Eine Ski-Legende tritt ab: Mein Jahrzehnt mit Marcel Hirscher
Marcel Hirscher wählte in Kooperation mit dem Salzburg-Tourismus das "Gusswerk" in der Stadt Salzburg zum Schauplatz seiner skihistorischen Medien-Show. PR fürs Salzburger Land hatte der Hotelfachschüler – unbewusst – schon im Sommer vor zehn Jahren gemacht, als er und sein Vater mit einem KURIER-Team Richtung Stuhlalm aufbrachen und der schmächtige Marcel dort oben, mit dem Dachstein-Massiv im Hintergrund, von seiner Kindheit zu schwärmen begann.
Dabei hatte man auf der von Marcels Eltern bewirtschafteten Hütte in 1.500 Meter Höhe anfänglich nicht einmal Fließwasser und Strom gekannt. Fad sei ihm trotzdem nie geworden, erzählte das damals noch pickelgesichtige Bürscherl, auf zwei Felsen deutend. Zwischen denen habe er während seiner ersten "Höhentrainingslager" immer wieder auf einem Drahtseil balanciert. Ohne runterzufallen?
"Ja natürlich", antwortete Marcel mit einem Selbstbewusstsein, das ihn schon als Jungspund auszeichnete.
Marcel Hirschers Karriere in Bildern:
Marcel Hirscher wurde am 2. März 1989 in Hallein geboren, als erstes Kind von Ferdinand und Sylvia Hirscher.
Von Kindesbeinen an wird Marcel von seinem Vater Ferdinand (re.), einem staatlich geprüften Ski- und Snowboardlehrer, betreut. Im Trainer-Team seines Sohnes gilt er als eine Art "Supervisor", der auch bei Video-Analysen dabei ist. Der um sieben Jahre jüngere Bruder Leon (Mi.) wollte in die Fußstapfen seines Bruders treten, eine schwere Hüftkrankheit bremste ihn aus.
Stets an seiner Seite: Mit Laura Moisl war Marcel zehn Jahre liiert, bis sich das Paar im vergangenen Sommer endlich dazu entschloss, eine Ehe zu schließen.
Im Oktober bekamen sie einen Sohn. Seitdem habe der Ski-Star andere Prioritäten, sagte er kurz nach der Geburt.
Bereits in der Jugend ließ der 173 cm große Fahrer sein Talent aufblitzen. Als 14-Jähriger wurde er dreifacher österreichischer Schülermeister, als 15-Jähriger kam er nach Erreichen des Alterslimits bei FIS-Rennen zum Einsatz.
Bei der Junioren-WM 2007 gewann er die Goldmedaille im Riesenslalom und die Silbermedaille im Slalom.
Sein Weltcup-Debüt feierte der in Annaberg/Salzburg lebende Ausnahmeathlet am 17. März 2007.
In Lenzerheide kam er damals - zum Start war er als Juniorenweltmeister berechtigt - als Drittletzter auf Rang 24 mit einem Rückstand von 3,17 Sekunden auf Sieger Aksel Lund Svindal.
Seinen Durchbruch im Weltcup erlebte Marcel Hirscher im olympischen Winter 2009/2010. In Val d'Isère carvte er in seiner Paradedisziplin Riesenslalom zu seinem ersten Weltcup-Sieg.
Am 12. Dezember 2010 feierte Hirscher, wieder in Val-d’Isère, seinen ersten Slalom-Sieg im Weltcup.
Im Jänner 2012 gelang ihm beim Schladminger Nachtslalom der erste Sieg auf österreichischem Boden.
Und der Höhenflug hielt an.
Es folgten 8 Gesamtsiege (2011/12, 2012/13, 2013/14, 2014/15, 2015/16, 2016/17, 2017/18, 2018/19), die letzte große Kugel...
... erhielt er beim Saison-Finale am 17. März in Soldeu (Andorra).
Hirscher ist zudem sechsmaliger Riesentorlauf-Weltcupsieger (2011/'12, 2014/'15, 2015/'16, 2016/'17, 2017/'18, 2018/'19) und hat ebenso...
... viele Slalom-Weltcupsiege (2012/'13, 2013/'14, 2014/'15, 2016/'17, 2017/'18, 2018/'19) bislang verbuchen können.
Der Salzburger triumphierte im vergangenen Dezember in Alta Badia erstmals auch im Parallel-Riesentorlauf und egalisierte mit dem 62. Weltcupsieg die ÖSV-Bestmarke der österreichischen Jahrhundert-Sportlerin Annemarie Moser-Pröll. Inzwischen hält er bei 67.
Nach dem Sieg in Saalbach ist er die alleinige Nummer eins.
Auch bei den Weltmeisterschaften hagelt es Medaillen für Hirscher. 2013 gewann er in Schladming bei seinem ersten Antreten, dem Mannschaftsbewerb, die Goldmedaille mit dem österreichischen Team. Im Riesenslalom gewann er seine erste WM-Einzelmedaille, eine silberne.
