Wolfgang Schobersberger hat bei den Winterspielen in Peking eine verantwortungsvolle Aufgabe. Der Direktor des Instituts für Sport, Alpinmedizin und Gesundheitstourismus in Innsbruck, der auch als oberster Mediziner für den ÖSV und das ÖOC fungiert, ist der Vorsitzende des medizinischen und wissenschaftlichen Komitees.
KURIER: Wissen Sie, was Sie bei Olympia erwartet?
Wolfgang Schobersberger: Ich weiß natürlich viel mehr als der durchschnittliche Athlet und Betreuer, weil ich ja auch hinter den Kulissen tätig bin. Unabhängig von Covid wird die medizinische Versorgung bei den Spielen sehr gut sein. Es gibt Top-Spitäler, die medizinischen Einrichtungen sind vorhanden. Trotzdem werden auch sehr viele internationale Mediziner dort vertreten sein.
Weil den chinesischen Ärzten die Erfahrung fehlt?
Wo findet man 20 chinesische Ärzte, die mit Steigeisen auf der eisigen Piste stehen oder auf Skiern über die Piste runterkommen? Bei den Alpinbewerben, im Snowboard oder im Skicross, wo Athleten geborgen werden müssen, ist Erfahrung gefragt. Deshalb ist bei diesen Bewerben eine internationale Expertengruppe im Einsatz. Das war vor vier Jahren in Südkorea übrigens auch nicht anders.
Im Unterschied zu 2018 befindet sich die Welt in einer Pandemie. Wie sehr schwebt Corona über Olympia?
Corona schwebt nicht nur über diesen Spielen, es ist sogar ein dichter Nebel. Nämlich in dem Sinne, dass viele Leute verunsichert sind. Das sind meine neunten Spiele, da hat man eine gewisse Routine, aber in China haben wir alle keine Erfahrungen.
Was ist die große Sorge?
Man weiß, dass es in China in Sachen Covid null Toleranz gibt. Das sehen wir allein daran, wie sie mit den eigenen Leuten umgehen. Jeder Einzelne reist mit dem Restrisiko und der Sorge an, dort nicht krank zu werden. Das geht auch mir so. Wenn einer sagt, das alles ist ihm wurscht, dann ist er der coolste Hund, den ich kenne.
Gelten für Sie als Chefmediziner andere Regeln?
Nein. 96 Stunden vor der Abreise müssen im Abstand von 24 Stunden zwei negative PCR-Tests vorliegen. Es gilt die strikte Vorgabe: Einreise nur mit negativem Test. Oder man begibt sich halt 21 Tage in Quarantäne. Das Worst-Case-Szenario wäre, jetzt positiv getestet zu werden.
Wäre es das dann mit der Olympia-Teilnahme?
Das Problem ist: Die Quarantäneregeln, die bei uns in Österreich gelten, sind für China nicht relevant. Bei uns darf man mit einem CT-Wert von 30 wieder raus und ist freigetestet. Die chinesischen Behörden haben diesen Wert aber auf 40 festgelegt.
Was ist der Unterschied?
Aus Studien ist bekannt, dass ab einem Wert von 30 die Viruslast zwar noch nachgewiesen werden kann, aber die Viren sind nicht mehr aktiv. Die Chinesen sagen klipp und klar: Ab einem Wert von 40 ist nichts mehr nachzuweisen. Die machen keine Kompromisse. Man kann das nicht in Tagen beziffern, um wie viel länger es dauert, bis man den 40er-Wert erreicht. Nur so viel: Wer sich jetzt infiziert, für den ist Olympia mit hoher Wahrscheinlichkeit gelaufen. Das ist nicht das einzige Problem: Es gibt auch Spezialfälle.
Spezialfälle?
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die längst genesen sind, bei späteren Tests plötzlich wieder positiv sind. Bei denen kann der CT-Wert manchmal über mehrere Wochen schwanken, die sind einmal negativ, dann wieder positiv, die sind immer an der Schwelle.
Nicht nur beim CT-Wert verfolgt China eine strenge Strategie. Jeder Teilnehmer muss täglich zum Fiebermessen. Bei einem Wert von 37,3 wird Alarm geschlagen. Ist das nicht zu niedrig?
Das ist der Richtwert, das muss man akzeptieren. Allerdings wird schon mit einem zeitlichen Abstand noch einmal nachgemessen, bevor die große Covid-Panik ausbricht. Aber natürlich ist auch da der Spielraum sehr eng. Jeder weiß: Wenn jemand schwitzt und vielleicht eine Haube aufhat, dann kann die Temperatur bereits erhöht sein.
Können die strengen Vorgaben Infektionen verhindern?
Die Chinesen gehen davon aus, dass es bei Olympia positive Fälle geben wird. Nur wollen sie die Zahl möglichst gering halten und Clusterbildungen verhindern. Einzelfälle sind Einzelschicksale, so ist die chinesische Mentalität. Sollten aber im Olympischen Dorf zehn Sportler aus verschiedenen Nationen positiv sein, hätte man einen Cluster, der für das ganze Dorf gefährlich wird. Dann kann man das Spreading gar nicht mehr vermeiden. Dann wären auch Wettkämpfe gefährdet.
Die Schweizer Snowboarderin Patrizia Kummer verzichtete auf die Impfung und begab sich lieber 21 Tage in Quarantäne. Was halten Sie davon?
Eigentlich ist das absurd. Drei Wochen nur im Zimmer zu sitzen, das ergibt wenig Sinn und ist mit Sicherheit auch keine Vorbereitung auf die Winterspiele. Es sind einige Geschichten über diese Unterkünfte kursiert, mit Bildern von Kakerlaken. Ich bin mir aber sicher: Man wird einen vernünftigen Raum zur Verfügung haben, aber einem Fünf-Sterne-Standard wird es eher nicht entsprechen.
Ganz zu schweigen von der psychischen Belastung.
Beim ÖOC wird es deshalb eine sehr engmaschige psychologische Betreuung geben, sollte ein Mitglied der Delegation in China in Quarantäne müssen. Dabei geht es nicht nur um die Athleten, es sind auch Funktionäre und Trainer in China, die schon älter und nicht so fit sind.
Kann sich jemand, der positiv getestet wird, aus China ausfliegen lassen?
Das wird’s eher nicht spielen, dass diejenigen, die es sich leisten können, einen Learjet mieten und sich ausfliegen lassen. Es gibt ein klares Regulativ, das besagt: Wenn du positiv bist, dann musst du in Quarantäne.
Viele Olympiasportler hatten schon Covid, teilweise im Laufe dieses Winters. Können sich diese Athleten jetzt noch einmal infizieren?
Wenn jemand Delta hatte, kann es schon sein, dass er später an Omikron erkrankt. Selbst wenn er geboostert ist. Das ist zwar selten, aber es kommt vor. Und das macht alles sehr kompliziert, wenig vorhersehbar – und es stresst uns als Mediziner extrem.
Kommentare