Hirscher: "Den Skisport bräuchte es gar nicht"
Als der KURIER Marcel Hirscher im Sommer 2009 auf der Stuhlalm am Fuße der Großen Bischofsmütze einen Besuch abstattete, nahm von dem schmächtigen Bürschchen aus Annaberg kaum jemand Notiz. Als er nun, um fünf große Kristallkugeln und etliche Kilo Muskelmasse reicher, zu einem Wandertag auf jene Alm lud, auf der er seine ganze Kindheit verbracht hatte, stauten sich die Reporter den engen Waldpfad hinauf.
Nachdem sich der Skistar in den vergangenen Monaten rar gemacht und die sozialen Netzwerke gemieden hatte, war der Andrang umso größer. 50 Journalisten aus sieben Ländern stand Hirscher in 1467 Metern Seehöhe Rede und Antwort. Also sprach der 27-Jährige über...
... seine Auszeit:
"Mir hat das brutal gut getan. Es war eine super Zeit, seit April offline zu sein und nicht überall meinen Senf dazugeben zu müssen. Mit dem heutigen Tag bin ich wieder back in business."
... den Ist-Zustand:
"Keine Schmerzen, keine Probleme – ich fühle mich wie mit 18. Mein Trainer hetzt mich über die Blutwiese, wie ich den Hang nenne: 400 Meter bergauf, aber im Sprint, und das nicht nur ein Mal. Ich habe mich entschlossen, heuer einmal nicht nach Übersee zu fahren. Ich werde mich stattdessen in Österreich auf den Gletschern vorbereiten."
... das Leben im Skizirkus:
... den Alltag als Superstar in Österreich:
"Ich versuche immer mehr, einfach zu leben. Natürlich habe ich schon darüber nachgedacht, zu flüchten, aber Österreich ist eines der schönsten Länder, die es gibt. Wenn man so viel herumkommt wie ich, dann weiß man zu schätzen, wie gut’s uns geht. Trotzdem ist es für mich nicht ganz so einfach, in ein Strandbad zu gehen. Daheim in Annaberg ist die Barriere am kleinsten. Die kennen mich, wie ich noch in die Hose gemacht habe."
... Motivationsprobleme:
"Für mich ist immer wichtig, dass ich die Begeisterung und das Feuer spüre. Ich bin jetzt im neunten Jahr im Weltcup, das wiederholt sich ja im Grunde alles. Ich weiß, wann welche Ehrung ist, die Rennen sind auch immer an den gleichen Tagen – das rattert seit neun Jahren so dahin. Da ist es gut, wenn man aus diesem Rad einmal ausbricht und etwas anderes macht. Vielleicht fahre ich im Herbst noch ans Meer. Dann komm’ ich eben mit einer guten Farbe zum Weltcupauftakt."
... die künftigen Ziele:
"Ich habe im letzten Winter zwar einen persönlichen Punkterekord aufgestellt, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, es wird immer zacher. Die Jungen werden schneller, besser, dynamischer. Henrik Kristoffersen zum Beispiel, der hat eine neue Art des Slalomfahrens entwickelt. Ansonsten ist es im Grunde ziemlich langweilig. Ich will abwarten, ob ich das Tempo mitgehen kann, das von den anderen vorgelegt wird."
... das mögliche Comeback von Bode Miller:
"Ehrlich gesagt, habe ich das gar nicht mitbekommen. Aber wenn man Bode Miller heißt, dann kann man auch mit 40 Jahren noch mitfahren."
... ein mögliches Sabbatical, wie es andere Sportler gemacht haben:
"Ich habe schon einige Male darüber nachgedacht, aber ich war bis jetzt zu feig, es tatsächlich zu probieren. Die Gefahr ist riesengroß, dass du den Anschluss komplett verpasst, wenn du einmal ein Jahr weg bist. Was schon denkbar ist: dass ich einige Rennen auslasse. Gut möglich, dass ich irgendwann wirklich etwas Außergewöhnliches mache, aber es wird sicher nicht heuer passieren, dass ich drei Abfahrten hintereinander fahre. Solche Sachen könnte sicher nicht jeder Athlet machen, aber ich dürfte es, denke ich."
... die sechste Kristallkugel:
"Auch wenn es mir jetzt die wenigsten glauben werden: Mein Fokus war zu Saisonbeginn nie auf den Gesamtweltcup gerichtet. Dafür ist die Sache zu groß. Ich kann timen und planen, dass ich bei einer WM in Form bin, aber nicht, dass es über eine Saison funktioniert, 30 Rennen lang. Das ist surreal."
... die Fußball-EM:
"Ich habe mir alles angeschaut und finde, dass es tolle Momente gab. Meiner Ansicht nach ist alles probiert worden, um Österreich möglichst gut zu präsentieren. Aber die Erwartungshaltung war riesengroß. Ich hatte das Gefühl, dass unserer Mannschaft schon vor dem Turnier ordentlich viel Druck auferlegt worden ist."
... seinen Umgang mit Druck:
"Bei der Heim-WM in Schladming bin ich an dem Ganzen fast draufgegangen. Ich habe es halt irgendwie derwurschtelt, dass ich dann doch Weltmeister geworden bin. Es waren aber harte Wochen, vor allem, was den öffentlichen Druck betrifft. Für mich persönlich sind solche Endspiele beim Weltcupfinale das Schlimmste. Zu wissen, ich muss heute soundso viele Punkte machen, damit ich die Kugel hole – das ist abartig. Es klingt einfach: Aber in einen Slalom zu gehen, normal fahren zu müssen und dabei nicht einfädeln zu dürfen – das ist schiach. Das waren die richtigen Druckmomente. Vor allem, weil ein zweiter Rang in meiner Situation eine Enttäuschung und nicht argumentierbar wäre. Da ist es besser, Fünfter zu werden."
... sein persönliches Erfolgsgeheimnis:
"Man muss im Starthaus alles relativieren. Den Sport so weit runterbrechen, dass er das Unwichtigste auf der Welt ist. Es ist ja auch so: In Wahrheit bräuchte es den Skisport nicht. Die Welt würde sich genau gleich weiterdrehen. Ich sage mir in diesen Momenten: ‚Wenn es einen gibt, der es besser kann, dann soll er es probieren.‘"
... die Stuhlalm:
"Ich bin mit drei Monaten hierher gekommen und habe jeden Sommer oben verbracht. Da brauchst du keine Playstation und keinen Fernseher, ich habe mit den Fröschen, Kühen und Schlangen gespielt. Es hört sich jetzt unglaublich an: Wir haben uns mit der Gießkanne geduscht, die ersten sieben Jahre gab es nur eiskaltes Wasser. Andere Leute leben ihr Leben lang so. Solche Luxusprobleme, dass sich Leute aufregen, wenn das Wasser einmal nur lauwarm ist,würden andere gerne haben. Mir hat die Zeit auf der Alm sicher nicht geschadet."
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