemand freiwillig in diese Todesgefahr begeben kann. David Lama pflegte dann oft mit einem Lächeln zu sagen: "Auch wenn ich über die Straße gehe, begebe ich mich in Lebensgefahr."

Lama und Auer: Gipfelstürmer mit Bodenhaftung

David Lama wurde 1990 als Sohn einer Innsbruckerin und eines nepalesischen Bergführers in Innsbruck geboren. 

Lama und Auer: Gipfelstürmer mit Bodenhaftung

Er war gerade mal fünf, als ihn Himalaja-Veteran Peter Habeler zum ersten Mal beim Klettern beobachtete und seine Eltern anrief: Der Bub habe ein außergewöhnliches Gefühl für den Felsen. 

Lama und Auer: Gipfelstürmer mit Bodenhaftung

Wanderkurse und Alpenvereinsaktivitäten interessierten David nicht, er suchte von Beginn an die Vertikale. In der Kletterhalle fühlte er sich wohl. 

Lama und Auer: Gipfelstürmer mit Bodenhaftung

Parallel zur Kletterhalle reizten Lama auch die Berge. Schließlich entschied er sich ganz für den Alpinismus. 

Lama und Auer: Gipfelstürmer mit Bodenhaftung

Lama gelangen Pionierleistungen in den Bergen, zum Beispiel mit der freien Begehung der Kompressorroute am Cerro Torre oder der Erstbegehung von Bird of Prey in Alaska.

Lama und Auer: Gipfelstürmer mit Bodenhaftung

Bereits in jungen Jahren hat Lama zur inneren Ruhe gefunden. "Es geht nicht um die Leistung. Es geht ums Erlebnis", sagte er mal. 

Lama und Auer: Gipfelstürmer mit Bodenhaftung

Die Gefahren, die seine Leidenschaft an sich zieht, war er sich stets bewusst. "Du bist dort oben auf dich allein gestellt. Wenn etwas passiert, dann kommt keiner rauf und holt dich", sagte er in einem KURIER-Interview. 

Lama und Auer: Gipfelstürmer mit Bodenhaftung

"Wenn du es nicht schaffst, selbst runter zu kommen, bleibst du oben". 

Lama und Auer: Gipfelstürmer mit Bodenhaftung

"Der Alpinismus ist kein Spiel", sagte er auch im Interview.

Lama und Auer: Gipfelstürmer mit Bodenhaftung

Hansjörg Auer wurde am 18. Februar 1984 in Zams (Tirol) geboren. Mit dem Klettern begann er 1996. 

Lama und Auer: Gipfelstürmer mit Bodenhaftung

Auer war einer der markantesten Alpinisten der Geschichte. Ein "Free Solo"-Kletterer buchstäblich ohne Sicherheitsnetz, ein Grenzgänger und authentischer Individualist, der sich gleichzeitig nachdenklich öffnen konnte 

Nepal-Drama / Nilgiri

Der 29. April 2007, der Tag, an dem Hansjörg Auer Geschichte schrieb - der Tag, der untrennbar mit ihm verbunden bleibt: Der ausgebildete Lehrer für Mathematik und Sport kletterte die 37 Seillängen und 1.220 Meter lange Route "Weg durch den Fisch" (Schwierigkeitsgrad 7b+) in den Dolomiten als erster Mensch "Free solo" - das heißt im Alleingang unter Verzicht auf technische Hilfs-und Sicherungsmittel.

Lama und Auer: Gipfelstürmer mit Bodenhaftung

Die Begehung gilt als ein Meilenstein des Free Solo-Kletterns und ermöglichte ihm den Einzug in die ewige Kletterer- und Bergsteiger-Ruhmeshalle.

Der Sohn eines Nepalesen und einer Innsbruckerin wollte immer schon hoch hinaus – hoch hinaus im wahrsten Sinne. Lama war mit 16 Jahren der beste Sportkletterer der Welt. Und wenn er diese Karriere ernsthaft fortgesetzt hätte, dann wäre der Tiroler wahrscheinlich der Topfavorit gewesen, wenn die Kletterer 2020 in Tokio erstmals um Olympiamedaillen kraxeln dürfen.

Doch der Wettkampf in der Halle war nicht seine Welt. Er wollte nicht indoor gegen andere klettern, lieber stellte er sich gemeinsam mit anderen Alpinisten dem größten und mächtigsten Gegner. "Mir ist klar, dass der Berg immer der Stärkere ist", betonte er fast bei jedem Interview. "Und man muss akzeptieren, dass man nicht alles selbst in der Hand hat."

Anarchist

Auch wenn’s für manche vielleicht so aussehen mag: David Lama hat nicht mit seinem Leben gespielt. Er hat auf seine Weise sein Leben  gelebt und genossen. "Dort oben lebe ich als Anarchist", sagte er und gestand: "Die Emotionen, wenn du auf dem Gipfel stehst, die sind so bereichernd."

Die Berge haben David Lama Berge gegeben. Als er im Spätherbst nach der Besteigung des Lunag Ri nach Tirol zurückgekehrt war und  über seine Abenteuer erzählt hatte, hatte er nicht nur Freude über seinen Gipfelsieg verspürt. Sondern vor allem eine Leere. Damals sagte er: "Ich vermisse die Berge schon jetzt wieder."

Kommentare