"Der Rollstuhl soll ja auch für irgendetwas gut sein"

"Der Rollstuhl soll ja auch für irgendetwas gut sein"
Lukas Müller wünscht sich Klarheit im Streit mit dem ÖSV und hofft, dass sein Fall zu einem Berufssportgesetz in Österreich führt.

Der KURIER traf Lukas Müller in Salzburg zum Interview.

KURIER: Herr Müller, was erhoffen Sie Sich von dieser gerichtlichen Auseinandersetzung mit dem ÖSV?

Lukas Müller: Ich wünsche mir im Moment einfach nur Klarheit. Klarheit in dieser Sache. Und zwar nicht nur für mich, sondern auch für die ganzen anderen Sportler, die diesen Job als Vorspringer machen müssen. Und in gewisser Weise wünsche ich mir natürlich auch Klarheit für den ÖSV.  Auch der Verband  sollte sich auskennen, woran er ist. Denn was wir jetzt haben ist eine unklare rechtliche Situation. 

Sind Sie vom ÖSV enttäuscht?

Sagen wir einmal so: Das Ganze hat für mich schon eine schiefe Optik. Zwei Tage nach meinem Unfall lässt mir der ÖSV über die Kronenzeitung ausrichten, dass ich vom Verband jede Hilfe erhalten würde. Und zwei Jahre später finde ich mich in einem Gerichtssaal wieder und die Geschäftsführung des ÖSV sitzt plötzlich auf der Gegenseite und bekämpft das. Nicht falsch verstehen, das ist ihr gutes Recht. Nur stehen diese Aussagen halt diametral zu ihrem Verhalten. Das ist enttäuschend für mich.

Worum geht es Ihnen?

Mir geht es vor allem darum, dass so etwas, was mir passiert ist, nie wieder passieren darf. Es soll nie wieder ein Fall dermaßen ungut laufen für jemanden, der eh schon in einer äußerst schwierigen Situation steckt. Es geht mir ja nicht nur um die Rechtssicherheit, sondern um die Sicherstellung einer ausreichenden medizinischen Versorgung, die weit über den Rehabilitationszeitraum hinaus reichen kann. Mein Fall könnte ein Präzedenzfall sein, der weit über den ÖSV hinaus reicht. Idealerweise ist er vielleicht  sogar Anlass für ein Berufssportgesetz in Österreich. Der Rollstuhl, der mich durch mein Leben transportiert, und mein Schicksal sollen ja auch für irgendetwas gut sein.

Seit Ihrem Unfall sind inzwischen drei Jahre vergangen: Wie geht’s Ihnen überhaupt?

Ich merke, dass mir die Therapie und das viele Training gut tun. Es geht immer noch sehr viel weiter, gerade weil einige Übungen mittlerweile stehend ausprobiert werden, weiters schau’ ich, wie gut es funktioniert, in Alltagssituationen immer wieder einmal den Rollstuhl weg zu lassen, um noch unabhängiger zu werden. Ich weiß nicht, ob ich es jemals schaffen werde, dass ich ihn ganz hinter mir lassen kann. Ich glaube es zwar eher nicht, aber ich arbeite dennoch daran. 

Wie sieht ihr Alltag denn aus?

Ich bin immer noch für die Firma Manner aktiv, die mich damals auch als Skispringer unterstützt hat. Dazu arbeite ich als selbstständiger Vermögensberater. Ich habe mir bewusst eine Tätigkeit gesucht, wofür  ich nicht zwingend die Füße brauche, um den Beruf ausüben zu können. Das passt so ganz gut.

Sie wirken heute nach außen so abgeklärt: Sind Sie nie in ein Loch gefallen?

Wie ich damals von der Operation aufgewacht bin, hat der behandelnde Arzt aufgezählt, was sie alles an mir gemacht haben und dabei auch erwähnt, dass ich einen Querschnitt habe. Und im nächsten Moment hat er mir vor Augen gehalten, was ich in diesem Moment schon alles kann und besitze: Nämlich einen funktionierenden Kopf und halbwegs funktionierende Hände – und mit diesen Voraussetzungen lässt sich schon ein annähernd normales Leben führen. Und genauso ist es. Mir geht es vergleichsweise gut, aber das heißt nicht, dass es nicht auch emotional durchwachsene Tage gegeben hat. Die gibt es immer wieder, vielleicht zwei, drei im Jahr.