Bei Olympia sammelte er drei Medaillen: Gold im Riesenslalom und Kombination (Pyeongchang) sowie Silber im Slalom von Sotschi.
Österreichs Sportler des Jahres wurde er fünf Mal - 2012, 2015, 2016, 2017 und 2018.
Im vergangenen Oktober wurde Hirscher zum vierten Mal von den Mitgliedern der Internationalen Ski-Journalisten-Vereinigung (AIJS) zum Alpinskisportler des Jahres gewählt. Damit schloss er zum bis dato allein führenden Schweizer Pirmin Zurbriggen auf.
Im vergangenen Jahr wurde der Salzburger von der Zeitung L’Equipe zum "Champion der Champions 2018" bzw. zum Weltsportler des Jahres gekürt. Hirscher ist der erste Skifahrer überhaupt, der die prestigeträchtige Trophäe in Empfang nehmen durfte. Diese Ehre wurde vor ihm keinem Österreicher zuteil.
Großes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich erhielt Hirscher 2016. Den Orden überreichte ihm der damalige Bundeskanzler Werner Faymann.
Seinem Ausrüster Atomic und dem Fotografen zuliebe schleppten Vater und Sohn sogar Slalomskier hinauf auf die Alm. Worauf prompt ein Rindvieh an der Bindung zu schnuppern begann. Was sich seither hinsichtlich des Zusammenspiels zwischen Ski, Bindung und Bindungsplatte an Entwicklung tat, geht auf keine Kuhhaut.
Ein echter Tüftler
Marcel war immer ein besonderer Tüftler auf dem Materialsektor. Auch solcherart vermochte er anfängliche körperliche Mängel zu kompensieren. "Auf mehr als 70 Kilo bring ich’s net", meinte er. Zehn Kilo mehr sind es mit viel Krafttraining dann doch geworden. Trotzdem zu wenig, um sich auf Gleitpassagen mit schweren Abfahrtsburschen à la Aksel Lund Svindal oder Dominik Paris messen zu können.
Ehe wir die Hirschers im Sommer 2009 besuchten, hatte ich (den soeben selbst zurückgetretenen) ÖSV-Alpindirektor Hans Pum informiert. Worauf der meinte: "Da habt’s euch den Richtigen ausgesucht. Der Kloane wird a ganz a Großer." Von Serviceleuten einiger Firmen wiederum war zu hören: Der Hirscher-Vater sei "a ganz a Schwieriger".
Der schnauzbärtige, ehemalige Holzfäller und nunmehrige Annaberger Skischulbetreiber Ferdinand Hirscher erwies sich – konträr zum strengen Aussehen – als freundlicher, zugänglicher, bescheidener Mann. Der mich einmal zum Rennenschauen ins Annaberger Heim einlud. Die aus Den Haag stammende Mama Sylvia kochte Tee. Marcels jüngerer Bruder Leon saß vor dem Computer und Papa Ferdinand griff immer wieder zum Handy, wenn Marcel aus Beaver Creek anrief. Seit ich Ohrenzeuge der Gespräche wurde, weiß ich, dass man auch nach 30 Reporter-Saisonen auf Weltcuppisten noch kein Ski-Fachmann ist.
Dem Ferdl, wie ihn Marcel nennt, reichte eine kurze TV-Einblendung einer vermeintlich harmlosen Passagen, um seinen Junior zu warnen. "Dort fahrst ma bitte ja net voll" Um dann nach Ende des Telefonats seufzend zu sagen: "A Gemeinheit diese Torkombination. Bei der passiert garantiert no was."
Tatsächlich hatte Vater Hirscher aus 8.750 Kilometer Entfernung mehr gesehen und geahnt als der (österreichische) Kurssetzer vor Ort in Colorado. Denn eine halbe Stunde später blieb der Kärntner Speedspezialist Max Franz auf eben dieser Stelle schwer verletzt liegen.
Der Torlaufspezialist Marcel indes hat den Rat befolgt, sich mit Rang 31 begnügt und im selben Winter trotzdem die erste seiner acht Gesamtweltcup-Trophäen gewonnen.
Ob nach den 67 Weltcupsiegen, nach neun Goldmedaillen oder nach den wenigen Niederlagen – der Salzburger geriet nie öffentlich aus der Fassung, war stets begehrt bei Mikrofanträgern. Schlagfertig wie Hermann Maier, diplomatisch fair wie Benjamin Raich. Was Marcel von seinen beiden Jugend-Vorbildern unterschied? Das beklemmende Gefühl, wenn er im Weltcup wo wohnen musste, wo Täler zu eng oder Felsen zu hoch sind. "Länger als fünf Tage halte ich’s an so einem Ort net aus. Aber bitte schreib das net. Sonst sind die Veranstalter bös." Also sei festgehalten. Die Berge drohten dem halben Holländer nur fernab von Dachstein und Tauern auf den Kopf zu fallen. Aber nie im Salzburger Land.
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