„Das sind doch alles Verrückte“

Zwei Jahre nach seinem Unfall kehrt der Salzburger am Mittwoch auf die Streif zurück.

Hans Grugger kehrt zurück. An den Ort, an dem sich sein Leben verändert hat. Auf die Strecke, die ihn beinahe das Leben gekostet hätte. Zwei Jahre nach seinem Sturz in der Mausefalle wird der 31-jährige Gasteiner wieder die Streif in Kitzbühel bewältigen: Zusammen mit seiner Freundin Ingrid Rumpfhuber nimmt Grugger heute an der Besichtigung teil. Der KURIER erreichte Grugger wenige Stunden vor seiner Rückkehr nach Kitzbühel.

KURIER: Herr Grugger, was geht Ihnen so kurz vor Ihrer Reise nach Kitz durch den Kopf?
Hans Grugger: Um ehrlich zu sein: Ich schreibe gerade einen Aufsatz.

Einen Aufsatz?
Eine Erörterung zum Thema 'Der EU-Beitritt der Türken'. Ich lerne für die Studienberechtigungsprüfung. Zwei Fächer hab' ich schon geschafft, jetzt fehlen noch Englisch, Biologie und Deutsch. Für jeden Satz muss ich meine Gehirnwindungen beanspruchen. Aber ich bin froh, dass ich eine Aufgabe habe.

Das klingt so, als ob Sie mittlerweile schon sehr weit weg vom Rennsport wären.
Unglaublich, wie schnell das geht. Ich bin echt sehr weit weg. Wobei: Wie ich jetzt die Bilder aus Wengen gesehen habe, hab' ich mir schon kurz gedacht: 'Bah, wär' das jetzt lässig.' Andererseits ...

... andererseits?
Andererseits bin ich richtig erschrocken, wenn ich die Abfahrer sehe. Die fahren alle wie die Henker. Wenn ich mir diese Abfahrten heute anschaue, dann denke ich mir: 'Das sind alles Gestörte, alles Verrückte.' Ich kann mir heute nicht vorstellen, dass ich auch einmal so unterwegs war. In diesen Momenten bin ich wieder froh, dass ich nicht mehr dabei bin und nicht mehr herunter muss.

Sie sind heute das erste Mal seit Ihrem Unfall wieder auf der Streif. Haben Sie eine Ahnung, was Sie dort erwartet und wie Sie reagieren werden?
Ich hab' keine Ahnung, wie das auf mich wirken wird. Aber ich gehe jetzt nicht davon aus, dass ich dort Tränen vergießen werde.

Warum nicht?
Weil ich ja weiß, dass alles gut ausgegangen ist. Ähnlich war’s, wie ich mir das erste Mal das Video von meinem Sturz angeschaut habe. Das eigentlich Schwierige daran war, die Starttaste zu drücken, weil ich nicht gewusst habe, was die Bilder in mir auslösen. Das Video selbst war kein Problem: Ich habe keinen Zusammenhang zu mir hergestellt. Ich weiß zwar, dass ich es bin, der da stürzt und liegt, aber das Einzige, was ich sehe, ist, dass derjenige heute gesund ist.

„Das sind doch alles Verrückte“
Wie haben Sie denn den Jahrestag verbracht?
Ich habe meinen Flugretter angerufen. Ich werde ihn jetzt auch in Kitzbühel wieder treffen. Das war mir ein großes Bedürfnis, mit den Leuten zu reden, denen ich mein Leben zu verdanken habe. Es ist beeindruckend, was diese Menschen leisten. Und was den 20. Jänner betrifft: Der Tag ist nicht negativ besetzt.

Sondern?
Ich habe diesen Tag positiv in Erinnerung. Wobei: Erinnerung ist übertrieben, in meiner Wahrnehmung ist das halt ein schöner Tag. Weil ich die Chance bekommen habe, dass ich weiterleben darf. Ich sehe die ganze Geschichte nur als Glück.

Inwiefern Glück?
Bei der Therapie in Hochzirl ist mir bewusst geworden, was für Glück ich eigentlich gehabt habe. Da kommen Leute rein, die nur den kleinen Finger bewegen können, wo die Ärzte und die Angehörigen schon happy sind, wenn ein zweiter Finger dazukommt. Und ich bin nach vier Wochen wieder als relativ Gesunder aus dem Krankenhaus gegangen.

Apropos Gesundheit: Leiden Sie noch unter Spätfolgen?
In meinem Alltag geht es eigentlich gut. Wo’s noch hapert, ist die Feinmotorik. Auch meine Aufmerksamkeit und meine Konzentrationsfähigkeit sind noch nicht ganz da. Das kann fünf Jahre dauern, sagen die Ärzte.

Wo sehen Sie denn Ihre berufliche Zukunft?
Ich will Sport und Geografie auf Lehramt studieren und irgendwann Lehrer werden. Im Moment trainiere ich für die sportliche Aufnahmeprüfung. Das ist gar nicht so einfach: Vor allem die Übungen am Reck und das Schwimmen sind zach.

Hätte denn der künftige Lehrer Hans Grugger mit dem ehemaligen Schüler Hans Grugger eine Freude gehabt?
Ich weiß nicht recht. Meine Einstellung zum Lernen war nicht immer vorbildhaft. Ich hab' halt nur das Skifahren im Kopf gehabt, die Schule war ein lästiges Muss. Mit 15 hast du auch keine Ahnung, dass du danach vielleicht eine Ausbildung brauchst. Hätte ich doch damals gescheiter gelernt.

„Das sind doch alles Verrückte“
Sind Sie trotzdem zufrieden mit dem, was Sie als Rennläufer erreicht haben?
Im Großen und Ganzen schon. Ich habe immerhin vier Rennen gewonnen, war öfter auf dem Podest. Aber sicher habe ich mehr als andere die schlechten Seiten des Sports kennengelernt.

Stört es Sie eigentlich, dass heute viele mit dem Namen Hans Grugger nur mehr den Sturz in Kitzbühel in Verbindung bringen und nicht Ihre Erfolge?
Was heißt stören? Natürlich wäre es mir lieber, wenn sie sagen würden: ,Der Hans Grugger, das ist der ehemalige Weltmeister.‘ Der Sturz gehört halt zu meinem Leben dazu, der ist ein Teil von mir und meiner Biografie. Ich kann damit aber gut leben, weil es gut ausgegangen ist.

Karriere

Am 13. Dezember 1981 wird Hans Grugger in Bad Hofgastein geboren. 2001 wird er Juniorenweltmeister im Riesentorlauf. Am 29. November 2003 steigt er bei der Abfahrt in Lake Louise in den Weltcup ein und wird auf Anhieb Siebenter. Ein paar Wochen später steht er in St. Anton als Dritter erstmals auf dem Podest. Den Durchbruch schafft er 2004/’05, als er die Abfahrten in Bormio und Chamonix gewinnt. Zudem gewinnt er die Super-Gs von Gröden (’05) und Kvitfjell (’06). Schwere Stürze werfen ihn aber zurück. Jener in Kitzbühel 2011 beendet die Karriere.

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