Können Sie ein Beispiel sagen?

Zum Beispiel eine Woche vor dem Start der heurigen Skisprungsaison, ich weiß das Datum noch genau, es war der 13. November: Da habe ich im Stützpunkt Rif gemeinsam mit  Stefan Kraft, Michael Hayböck und Daniel Huber trainiert. Und da ist mir durch den Kopf gegangen: 2015 haben wir vier genau an der gleichen Stelle gestanden. Heute ist der eine Weltrekordhalter, der andere hat mehrere Weltcupsiege, der dritte hat seinen ersten Podestplatz erreicht. Und ich, ich sitz’ im Rollstuhl.

Wie haben Sie Sich in diesem Moment gefühlt. Ohnmächtig?

Mir ist es in dem Moment wirklich nicht gut gegangen. Aber ich habe  versucht, mir nichts anmerken zu lassen, , gerade weil ich über den ganzen Tag mit diesen Gedanken beschäftigt war.   Es tut manchmal einfach richtig weh. Ich meine, ein Querschnitt ist immer eine richtige Herausforderung, aber  ich habe zumindest gelernt damit umzugehen – immerhin hätte der Unfall damals auch mein Leben beenden können.

Ihnen blieb ja gar keine andere Wahl, als sich der Herausforderung zu stellen.

Du musst ja auch irgendwie damit fertig werden. Weil eines ist klar: Als Betroffener bist du selbst dafür zuständig und verantwortlich, wann und wie du dich dieser Aufgabe annimmst. Jeder muss eine Strategie entwickeln, wie er mit negativen Erlebnissen umgeht. Das ist eine tägliche Aufgabe. Am wichtigsten ist, dass man sich damit beschäftigt und auseinandersetzt, sonst kommst du in den Strudel rein, der dich runter zieht. Am Ende ist es nämlich so wie bei einer Medaille: jede noch so schmerzhafte Situation offenbart oft auch eine gute Seite – und wenn man nur etwas für die Zukunft lernen kann.

Was würden Sie sagen, was Ihnen in den vergangenen drei Jahren Gutes widerfahren ist?

Mir hat der Querschnitt zum Beispiel sehr viele positive Begegnungen gebracht. Mit Menschen, die ich sonst nie kennen gelernt hätte und von denen ich selbst unglaublich viel lernen konnte und kann. Egal ob das andere Patienten oder auch Therapeuten sind, die mir heute nicht nur körperlich, sondern auch bei der Entwicklung meiner Persönlichkeit helfen. Auch meine Kollegen, mit denen ich wöchentlich Rugby spiele, oder ganz zufällige Treffen, bei denen mir Leute ihre Hilfe anbieten, gehören dazu.

Sie haben in dieser Zeit auch Ihre neue Freundin kennen gelernt.

Meine Freundin, mit der ich beim Sturz noch zusammen war, hat sehr viel mitgemacht. Ich bin ihr unendlich dankbar, was sie aus mir gemacht hat und wie sie damit umgegangen ist. Sie hätte auch hergehen können und sagen: ,Na, tut mir leid, das packe ich nicht.“ Das hat sie nicht gemacht, demnach ist sie zu einem großen Teil mitverantwortlich, dass ich heute die Person sein darf, die ich bin. Mir wird aber heute auch noch oft bewusst, welches Glück gewisse Begegnungen bedeuten. Meine jetzige Physiotherapeutin hat in ihrer Studienzeit so ein Gespür für Menschen mit Querschnitt entwickelt. Dadurch haben wir allein schon vom Beruf her ein ausgezeichnetes Verhältnis. Sie weiß manchmal, was ich mir denke, ohne dass es aussprechen muss. Das meine ich damit, dass der Querschnitt auch Gutes in mein Leben gebracht hat. Irgendwann will ich mein Leben im Rollstuhl so aufgebaut haben, dass ich vielleicht sogar einmal sagen kann: ,Ich würde wieder runter springen, auch im Wissen, dass das mit einem Querschnitt endet.

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